Sechs Stunden; so lange sollte die Patrouille dauern. Seit vier Wochen tun wir nichts anderes als diese von Felsen übersäte Einöde rund um die Kaserne abzusuchen, um Spuren der drei vermissten feindlichen Battlemechs zu finden, denen es gelungen war sich von verschiedenen Schlachtfeldern aus zurückzuziehen, dachte sich Ted Max, als er die Tür zum zentralen Hangar öffnete und die wenigen Stufen hinabstieg. Die Ausbeute betrug bisher nur eine alte im Eis eingeschlossene menschliche Leiche und eine kleine illegale Mine, die Leon und Walter bei den heißen Quellen im Süden gefunden hatten.
Sechs Stunden Dienst, sechs Stunden frei; dieser monotone Rhythmus raubte den vier auf Gan Singh verbliebenen Mechkriegern der Söldnerkompanie Maulwurfs Messerstecher jede Energie. Nur unser Herr Claner Leon lässt sich natürlich nichts anmerken und reagiert sich in seinem Nahkampftraining mit den paar Reisfressern ab, die man hier mit uns eingepfercht hat. Na ja. Wenigstens sieht man als Mechpilot auch mal was anderes als nur Stahlbetonwände und Neonröhren, führte er seine Gedanken fort, die nun jäh unterbrochen wurden, als sich die Tür zum Gefangenentrakt öffnete und Sao-Wei Wooten in Begleitung eines der Infanteristen daraus hervortrat.
Die blonde Mittdreißigerin war Stabsärztin und als solche für die Gesundheit der hier untergebrachten Kriegsgefangenen zuständig, und außerdem hatte man sie zur provisorischen Zugführerin der capellanischen Wachmannschaft ernannt. In ihrer stets freundlichen Art, die kein Wölkchen trüben konnte, hob sie an zu sprechen:
"Ah, einen schönen guten Morgen Lieutenant Max. Ich..."
"Wird sich noch rausstellen."
"Bitte?"
"Ob das ein guter Morgen wird."
"Ä;h, ja. Ich hätte da eine Frage bezüglich der Dienstpläne meiner Männer für die nächste Woche."
"Wenden sie sich an Yao, der Kram fällt in seinen Bereich."
"Meinen Sie Captain Chen?"
"Stimmt ja, ihr verdreht ja immer die Namen. Muss dann."
"Auf Wiedersehen Lieutenant."
Ted deutete ein Nicken an, gab ein kurzes Brummen von sich, das man deuten konnte wie man wollte, und stieg dann eine schmale Metalltreppe empor. Diese führte ihn zu dem Gittersteg, der sich in der hinteren Hälfte des Hangars auf einer Höhe von etwa neun Metern an der Wand entlang zog und Technikern wie Piloten den Zugang zu den geparkten Maschinen erleichterte. Auf der gegenüberliegenden Seite zwang Corporal Walter von Höfer gerade seinen unförmigen Körper in das beengte Cockpit seiner SDR-5V Spinne, während Private Hinnrich, der Walter zugeteilte Techniker, dabei war, ihn mit seinem Blick zu töten. Corporal Duvalle, der sich um Teds Maschine in den vergangenen Wochen seit Pauls Unfall kümmerte, wartete an die Wand gelehnt auf ihn und schaute sich währenddessen amüsiert die Szene an, die gegenüber ablief. Breit grinsend wandte er Ted den Kopf zu:
"Da bist du ja endlich. Ich war mal so frei und habe den Deckel bereits aufgemacht."
"Endlich mal jemand, der mitdenkt. Du musst aber nicht auch noch die Wand festhalten, die fällt schon nicht um."
Teds letzte Bemerkung geflissentlich ignorierend entgegnete er: "Siehst du, so bin ich zu dir. Was wollte die Alte denn?"
"Irgendwas mit den Dienstplänen, aber das fällt schließlich in Yaos Bereich."
"Sag mal, was fällt denn überhaupt in deinen Bereich?"
"Du mich auch Duvalle, du mich auch. War was zu flicken?"
