GDC-HQ, Götterdämmerung
Vereinigtes Commonwealth
13. November 3050
»Mein Gott As, pass auf. Wenn du weiterhin so unkonzentriert arbeitest, werden wir hier nie fertig. Reich mir mal bitte den Stabilitätstester, ich will gucken, ob das hier endlich klappt.« »Jetzt mach´ mal nicht so ´nen Wind, Hawkeye. Da hast du das Ding. Was bastelst du eigentlich immer an deinem Mech herum, als ob er dein Ein und Alles wäre?« fragte As.
Der junge Lyraner stammte ursprünglich vom Planeten Cumbres, aber nach seiner Ausbildung als Mechkrieger, die man gut und gerne als nichtig bezeichnen konnte, entschloss er sich, zu den Militärs des Vereinigten Commonwealths, den VCS zu gehen. Überraschenderweise bestand er die dortige, erneute Prüfung souverän und wurde dann auf den Planeten Götterdämmerung versetzt. Die planetare Miliz Götterdämmerungs, das Götterdämmerung-Defensiv-Corps, kurz GDC, hatte ihn mit Kusshand aufgenommen, da der bisherige Lanzenführer der Alpha-Lanze, Christian Doyle, wenige Wochen zuvor bei einem Manöver tödlich verunglückt war. Das war vor knapp zwei Jahren.
Sein Gegenüber Leutnant Leon Stahl, der von seinen Freunden meist nur ´Hawkeye´ genannt wurde, lächelte. Er und Andreas ´As´ Davis kannten sich seit Hawkeye´s Ankunft auf dem Planeten vor rund ein einhalb Jahren. Seitdem waren beide die besten Freunde, die man weit und breit finden konnte. Aufgrund ihres großen Potentials im Umgang mit Battlemechs genossen sie eine Art von Narrenfreiheit auf Götterdämmerung, was sie auch oftmals schon ausgenutzt hatten. Dass sie aufgrund eben dieser Beschaffenheit viele Neider und Gegner im Heer hatten, störte sie recht wenig.
»Du weißt, dass ich genauso wie du deutsche Wurzeln habe. Ich bin zwar vielleicht auf Rigil Kentarus geboren worden, aber glaub mir: Die Tugenden, die den alten terranischen Deutschen nachgesagt wurden, nämlich Fleiß und Perfektion, habe ich immer noch in mir. Deshalb schraube ich so gerne an meinem Mech herum. Außerdem ist der gute alte Raphael ein Familienerbstück. So etwas verpflichtet.« meinte Leon. Auch er war ein junger Lyraner von 21 Jahren, doch er hatte im Gegensatz zu seinem Freund schon einmal eine richtige Schlacht miterlebt. Sein Mech war in der Tat sehr alt, aber er befand sich immer noch in einem nahezu makellosen Zustand. As reichte ihm den Stabilitätstester. Kaum dass Hawkeye ihn erfasst hatte, verschwand er auch schon wieder im Torso des Katana. Dieser im weitesten Sinne humanoide Mech war eine echte Perle unter den Mechdesigns der Nachfolgerstaaten. Knappe 300 Jahre zuvor ging der erste Katana im Draconis-Kombinat unter dem Namen Crockett vom Band und schon kurze Zeit später wurde die Produktion - unfreiwillig - eingestellt. Die einzigen Fabriken der Inneren Sphäre, die dieses Design bauen konnten, wurden schon früh in den Nachfolgekriegen zerstört und damit auch das Wissen um die Instandhaltung dieses Designs. Doch Leon hatte zumindest die Hälfte dieses Geheimnisses gelüftet; teils durch seine unendlichen Bemühungen, den Aufbau des Mechs durch Schrauben und Basteln herauszubekommen, teils durch ein uraltes Speichermedium, welches er ebenfalls von seinem Vater geerbt hatte.
Der Familienlegende nach zu urteilen, befand sich auf diesem Datenträger so etwas wie ein ´Blueprint´ für den Mech, detaillierte Anweisungen und Pläne für Bau und Reparatur des Mechs. Dummerweise konnte niemand in der Familie sagen, wie man die Daten des Speichermediums visualisieren konnte. Die platte runde Form erinnerte Leon an etwas, was er einst auf Terra fand: Bei einem Besuch bei seinem Onkels Marcus fand er etwas derartiges schon einmal. Dummerweise wusste er nur noch, dass sein Onkel ihm den Namen dieses Gegenstandes als ´QVD´ ausgab. Dieses QVD solle für QuadroVisionData stehen und sei um das Jahr 2100 auf Terra erfunden worden.
