Adrenalin II - Das 13. Kapitel

05.04.2023

Woche Elf
Tharkad City, Tharkad
Mark Donegal, Vereinigtes Commonwealth
1.2.3055

Sie saß an einem Tisch im McMurphys und sah hinaus. Es schneite heute zwar nicht, war aber kalt. Aus dem noch kälteren Norden war ein Kältehoch über ihre Köpfe hereingebrochen und brachte ihnen neben strahlendem Sonnenschein Temperaturen von annähernd Zwanzig Grad Minus mittags.
Carmen fand diesen Sachverhalt äußerst interessant. Sie konnte so etwas als angehende Planetologin natürlich verstehen und erklären. Es war selten, dass sich ein stabiles Kältehoch über der Stadt befand. Andererseits war das nicht so interessant, dass es sie von ihrer Abschlussarbeit ablenken konnte.
Aber sie gönnte sich heute und hier immerhin eine kleine Pause bei einer Tasse Kaffee, während sie ihre Unterlagen neben der Tasse ausgebreitet hatte und nebenher Texte für ihre Arbeit las.
Das Ganze sagte ihr immer mehr zu. Natürlich suchte man sich für eine Abschlussarbeit kein Thema, das man nicht mochte, allerdings fand sie allmählich wirklich Gefallen daran, wobei sie eigentlich gedacht hatte, mehr der Meteorologie als der Rohstoffgewinnung zugetan zu sein. Sie konnte sich vorstellen, so etwas später weiter zu machen. Vielleicht als Chefplanetologin eines kompletten Raumsektors. Sie grinste einen Moment amüsiert. Oder sie wurde Doktorin und lehrte hier. Beide Varianten erschienen ihr zukunftsträchtig.
Sie blickte hoch, nippte an ihrem Kaffee. Als sie Ellen an einem Ecktisch sitzen und frustriert an die Wand starren sah. Vor der Militärhistorikerin lag ein kleines Buch.
Carmen warf ihr ein höfliches Begrüßungslächeln zu, das Ellen nicht erwiderte, obwohl sie Carmen sah. Die Planetologin zögerte kurz. Recht unhöflich, die Dame. Natürlich waren Stundenten in Prüfungssemestern generell durch den Wind... Ah ja, die Prüfung. Hatte sie die nicht heute gehabt?
Carmen stand auf, ging kurz zu Ellen herüber: "Und? Wie lief´s?"
Ellen sah sie mit glasigen Augen an und murmelte: "Durchgefallen."
Als sie wegsah, das Buch in die Hand nahm, Carmen ignorierte und das Buch bei Kapitel Dreizehn aufschlug.

Kapitel Dreizehn
Lovely Home, Liezen
Tamarpakt, Vereinigtes Commonwealth
23.2.3032