"Nö, aber die Risse in der Panzerung hinten rechts von deinem Sturz am Mittwoch solltest du auch mal im Auge behalten. Die gehen immer tiefer ins Material und die üblichen Kleber halten bei der Kälte da draußen nicht. Wenn das die nächsten Tage nicht besser wird, müssen wir die ganze Sektion erneuern. Und du kennst ja Allison, der stellt sich immer dran, als müsste er den Kram aus der eigenen Tasche bezahlen."
"Alles klar. Dann bis später."
Ted schwang sich über das niedrige Geländer auf die Oberseite seines LCT-1V Heuschreck, des leichtesten Mechs der Einheit, den er nach seiner ersten Liebe "Susi" getauft hatte. Kurz darauf schloss er die Cockpitluke und schnallte sich auf der Pilotenliege fest. In geübter Manier überprüfte er, ob die gesamte Notfallausrüstung am richtigen Platz lag und gut festgeschnallt war, ob seine Nadlerpistole, die er in einem Halfter am Gürtel trug, gesichert war und machte sich danach daran den Hauptschalter zu drehen. Auf dem Display erschien die Aufforderung zur Stimmidentifikation.
"Susi, mach die Beine breit!"
Der Computer bestätigte die korrekte Codeeingabe und Ted hob den schweren Neurohelm aus der Halterung, setzte ihn auf und führte die restlichen Startup-Prozeduren aus.
Zehn Minuten später setzte sich die Maschine in Bewegung. Ted folgte der Spinne an dem Schwebepanzer vom Typ Bandit vorbei, den man aus Platzmangel neben dem Lastenaufzug ins Untergeschoß abgestellt hatte, durch das innere Tor in den Gang, der nach draußen führte. Eine Menge Schrammen an Wänden und Decke zeugten davon, dass die Erbauer den Gang deutlich zu eng angelegt hatten. Für schwere Maschinen war es praktisch unmöglich, den Hangar zu erreichen und auch die meisten mittelschweren Mechs mussten den Gang schon langsam und gebückt durchqueren.
Nach fünfzig Metern erreichten sie die Oberfläche und passierten dabei die Reste des äußeren Tors, das bei der Eroberung der Anlage aufgesprengt und bis jetzt noch nicht ersetzt worden war. Nur zweihundert Meter entfernt warteten Corporal Harro, ein stets aufmüpfiger Rasalhaager, den die Invasion der Clans in den Söldnerstand getrieben hatte, und Corporal Leon, ein aus unbekannten Gründen geflohener wahrgeborener Mechkrieger von Clan Novakatze, in ihren Mechs auf das Ende ihrer Schicht. Es knackte kurz im helminternen Lautsprecher und Leons raue Stimme erklang: "Banane, hier Pelikan. Haben sie neue Befehle für uns?"
"Pelikan, hier Banane. Keine neuen Befehle. Ihr könnt jetzt einrücken."
"Banane, hier Pelikan. Verstanden, Ende."
Der STY-3C Starslayer und die SNK-1V Schlange und ihr ungleiches Pilotenpaar setzten sich langsam in Richtung Tor in Bewegung.
Während sich die beiden ausrückenden Battlemechs nach Norden wandten, wurde Ted auf eine Bewegung am östlichen Hang aufmerksam. Er verlangsamte den stakenden Gang, der durch die Vogelbeinkonstruktion des Heuschrecks bedingt war, und zoomte die Szene in mehrfacher Vergrößerung heran: sechs Männer in leichten Schutzanzügen, deren Farbe dem grauen, felsigen Untergrund angepasst waren, marschierten im Gänsemarsch den Hügel hinauf, in dessen Inneren sich der Bunker befand. Vier von ihnen trugen deutlich sichtbar Batterietornister auf dem Rücken, die mit ihren Lasergewehren verbunden waren, die beiden anderen trugen gefüllte Rucksäcke. Ted schaltete auf Kanal drei: "Horus, hier Banane. Wie lange werdet ihr denn diesmal brauchen?"