Verdammtes LosTech, dachte Leon, als er sich an die Schatulle mit dem Datenträger erinnerte. Sie schlummerte in der Wand seines Zimmers in einem Safe. Um diesen Safe zu öffnen, benötigte man einen Augenscan, der die Person entweder als Leon Stahl oder Andreas Davis verifizierte. Leon hatte As schon vor längerer Zeit von der Existenz dieses Schatzes unterrichtet und ihm zugesichert, im Falle seines Todes den Katana samt Datenträger zu erben, da seine Eltern bereits vor 4 Jahren ihr Ende fanden und er sonst keine Familie oder viele Freunde ausser As hatte. Dies war auch der Anlass für einige Sticheleien seiner Mechkollegen, die alle zumindest fest mit jemandem zusammenwaren. »So, fertig. Eigentlich sollte er jetzt wieder laufen wie am ersten Tag.
Sag mal As, wie lange bist du jetzt eigentlich schon mit Alyss zusammen? Ich habe gehört, ihr habt die ganze Einheit monatelang an der Nase herumgeführt.« »Exakt 7 Monate und 14 Tage« antwortete As schnell. »Wann führst du eigentlich dein Mädchen aus? Du weißt schon, Lara...?« Gute Frage. Leon verkrampfte sich ein bisschen. Er riss As schnell am Ärmel und schaute ihm tief in die Augen. »Woher weißt du das denn schon wieder?« zischte er. »Och, ein Spatz kam zu mir geflogen und hat es von den Dächern gepfiffen.« »Ich glaube, es wird Zeit für mich, mit Kanonen auf Spatzen zu schießen.« antwortete Leon schnell und stand auf. Er war müde. Der Tag war hart für ihn verlaufen. Früh morgens um acht Uhr musste er sich beim Kommandant, Colonel Rough, melden und schon 10 Minuten später saß er in einem der Simulatoren der Einheit und absolvierte mal wieder einen kompletten Parcours. Nicht, dass er ungern in einem Mech saß, aber die Simulatoren hier auf Götterdämmerung waren einfach schlecht. Außerdem war man bislang nicht in der Lage gewesen, die Simulatoren auf Leons Mech umzustellen.
Leons Katana war schließlich von einem seiner ersten Besitzer modifiziert worden: Anstelle des zweiten schweren Lasers und durch den Verzicht auf beide leichte Laser, die sich ursprünglich in den beiden Armen befanden sowie die Demontierung eines Munitionspakets für seine Kurzstreckenraketen prangte nun eine schwere Magna Firestar PPK am rechten Arm des 85-t-Monsters. Insgesamt hatte die überschwere Maschine neben der ER PPK im rechten Arm noch einen schweren Laser im linken Arm, eine schwere LB 10-X Autokanone im linken Torso und je eine 6er Kurzstreckenlafette in linkem und rechtem Torso. Das alles bei 20 Wärmetauschern und Sprungdüsen, die den Katana bis zu 90 Meter weit über die Landschaft fliegen liessen. Alles in allem war dieser Mech mehr als nur einfach Furcht einflössend. Dazu trug allerdings auch die auffällige Bemalung des Mechs bei, die dem eintönigen weiß-grau der Einheit entgegensprach. Der Mech war - obwohl Götterdämmerung eher einem Wüstenplanet als einer Eiswüsten glich - in einem hellen weiß bemalt und zog hellrote, gezackte Linien über den Torso. Unterhalb des Cockpits waren überdimensionierte, fletschende Zähne auflackiert worden, die dem Gegner diesen Mech als kampfbereit auswiesen.
»Was wirst du eigentlich machen, wenn hier mal ernsthafte Gegner landen und du nicht zu deinem Mech kommst?« fragte As. »Ich weiss es nicht genau, aber ich denke mal, dass ich versuchen würde, mich zu Raphael durchzukämpfen.« erwiderte Hawkeye. Wieder begann einer der Beiden zu grinsen, doch diesmal war es As. »War ja klar.« lachte er. »Du warst ja schon immer ein ziemlicher Dickkopf.« Beide brachen in schallendes Gelächter aus und bemerkten gar nicht, wie sich ihnen Geoff McHammond von den Hangartoren aus näherte. Der stämmige Schotte war der direkte Vorgesetzte von Hawkeye und As, stand jedoch nur eine Stufe über den Beiden in der Karriereleiter der GDC. »Schlechte Neuigkeiten« sagte McHammond, als er die Beiden erreicht hatte. »Ich wurde soeben von den VCS darüber unterrichtet, dass wir demnächst Besuch bekommen werden.« Nicht schon wieder ein Besuch von General Archibald, dachten die Mechkrieger. »Also gut, wann kommt Archie dieses Mal und was dürfen wir jetzt schon wieder nicht mehr tun?«