Er hatte eine Weile gebraucht, um sich von dem letzten Gefecht zu erholen.
Kozewsky war eigentlich jemand, der gut einstecken konnte, aber diesmal war es anders gewesen. Die Dracs hatten gut ausgeteilt. Zugegeben, der Hinterhalt war auch erstklassig gestellt worden. Vermutlich war er auf dem Mist eines oder mehrerer DEST gewachsen. Die Lyraner wussten natürlich nicht, ob ein DEST an dem Hinterhalt teilgenommen hatten oder ob sich jemals mehr als ein DEST hier auf Liezen befunden hatten, allerdings trug das letzte Gefecht nicht die Handschrift eines dilletanischen Hobbytaktikers.
Kozewsky knurrte kurz, dachte daran, wie er diesen DEST wohl umbringen würde, wenn er ihn in die Finger bekam. Da war jetzt eine offene Rechnung. Erkow war zwar wieder bei Bewusstsein, aber er würde noch einige Wochen an sein Krankenbett gefesselt sein. Eine Sache, die Kozewsky wütend machte. Ganz abgesehen davon, dass Erkow und sein Mech beinahe in Stücke geschossen worden waren. So was geschah zwar nun mal bei InFights, allerdings fand es Kozewsky trotzdem ärgerlich.
Überhaupt war die Bilanz der ausgeteilten und der eingesteckten Schäden diesmal klar für die Dracs entschieden worden, auch wenn die Lyraner noch immer weitaus mehr Streitkräfte auf diesem Planeten hatten.
Die Lyraner hatten zwar vier draconische Mechs, einige Schweber und Panzer ausgeschaltet, dazu hatten eine Menge draconische Infanteristen ihr Leben lassen müssen, aber der Blutzoll war hoch gewesen. Zu hoch. Von Schmitts Aufklärungslanze war nur noch ein Locust übrig, dazu hatte die Kampflanze den Griffin verloren, Wellerbeins Befehlslanze hatte eine Banshee und den Stalker verloren und die PyroLanze hatte Erkows HermesII verloren. Die meisten der Piloten waren zwar noch am Leben, aber bedachte man, dass der Rest übel zusammengeschossen war und sie zwei volle Panzerkompanien und sieben Warrior verloren hatten, ging diese Runde klar an die Schlangen. Sarah war irgendwie ohne Beschädigungen durchgekommen. Vielleicht auch ganz gut so. Auch nur ein Treffer irgendeiner mittelschweren Waffe würde den Ferret vermutlich in der Luft zerfetzen.
Ein Raunen ging durch den Raum, die Gespräche erstarben.
Katek mitsamt seinen Einzelkommandeuren betrat den Briefing-Raum. Kozewesky spitzte seine Ohren. Der Major und Oberkommandierende wirkte angeknockt, während Rob Kozewsky sogar auf einige Entfernung das wütende Feuer in Wellerbeins Augen sehen konnte. Der Hauptmann der MechKompanie wollte das, was da vor ein paar Tagen geschehen war, wohl nicht auf sich sitzen lassen.
Katek trat ans Rednerpult.
"Ich möchte, dass wir in drei Tagen wieder ausrücken und dieser Rebellion ein Ende setzen."
Wieder war Raunen zu hören. Kozewsky war kurz davor, laut loszulachen. Meinte diese Offiziersnull ernst, was er da eben gesagt hatte??
"Wir sind böse erwischt worden, allerdings haben die Dracs auch Einheiten verloren. Ich gehe davon aus, dass die Lage nicht ganz so düster ist, wie das einigen von uns erscheint. Sie haben vielleicht mehr Rekruten als wir, aber wir haben immer noch mehr Mechs, Panzer, Senkrechtstarter und Gewehre. Und in etwa drei Tagen werden die meisten unserer Mechs und Panzer wieder repariert sein. Jetzt resigniert die Köpfe hängen zu lassen ist genau was die wollen."
Stille.
Objektiv betrachtet hatte er recht. Andererseits...
Kozewsky wandte sich zur Seite und raunte Sarah zu: "Könnt klappen, auch wenn´s dumm klingt."
"Wieso dumm? Er hat recht." Sie sah Rob herausfordernd an.
"Ist halt riskant."
"Haben Sie ihm nicht zugehört, Kozewsky? Katek sagte doch schon, dass die Dracs genauso fertig wie wir sind."
"Und woher weiß er das, hm?" Flüsterte er und verschränkte seine Arme.
"Unsere Berichte..."
Er lachte leise und abfällig und unterbrach sie: "Ist alles Dreck!"
"Sie waren da. Sie wissen, dass die Berichte korrekt sind, Kozekswky."
"Sicher. Und ich weiß, dass in dem Laden hier nie was so lief wie geplant."
"Wie meinen Sie das?" Sarah blickte ihn irritiert an.
"Warst nicht im Krieg, Prinzesschen. Kannst gar nicht beurteilen."
Sie rollte mit den Augen: "Ach, jetzt kommen Sie mir nicht mit diesem ´Du-bist-neu-und-weißt-sowieso-nichts´-Schrott!"
"Stimmt aber. Außerdem sind DEST bei den Dracs. Ist immer gefährlich."
"Vielleicht sind schon längst alle DEST tot."
"So?" Er hob seine Augenbrauen. "Willst´ dich verlassen drauf?"
Sie sah weg, schwieg.
Er fuhr fort: "Außerdem bleibt Frage, ob wir gegen alle Dracs gekämpft haben."
"Den Scouts nach haben sie nichts mehr."
Er lachte lauter auf. Einige Offiziere sahen irritiert und ein wenig verärgert in seine Richtung. Kozewsky war das egal. Er hatte keinen besonders großen Respekt vor den Klugscheißern, die hier versammelt waren und das würde auch nie anders werden. Seine Meinung von Offizieren war nie sehr groß gewesen.
Leute, die in einer Schlacht, mitten im Gewimmel, so taten als würden sie sich Taktiken ausdenken waren ihm suspekt. Die meisten davon waren einfach nur dumm oder feig. Der Sinn einer Schlacht bestand darin, dass man seine Feinde tötete. Nicht darin, dass man darüber nachdachte, wie man sie tötete.
Barny machte es richtig. Barny dachte vorher und während des Gefechtes handelte er.
Die Mehrzahl der lyranischen Offizieren sah dies leider immer noch anders.
"Scouts! Scouts können sich irren."
"Hm? Passen Sie auf, was Sie sagen. Bevor ich in Ihre Lanze kam war ich auch Scout."
"Dann weißt ja sicher, dass die ihre zusätzlichen Mechs, Panzer oder was immer tarnen können. Und wir haben keine Satelliten oder anderes HighTech-Zeug, um das ohne Sichtkontakt aufzuklären."
Sie schwieg. Offenbar hatte er da einen wunden Punkt erwischt.
Er wandte sich wieder Katek zu.
"...sich in einer Höhle mitten auf einem Plateau der Owen-Wüste. Ich nehme an, dass die Verteidigung des Rebellenstützpunktes sehr gut ausgebaut ist. Der Überraschungseffekt kommt vermutlich auch nicht in Frage. Sie werden uns in dem offenen Gelände dort schon auf etliche Kilometer sehen, weswegen wir so etwas gar nicht versuchen sollten."
Er setzte kurz ab.
"Deswegen werden wir frontal angreifen."
Er trat zur Seite und ließ Hauptmann Wellerbein ans Rednerpult.
Rob blickte Katek mit offenem Mund an. Ja war der denn verrückt? Ein Frontalangriff??
"Ein Frontalangriff" begann Wellerbein sofort, "wird Opfer fordern, dass ist sowohl mir als auch Major Katek klar. Allerdings haben wir weder das Material, noch die Zeit, um dieses Problem anders zu lösen."
"Wieso hungern wir sie nicht aus?" rief Barny nach vorne.
Richtig. Sollten sie doch hungern.
"Uns fehlt die Zeit, Leutnant Ellick. Die Bevölkerung findet es sehr gut, wenn wir Schlachten gegen eine draconische Rebelleneinheit verlieren. Wenn wir warten, haben wir es bald mit einem ausgewachsenen planetaren Aufstand zu tun."
Ellick nickte. Genauso wie Rob. Die beiden MechKrieger mussten zugeben, dass Wellerbein und Katek in diesem Fall recht hatten.
"Und wie soll das mit dem Frontalangriff funktionieren, ohne dass wir alle draufgehen?" rief Ellick wieder vor.
Wellerbein lächelte. Lächelte raubtierartig. "Ich sagte doch vorhin, dass wir keinen Überraschungsangriff ausführen. So ganz stimmt das nicht..."