Die leicht verzerrte Stimme von Tech Seargent Barnes antwortete schnaufend und mit Pausen: "Banane, Horus hier. Das kommt darauf an. Wenn die Antenne wieder... abgebrochen ist, dauert es mindestens... eine Stunde. Aber ich glaube, ... dass beim letzten Sturm wieder das Verbindungskabel gerissen ist... müssen nur die Bruchstelle finden. Vielleicht 40 Minuten." "Horus, hier Banane. Alles klar. Hoffe für euch, dass das Wetter hält. Ende."
Diese beschissene Antenne. Ständig fällt sie aus irgendeinem Grund aus und dabei wurde sie noch nicht einmal im Kampf beschädigt. Die einzige Verbindung zur Außenwelt ist genauso oft kaputt wie die Wasseraufbereitungsanlagen des Bunkers. Und ich weiß nicht was mehr nervt: der Lagerkoller, der sich hier ausbreitet, oder der ständige Chlorgeschmack des Essens. Er änderte den Sichtmodus auf Infrarot und beschleunigte seinen Mech auf über 70km pro Stunde, um wieder zu Walters Spinne aufzuschließen, die sich in der Zwischenzeit einige hundert Meter von ihm entfernt hatte. Per Laserkommunikation meldete er sich bei seinem Vordermann: "Also Walter..."
"Banane, hier Erdbeere. Wahren Sie Funkdisziplin!"
"Reg dich ab, Schmalzlocke, hört doch sowieso niemand zu."
"Für sie immer noch "von Höfer", Lieutenant!"
"Jaja. Frequenzband zwo und Funkkontakt alle Viertelstunde, das reicht völlig. Wir treffen uns dann wie vereinbart um 0500 in Planquadrat A3 zu einem kleinen Probekämpfchen." "Verstanden." Langsam wird mir klar, warum Harro lieber mit dem Bekloppten auf Streife geht als mit dieser fetten Qualle.
Die beiden Battlemechs steuerten nun in verschiedene Richtungen und entfernten sich rasch voneinander. Ted beschleunigte noch einmal leicht, weil er wusste, dass die Erschütterungen im Cockpit bei einer Geschwindigkeit von knapp unter 80km pro Stunde am geringsten ausgeprägt waren. Mittlerweile kannte er das Gelände gut genug, um nicht mehr ständig auf die vereinzelten Felsbrocken achten zu müssen, die das Fortkommen behinderten, und widmete seine Aufmerksamkeit der Landschaft. Meilenweit erstreckte sich die graue Hochebene in alle Richtungen. Das diffuse Licht der kleinen roten Sonne, die gerade erst über den westlichen Horizont lugte, tauchte das Gelände in lange Schatten. Doch seine anfängliche Faszination für dieses Schauspiel der Natur war im Lauf der letzten Wochen ausgeprägter Langeweile gewichen. Immer wieder versperrten einzelne Höhenzüge die Sicht, so dass man trotz der klaren Luft selten weiter als acht Kilometer sehen konnte. Ein Blick auf die Umweltdaten ergab eine Außentemperatur von -97°C, einen Luftdruck von weniger als einer halben Erdatmosphäre und Windgeschwindigkeiten unter 20km/h. Dann ist es heute ja richtig gemütlich da draußen. Sonst hört man ja mehr den Wind, der pfeifend an der Maschine zerrt, als das Summen des Reaktors. Das ist auch der einzige Fleck, den ich bis jetzt kennen gelernt habe, an dem man sich mehr Sorgen um die Aufheizung, als um die Abkühlung der Waffen machen muss. Beim letzten Sturm hier draußen waren die beiden Stummelarme so weit abgekühlt, dass die Kontrollen die MGs als nicht mehr betriebsbereit angezeigt hatten. Aber da kann man ja was gegen tun.
