"Langsam werd ich zu alt für den Scheiß!" murmelte Leftenant Henry Perez als er sich, wie so oft, die Strickleiter zum Cockpit seines Uziel hochschleppte. Seit Mitte 3066 war die 15th Deneb Light Cavalry RCT (oder die Überreste der 15th DLC) auf Marlette und kämpfte seitdem ums blanke Überleben. Er und weitere zehn Mechkrieger sowie ein paar Infanteristen waren nach der letzten Schlacht zwischen den Städten Hedon´s Path und Jahwe in die Berge dieses gottlosen Planeten entkommen. Seitdem waren sie nicht enden wollenden Angriffen der 5ten Crucis Lancer ausgesetzt. Allein heute hatten sie schon dreimal den Feind zurückschlagen müssen.
Zu ihrer aller Glück hatten die Alliierten Streitkräfte ihr Basislager anscheinend noch nicht entdeckt. Allerdings musste der gegnerische Kommandeur mittlerweile eine ziemliche genaue Idee haben, wo sie sich schon die ganze Zeit versteckten. Deswegen hatte Hauptmann Matt befohlen, hier die Zelte abzubrechen und eine andere Bleibe zu suchen. Die Aufgabe von Mia, Thomas und ihm bestand darin, einen guten Weg aus dieser Misere zu suchen. Oder den Feind abzulenken, damit der Rest verschwinden konnte. Noch vor ein paar Wochen hätte er sich sofort beschwert und "Himmelfahrtskommando" geschimpft, aber nach mehreren Wochen ununterbrochenem Kampf funktionierten alle einfach nur noch. Manchmal kamen ihm seine Kameraden und sogar er selbst nur noch wie Roboter vor. Sie alle waren einfach nur erschöpft und leer. Seit Beginn des Bürgerkrieges war zu viel passiert. Jeder von ihnen hatte zu viel gesehen und auch getan.
Abwesend arbeitete er sich durch die Checkliste und fuhr seinen Mech hoch. Mit geübter Leichtigkeit bewegte er sich durch das Tohuwabohu der aufbrechenden Kompanie auf seinen Sammelpunkt zu, wo auch bereits ein Hellspawn und eine Chimera auf ihn warteten. Ein paar flapsige Bemerkungen später waren sie auch schon auf dem Weg.
Flüssig bahnten sie sich ihren Weg durch Canyons, alte Kampfschauplätze und sonstiges unwegsames Gelände. Beinahe überall in der näheren Umgebung hatte ihr Kampf Spuren hinterlassen und sie hatten sogar diesem mächtigen Gebirge Schaden zugefügt. Überall fand man Panzersplitter, Öllachen, Brandflecken und die unvermeidlichen Wracks, die als stumme Zeugen von einer Schlacht auf Leben und Tod Zeugnis ablegten. Die Kämpfe hier waren ungewöhnlich brutal gewesen. Mehr als einmal sah man noch einen Mechpiloten auf seiner Liege, die, so wie auch der Fallschirm, großkalibrige Einschusslöcher aufwies. Manchmal sah man sogar, daß ein ausgestiegener Krieger einfach wie ein Insekt zertreten worden war.
Niemand hatte Gnade erbeten, allerdings gewährte sie auch keiner. Viel schlimmer war allerdings, daß Henry nichts mehr fühlte, als er auf die Reste seiner Kameraden und die teilweise entstellten Leichen seiner Feinde blickte. Eine unnatürliche Kälte hatte sich in ihm ausgebreitet und erstickte jede noch so kleine Gefühlsregung. Ebenso gut hätte er sich die Börsennachrichten durchlesen können.
Schlagartig fiel diese Kälte von ihm ab und es war, als würde er seit Wochen zum ersten Mal wieder die Augen öffnen. Er sah diesen Wahnsinn und begann, nachdem er das Mikro deaktiviert hatte, wie ein Kind zu weinen. Mehrere Minuten stand er da, betrachtete diese Szenerie der unkontrollierten Gewalt und lies seinen Tränen freien Lauf. Anfangs hatte sich ja alles richtig angehört. Archon-Prinzessin Steiner-Davion hatte ihnen gesagt, daß sie den Wahnsinn, den ihr Bruder Prinz Victor heraufbeschwor aufhalten müssten. Aber sie selbst waren zu Avataren eben dieses Irrsinns geworden.
Wie viele Freunde hatte er schon verloren?
Wie viele seiner Opfer waren an der gleichen Akademie wie er gewesen, hatten die gleichen Vorlesungen an Killbourne besucht wie er und alle hatten den gleichen Schwur geleistet und die gleiche Uniform getragen wie er?
Wie hatte das nur geschehen können?
Ihm stand auch das Bild vor Augen, um das sie so einen Wirbel bemacht hatten. Ein gewisser Newmark hatte die Archon-Prinzessin als blutgieriges Monster dargestellt.
Damals hatte er sich auch fürchterlich darüber aufgeregt, wie man ihr, die sie nur den Frieden für das Vereinigte Commonwealth im Sinn hatte, nur so etwas andichten konnte.
Heute erschien ihm Newmarks Bild realer als alles, was die Medien verbreiteten.
Das Brüllen von Mia und Thomas riss ihn aus seinen Gedanken.
"Henry, wach auf! Die Anderen sind in Schwierigkeiten!", dröhnte die Stimme von Thomas aus seinen Kopfhörern. Er aktivierte das Mikro wieder und antwortete: "War wohl kurz weggetreten. Führ uns hin, Mia!"
Die Chimera wendete und er trottete hinterher.