Die Frage kam von As. McHammond verzog das Gesicht schmerzvoll. »Wenn es nur dieser aufgeblasene Idiot von Archibald wäre, hätten wir ja keine Probleme.« Er schluckte. Dann fasste er sich wieder und sprach mit leiser Stimme fast ehrfurchtsvoll weiter. »Die Führung der VCS hat mich darüber unterrichtet, dass die Clans auf dem Weg nach Tharkad sind. Sie werden wahrscheinlich innerhalb der nächsten 10 Tage bei uns sein. Laut VCS liegt Götterdämmerung bedauerlicherweise genau auf ihrer Route nach Tharkad und Verstärkung können wir von ihnen sicherlich nicht erwarten.«
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GDC-HQ, Götterdämmerung
Vereinigtes Commonwealth
13. November 3050
Das hatte gesessen. Die drei standen da und wechselten Blicke, ohne jedoch ein Wort zu sagen. Dann nahm Hawkeye das Wort an sich. »GAZ 10 Tage?« McHammond nickte. »So ein Mist. Weiss man schon genaueres über den Clan oder die Einheit, mit der sie eingreifen werden?« McHammond überlegte kurz und meinte dann »Es sind die Jadefalken, soviel ist sicher. Aber wie groß die Einheit sein wird, die sie letzten Endes auf uns ansetzen, weiß ich nicht. Hoffen wird das Beste. Wenn wir viel Glück haben, wird es nur etwa ein Trinärstern sein. Das heisst, wir würden 15 Mechs oder 75 Elementare gegen uns haben.«
Fünfzehn Mechs. Dieser Gedanke schoss As durch den Kopf, als er langsam zu einer Antwort ansetzte. »Demnach würden wir also eine fast doppelte Übermacht gegen uns haben? Und das bei den überlegenen Maschinen der Clans.« Nach Lachen war nun keinem mehr zu Mute. Die zwei Lanzen an Mechs und 30 Infanteristen, die das GDC umfasste konnten beim besten Willen nicht gegen die Clans bestehen bleiben. Nicht, wenn man in einen offenen Kampf geht. Doch selbst bei guerilla-artigen Angriffen der GDC würde man die Clans wohl kaum besiegen können. As fühlte eine große Leere in seinem Magen, die sich ausbreitete und drohte, seinen ganzen Körper zu ergreifen.
Shinji Xiamoto betrat den Raum. Der junge Sohn eines Japaners und einer Chinesin war entgegen der Regel recht groß gewachsen und hatte dunkelblondes Haar. Er schritt langsam von der Tür zu den Unterkünften herkommend in Richtung der kleinen Gruppe und erkannte die Verzweifelung auf ihren Gesichtern. »Was ist denn los?«
»Wir bekommen Gesellschaft. Die Clans werden in rund 10 Tagen hier auf Götterdämmerung eintreffen.«
»Wie viele?«
»Wir wissen es nicht. Mit Glück werden sie sich beim Batchall bis auf einen Trinärstern runterbieten. Aber selbst das wäre noch eine Nummer zu groß für uns.«
»Welcher Clan ist es?«
»Die VCS meint, es seien die Jadefalken.«
»Interessant. Ich denke, das wird ein Spaß«
»Spaß?«
»Genau das. Ich will endlich in eine richtige Schlacht ziehen. Nicht diese öden Simulatorenkämpfe, sondern richtige Schlachten. Krieg eben.«
Hawkeye schüttelte den Kopf. Er hatte den Wortwechsel zwischen McHammond und dem jungen Xiamoto genau beobachtet und festgestellt, dass der Japaner offensichtlich wirklich Freude darüber hegte, dass es in den Krieg ging. Verdammt. Wenn es wirklich zu diesem Krieg kommt, wird er wahrscheinlich nicht sehr lange überleben. Kampfeslust ist gut, Vorfreude in gewissen Maßen auch, aber dieser Junge hat eindeutig zu viel von beidem. Hoffentlich wird er etwas runterkommen bis zum Eintreffen der Jadefalken. Falls nicht, wird er wohl als Erster von uns allen sterben. Ich sollte vielleicht das Gespräch mit ihm suchen. Heute Abend. Verflucht, ich hasse diese Pflichten, wenn ich stattdessen mit Lara zusammensein könnte.
Der Rest des Nachmittags verlief relativ ruhig. As hatte sich schon längst wieder erholt und bastelte mit seiner Freundin Alyss zusammen an den Schaltkreisen seines Cataphract. Auch wenn seine schwere Maschine von 70 Tonnen Gesamtgewicht ihm immer wie eine Art Schutzschild vorgekommen war, das zu durchbrechen unmöglich war, wusste er doch gleichzeitig auch, dass der bevorstehende Kampf durchaus seinen Tod fordern konnte. Aber was bedeutete das denn schon? Nur eine weitere namenlose Nummer in einem Verlustbericht des VerCom, eine unter Vielen. Sein Tod würde kaum jemanden stören oder gar betroffen machen, ausser As und vielleicht Lara oder Colonel Rough. Derartige Gedanken befielen Hawkeye desöfteren, was vielleicht an seiner doch sensiblen Grundhaltung lag, die bislang nie jemand zu erkennen vermochte. Vielleicht ändert sich das ja bald.
Vernichtete Heimat
05.04.2023
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