Ein Grinsen huschte kurz über Teds Gesicht, als er die beiden leichten Sperry Browning MGs entsicherte, einen großen, runden Stein in 600 Metern Entfernung anvisierte und Feuerleitkreis B auslöste. Das Feuer der beiden Waffen war im Cockpit auch ohne die Hilfe der Außenmikrophone gut zu hören. Die erste Salve verfehlte das Ziel um mehr als fünfzig Meter. Die Leuchtspurgeschosse, die an jeder dritten Stelle in die Munitionsgurte eingefügt waren, flogen in ballistischen Bahnen durch die dünne Luft, stoben beim Kontakt mit anderen Felsen in die verschiedensten Richtungen davon und erzeugten seltsame Muster in der morgendlichen Dämmerung. Das hat auch schon mal besser geklappt. Zum zweiten Mal ertönten die MGs und die Leuchtspurbahnen trafen sich genau auf dem anvisierten Felsen, der dabei ein wenig an Substanz verlor. So viel zu den Dienstvorschriften. Spätestens jetzt weiß jeder Depp in zehn Kilometern Umkreis wo ich bin... Wenn hier nur jemand wäre. Er sicherte die Waffen wieder und warf einen Blick auf das Display, um seinen Patrouillenweg zu bestimmen. Die Befehle des Oberkommandos gaben lediglich die abzusuchenden Gebiete vor, aber nicht den genauen Hin- und Rückweg. Diesmal würde er Höhe 278 im Osten umgehen, das kleine Geröllfeld zu Höhe 299 durchqueren, um dann einen Abstecher zu seinem Lieblingsloch zu machen. Man konnte die etwa 20 Meter tiefe, sichelförmige Senke der Klippen wegen nur an zwei Stellen betreten und wieder verlassen, wenn man nicht über Sprungdüsen verfügte, nämlich über einen schmalen Steilhang am südlichen Ende und eine vereiste Passage im Nordwesten, welche jedes Mal das Geschick an den Kontrollen auf eine harte Probe stellte. Doch bis dahin würden noch mindestens zwei Stunden ins Land gehen. Ted widmete seine Aufmerksamkeit wieder der Umgebung, doch weder seine Augen, noch die allseits wachen Sensoren konnten etwas Ungewöhnliches entdecken.
Eine knappe Stunde später, Ted hatte eben Höhe 278 passiert, meldete die Basis die erfolgreiche Reparatur der Antenne und den Empfang einer Nachricht vom Hauptquartier; auch Walter bestätigte in seinen Meldungen die Lage: alles ruhig. Der Wind hatte in der Zwischenzeit wieder zugenommen und pfiff um den Heuschreck herum, der immer noch in weit ausladenden Schritten die Landschaft durchmaß.
Ted nutzte die Gelegenheit, um seinen Gedanken nachzuhängen. Die zurückliegenden Kämpfe hatten hohe Verluste gefordert. Yoshiro, der Neue, war der erste gewesen: mit dem erst kurz zuvor erbeuteten LNX-9Q Luchs war er während des Abwurfs etwa anderthalb Kilometer über der Planetenoberfläche ins trudeln geraten, konnte die Maschine nicht mehr abfangen und schlug dann wie eine Bombe auf der Oberfläche auf. Danach hatten sie wie befohlen den kleinen Flughafen eingenommen, um den trägen Großraumtransportern die Landung zu ermöglichen. Mit der Unterstützung der frisch angelandeten Truppen hatten sie tags darauf die drei Vororte der Hauptstadt besetzt und so die einzige Ausfallstraße blockiert. Und dann kam dieser Liao-Oberst glücklich grinsend wie ein einohriges Schwein angedackelt und meinte, die Eloka habe das hier vermutete Mechbataillon am anderen Ende des Planeten ausfindig gemacht, also könne man jetzt ja an einen Sturmangriff denken. Außerdem hätten sich die Zivilisten in die weitläufigen unterirdischen Bereiche zurückgezogen und so bestehe keine Gefahr, die Ares-Konvention zu brechen und durch unnötige Zerstörungen den Unmut der Bevölkerung auf sich zu ziehen, wie es die Davies im vierten Nachfolgekrieg getan hätten...