Kurze Zeit später waren sie da.
Mia und Tom stürzten sich ohne Zögern über den Bergkamm in die Schlacht. Er aber konnte nur wie in Trance dastehen und voller Horror betrachten, was sich da im Tal unter ihm abspielte. Seine Kompanie war in eine Patroullie der Crucis Lancer gelaufen und lies nun den ganzen Frust, die ganze Wut der letzten Wochen an ihnen aus. Von der Crucis Lancer Lanze waren nur noch zwei Maschinen übrig.
Ein Bushwacker und ein Emperor, über die nun die Hölle hereinbrach.
Mia und Thomas kamen aus dem Rücken des Bushwacker und brachten ihn gleich mit der ersten Salve in den Rücken zu Fall. Dessen Pilot versuchte sich mit dem Schleudersitz aus seiner sterbenden Maschine zu retten. Kaltblütig stoppte Thomas seinen Hellspawn und schoss den Bushwacker-Piloten mit einer Wand aus Laserimpulsen aus der Seide.
Gleichzeitig schwenkte der Rest der Kompanie auf den Emperor ein. Laserimpulse, PPK-Blitze, Leuchtspurgeschosse, Raketen und Gaußkugeln zuckten in den Emperor, während dessen Pilot versuchte, sich möglichst teuer zu verkaufen. Wie ein Mensch bei einer Sturmböe lehnte er sich in den Beschuss und versuchte tapfer, auf den Füssen zu bleiben. An Flucht war für den gegnerischen Piloten nicht zu denken. Aus dem Rücken schlossen Mia und Thomas auf, von vorne der Rest und an der einzigen passierbaren Seite stand sein Uziel.
Seine Gedanken überschlugen sich. Er war wie gelähmt.
Das war nicht der ehrenvolle Kampf von dem ihm sein Vater erzählt hatte.
Das war eine Hinrichtung!
Nun konnte er beobachten, wie der Emperor endlich nach einem erneuten schweren Treffer zusammenbrach. Doch das Feuer verstummte nicht. Wieder und wieder geißelten Treffer den nun bewegungslos daliegenden Mech und brachten ihn schließlich zur Explosion.
Henrys Hände verkrampften sich um seine Joysticks voller hilfloser Wut. Mehr unbewusst als bewusst versuchte er, indem er in den nächsten Mech, Xaviers Cestus, Salve um Salve pumpte, seine Leute von ihrem Tun ab zu halten.
Er merkte nicht mehr, daß er lauthals über die offene Frequenz "Neeeiiiinn!!!" brüllte.
Seine Tränen hatten ihm schon längst die Sicht genommen.
Sogar jetzt noch stand das brennende Wrack des Emperor vor seinem geistigem Auge. Irgendwie, irgendwann hatte er den Uziel in Bewegung gesetzt und stolperte mehr als er lief den Hang hinab um das Unvermeidliche abzuwenden.
Das letzte jedoch was er hörte, bevor eine Gaußkugel von Hauptmann Matts Falconer in seinem Kopf einschlug, war dessen verächtliche Stimme: "So ergeht es allen Verrätern...!"
Gerade als Mia ihn aus der Pilotenliege zog, schlug er wieder die Augen auf. Allerdings wusste er nicht was um ihn herum passierte. Er starrte immer noch auf die brennenden Überreste des Emperor hinab. Nichts um ihn herum war wichtig. Aus weiter Entfernung registrierte er ihre Stimme, die ihn beschwor zu erzählen was mit ihm los sei. Aber das war irrelevant. Vor seinem geistigen Auge sah er all die Opfer dieses Krieges, die er hatte mit ansehen müssen. Da waren verwüstete Landstriche und Dörfer, zerschossene Gefechtfahrzeuge und von Schrapnell zerfetzte Soldaten und Zivilisten. Da war auch die Bilder, als Thomas den alliierten Piloten mitsamt seinem Schleudersitz im Laserimpulshagel verdampft hatte. Er erinnerte sich an all die Gespräche in denen sie ihren Hass auf "Victors Rebellen" geschürt hatten. All die Wut über getötete Kameraden und zerbrochene Hoffnungen. Nichts anderes war für ihn noch real. Er bemerkte nicht einmal mehr, als sie ihn aus seinem Cockpit zogen und zu den Verwundeten verfrachteten. Außerdem hatte er das Glück, die folgenden Monate des Bürgerkrieges nicht mehr aktiv erleben zu müssen. Er hatte auch keine Ahnung, daß irgendwann Marlette durch die Alliierten erobert wurde und ihn nun die Ärzte des "Feindes" pflegten. Auf der anderen Seite wäre es für ihn wahrscheinlich gnädiger gewesen irgendwann das Opfer eines Gaußschusses zu werden. So erlebte er Monate in denen sein Kopf vor dem unsäglichen Horror zu zerspringen drohte, der ihn mittlerweile vollends in den Klauen hatte. An seinen guten Tagen, an denen er nicht nur voller Pein schrie bis ihm jemand durch chemisch herbeigeführte Bewusstlosigkeit erlöste, fiel er vor irgendwelchen Leuten auf die Knie und entschuldigte sich bei seinen imaginären Opfern und flehte um Vergebung. Dann kam allerdings schnell wieder der Horror, der ihn regelrecht zu Boden warf. Und das Personal betäubte ihn dann sofort wieder.
Der Tod ist also nicht unbedingt das schlimmste Schicksal.
Die schlimmste Hölle tragen wir nämlich stets bei uns...
Das Erwachen
05.04.2023
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