Und wenn schon; selbst wenn hier irgendeiner auf zivile Ziele schießt, kommt bestimmt keiner dieser hochnäsigen Dragonerdeppen in seiner polierten Blechbüchse angerannt, um nach dem Rechten zu sehen. Wenn doch gehe ich eben dahin, wo der Pfeffer wächst. Magistrat Canopus soll ganz nett sein. Na ja. Bis wir am Stadtrand waren, lief ja alles ganz gut: die Ari legte Sperrfeuer und die angeschlagene Infanteriekompanie richtete einen Brückenkopf ein. Aber danach rannten wir von einem Hinterhalt in den nächsten und ruckzuck waren allein bei uns drei Panzer und zwei Mechs im Arsch. So viel dazu, dass wir es ja "nur mit leichten Panzern und Infanterie zu tun haben werden". Gut, dass ich rechtzeitig auf eine Mine getappt bin und mich so schon früh zurückziehen musste. Zusammen mit Yoshi hat es hier bis jetzt fünfzehn von uns erwischt, fast ein Drittel der Sollstärke. Ich war von Anfang an für den langweiligen Bergungsauftrag, den Kali Yama Weapons Industries ausgeschrieben hatte; Piratenklatschen, zuschauen, wie andere arbeiten und dafür Geld kassieren. Aber nein, das war für den Herrn Major ja nicht ertragreich genug. Aber dieses Debakel hier hat es natürlich gebracht. Ich werde nicht gut genug bezahlt, um mich hier für die Reisfresser abknallen zu lassen! Erst das eilige Heranführen der letzten Reserven hatte dann den Kampf um die Hauptstadt entschieden und nur einer handvoll feindlicher Soldaten war im Anschluss daran die Flucht gelungen; die meisten hatten sich nach der Einnahme ihres Hauptquartiers ergeben. Keine zwei Wochen später hatte man dann die noch einsatzfähigen Reste der Einheit in den entlegenen Außenposten verfrachtet, den ein Kommando des Kriegerhauses LuSann wenige Tage zuvor eingenommen hatte. Und dann geht mir Chen Yao gestern auch noch mit seiner Theorie auf den Keks. Der Ausspruch "hätten mehr trainieren sollen" scheint für ihn auf alles zu passen. Dabei kam er selbst nur mit Mühe und Not aus dem Wrack seines Panzers raus. Natürlich muss man sein Arbeitsgerät beherrschen, vor allem wenn es bei der Arbeit um Leben und Tod von einem selbst oder den Kameraden geht, aber das ist nicht alles. Leichtsinn und Glück - die beiden bestimmen wie lange man auf den Schlachtfeldern überlebt. Wenn sich zu viel Routine einschleicht oder man sonst wie leichtsinnig handelt, muss schnell mal eine Hundemarke mehr durchgebrochen werden als einem lieb ist. Erst letzte Woche mussten wir Robert in die Krankenstation bringen, weil sein Nachbar mit der "garantiert entladenen" Knarre rumgespielt hat. Ich war auf Novo Franklin drei Jahre lang bei den Stoppelhopsern und habe selbst einen Finger bei so was verloren. Andere haben da weniger Glück. Wo die nächste Granate einschlägt oder wen der Heckenschütze aufs Korn nimmt, da hat man keinen Einfluss drauf. Eben alles nur Glück.
Erleichtert nahm Ted einige Zeit später zur Kenntnis, dass die Senke endlich zu sehen war. Der Heuschreck hielt geradewegs auf die Felskante zu und blieb dann wenige Meter davon entfernt stehen. Ted überprüfte kurz die wichtigsten Sensordaten, doch die Infrarotsicht zeigte lediglich die leicht erhöhte Temperatur des Bodens der Senke im Vergleich zum Umland an, die mit dem unregelmäßig ausbrechenden Geysir in der Mitte der Senke zusammenhing. Auch die seismischen Sensoren in den Füßen des Mechs und die elektromagnetische Ortung zeigten keine ungewöhnlichen Werte an. Dann wollen wir mal. In ungelenk wirkenden Tippelschritten stieg der Heuschreck langsam den steilen Abhang in die Senke hinunter. Unten angekommen durchmaß er gemächlichen Schrittes die ersten 25 Meter, als ihn ein kurzes flackern der EM-Anzeigen herumzucken ließ. Was war denn das? Scheiße! Wo kommt der denn her? Keine 50 Meter entfernt stand unter einer großen Felsnase, dem einzigen Punkt der Senke, der von oben her nicht einsehbar war, regungslos ein zerbeulter alter RVN-1X Rabe, hinter dessen Cockpitscheibe Ted hektische Bewegungen erkennen konnte. Wenigstens ist er auch überrascht. Während Ted seinen Heuschreck mit einem Schritt nach rechts drehte, entsicherte er die Waffen und feuerte sie, ohne lange zu zielen, ab. Der Laser schmolz eine tiefe Rille in den Oberschenkel des Raben, während die MG-Garben auf diese kurze Entfernung deutlich sichtbare Dellen in der Torsopanzerung oberhalb des tief sitzenden Cockpits hinterließen. Und jetzt Abstand gewinnen, bevor er schussbereit ist. Um Hilfe rufen hat eh keinen Zweck. Er warf "Susi" wieder nach links und beschleunigte sie so stark er konnte. Während der Rabe seinen ersten Schritt nach vorne machte, drehte Ted bereits die Stummelarme nach hinten und feuerte erneut die beiden MGs ab. Die Schüsse verfehlten aber ihr Ziel, schlugen auf der dahinterliegenden Felswand ein und lösten dabei einige Brocken ab. Keine Sekunde später schlugen nur wenige Meter links des Heuschrecks die ersten Kurzstreckenraketen in den Boden ein und ließen weitere Fels- und Eisbröckchen durch die Luft wirbeln. Was weiß ich über Raben? 35 Tonnen, viel Elektronik und wenig Panzerung – also vielleicht etwa so viel wie Susi. Hoffentlich, denn sonst habe ich ein ernsthaftes Problem. Ted behielt die hohe Geschwindigkeit bei und steuerte in einer Kurve nach links, um den nur langsam folgenden Raben wieder ins Schussfeld des Laser-Geschützturms zu bekommen. Die MGs verfehlten erneut ihr Ziel, aber der Laser fraß sich in einer gezackten Linie durch die bereits geschwächte Torsopanzerung und legte die interne Struktur frei. Einem kurzen Moment der Freude folgte die Ernüchterung, als der Rabe, der seinen Torso immer auf den schnelleren Heuschreck ausgerichtet hielt, einen seiner Zwillingslaser abfeuerte, der Strahl das rechte Bein traf und eine bedenklich tiefe Furche darin hinterließ. Verdammt! Wegrennen kann ich nicht; beide Ausgänge sind zu steil, da biete ich ein zu leichtes Ziel. Habe zwar nichts wichtiges getroffen, aber wenigstens ist er jetzt offen. Ted hielt auf die südliche Felswand zu und schwenkte erst kurz davor nach links ein, während der Rabe zu laufen anfing, um sich vielleicht hinter den Heuschreck setzen zu können, was ihm aber misslang. Keine zwei Sekunden waren seit der letzten Salve vergangen. Während der Laser noch auskühlte, löste Ted erneut Feuerleitkreis B aus, aber durch die Beschleunigung des Raben gingen die Schüsse trotz einem Abstand von nur knapp 50 Metern ins Leere, aber auch dessen zweiter Laser traf lediglich die Felswand. Ted hechtete daran entlang und schlug ein paar Haken, um ein schwereres Ziel zu bieten, so dass der nächste Laserschuß wieder nur die Felsen traf. Mittlerweile war der Rabe stehen geblieben und zielte sorgfältiger, als der Heuschreck wieder in seine Richtung einschwenkte und die Entfernung verkürzte. Ted kam ihm mit dem feuern wieder zuvor und traf ihn mit dem Laser diesmal an der linken Seite. Während einige Spritzer der Panzerung noch zu Boden tropften, schossen plötzlich Flammen aus den Abschussröhren und vier der sechs Raketen trafen und schüttelten Ted heftig durch. Linker Torso auf gelb, rechter Arm auf gelb und schon wieder ans rechte Bein. Scheiße, der nächste Treffer geht durch. Dann bin ich geliefert. Verfluchter Drecksack. Der Rabe ging jetzt rückwärts, um weiterhin möglichst großen Abstand zu wahren. Auf knapp 75 Meter Entfernung wurden wieder Laser und MGs abgefeuert, doch die beiden Feinde verfehlten sich. Der Rabe stoppte knapp vor der nördlichen Wand und verlegte sich erneut aufs zielen. Die Salve steckte ich ein, dachte sich Ted und hielt frontal auf seinen Gegner zu, der sich jedoch nicht rührte. Sie wollten beide die gute Gelegenheit nutzen, um ein paar saubere Schüsse anzubringen. 50 Meter... 30 Meter... die Zwillingslaser des Raben schwenkten nach unten auf das beschädigte rechte Bein des Heuschreck... 15 Meter... Ted löste gerade Feuerleitkreis A aus, als er sah, wie die Kurzstreckenraketen seines Gegners starteten. Die beiden Laser trafen jeweils das rechte Bein des Gegners, doch während der Treffer beim Rabe lediglich die interne Struktur offen legte, trennte er dem Heuschreck den langen Unterschenkel unterhalb des Kniegelenks ab. Drei der abgefeuerten Raketen trafen den zentralen Torso und den linken Arm und sprengten kleine Stücke aus den oberen Schichten der Panzerung heraus. Noch während der Heuschreck, vom Schwung seines Angriffs getragen, nach rechts ausbrach und donnernd gegen die Felswand krachte, sah Ted wie die Geschosse seiner MGs auf die linke Seite des Raben einhämmerten und einige davon durch die Panzerung in den Torso eindrangen. Der Aufprall schleuderte ihn hart in die Gurte und presste ihm die Luft aus den Lungen, doch bevor der Heuschreck endgültig zu Boden ging, zerriss plötzlich eine Folge heftiger Explosionen den Rumpf des Raben. Ted wandte den Blick ab, als ganze Panzerplatten über sein Cockpit hinwegflogen und wild ausschlagende Anzeigen ihm die Zerstörung des feindlichen Reaktors anzeigten.
Der Heuschreck lag auf der rechten Seite und Ted wartete, in den Gurten hängend, eine Minute, bevor er sich wieder rührte. Sein Brustkorb schmerzte, auch wenn die Kühlweste einiges von der Wucht des Aufpralls abgefangen hatte. Na toll. Mal sehen, was noch übrig ist. Bis auf das Bein ist noch alles dran und dicht. Und wo ist der andere Drecksack? Er drehte den Heuschreck mühsam auf dem Boden bis das Cockpit in Richtung des Raben ausgerichtet war, dessen qualmendes Wrack so nach vorne umgestürzt war, dass der schnabelartige Mechkopf in unnatürlichem Winkel abstand. Da hat es dem Raben wohl das Genick gebrochen. Aber wo zum Teufel ist der Pilot hin? Hatte er das Rettungssystem an oder wollte er heldenhaft gegrillt werden? Ted lies seine Blicke noch eine weitere Minute schweifen, bevor er durch die rauchenden Trümmer aus verbogenem und verschmolzenem Metall hindurch eine schwer blutende Gestalt erkannte, die langsam über den rußgeschwärzten Fels robbte und schließlich zusammenbrach. Naja, erst mal Hilfe anfordern. Jetzt bekomme ich auch wieder Verbindung.
"Erdbeere, hier Banane. Hatte Feindkontakt. Es war der gesuchte Rabe. Habe ihn erledigt, brauche aber ein Taxi nach Hause. Liege in Planquadrat E13."
"Banane, hier Erdbeere. Ich benachrichtige das Hauptquartier und bin in circa einer Viertelstunde bei ihnen."
"Erdbeere, hier Banane. Verstanden, Ende."
Und sobald ich Feuerschutz hier habe, schaue ich auch mal nach dir da draußen. Bin ja kein Unmensch. Vorher kriegen mich hier aber keine zehn Pferde raus. Ich habe mein Glück für heute schon überstrapaziert. Wie ich vorhin bereits sagte: Leichtsinn und Glück...
Leichtsinn und Glück
05.04.2023
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