Kozewsky saß auf den Stufen des Hauptquartiers und starrte in den Morgen hinaus.
Kateks Plan war schlussendlich doch vertretbar, auch wenn andere das nicht so sahen.
Ihm war das egal. Ihn fragte auch niemand. Was vielleicht auch ganz gut war. Er handelte lieber als unnötig lange zu reden – oder zu denken.
Er hörte Schritte hinter sich und war nicht sonderlich überrascht, dass Sarah auf ihn zukam und sich stumm neben ihn setzte. Sie starrte hinaus, sah einige Infanteristen und Angestellte des Stützpunktes vorbeigehen. Fast alle Angestellte, die an ihnen vorbeigingen, waren Draconier.
Nach einem weiteren Moment seufzte sie leise.
Kozewsky sah zu ihr herüber: "Überraschst mich, Prinzesschen."
Sarah verdrehte ihre Augen: "Wieso können Sie mich nicht einfach bei meinem Namen nennen, Rob?"
Er grinste sie breit an: "Is´ gut, Sarah."
Wieder übernahm die Stille die Kontrolle zwischen ihnen, während zwei MechKrieger aus Wellerbeins Kampflanze an ihnen vorbei gingen. Sarah lehnte sich zurück und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. "Inwiefern überrasche ich Sie?"
"Hätte nicht gedacht, dass du soviel Mumm hast."
Sie sah ihn amüsiert an: "Das ist das Einzige, das Sie an mir überrascht?"
Er nickte.
"Ich habe noch viel mehr Mumm als Sie glauben... Wollen wir weggehen, Rob?"
Kozewsky starrte sie verwirrt an. Hatte er sich gerade verhört?
"Eh??"
"Weggehen. Sie wissen schon. So wie Freunde. Oder wie Lanzenkameraden."
"Hm, wo willste´ hin?"
Sie lachte gemein und rief einem der draconischen Angestellten ein "Stop!" zu. Der Mann zuckte zusammen und sah die Hubschrauberpilotin irritiert an.
"Wo geht´s hier zum Roten Drachen?"
Der Draconier sah sie fragend an. Kozewsky fragte etwas auf Japanisch. Mit starkem Akzent und sehr rustikal. Für einheimische Ohren musste sein Versuch, Japanisch sprechen zu wollen, schrecklich klingen.
Der Mann deutete in eine Richtung, offenbar erleichtert, dass man nichts anderes von ihm wollte und ging dann schnell weiter.
"Sie sprechen Japanisch?"
"Ja. Zumindest ein paar wenige Wortfetzen." Grinste Kozewsky wieder über beide Ohren. "Aber willst´ da wirklich hin? Die versteh´n da wenig Spaß so tief in der Innenstadt. Ist fast ´ne Provokation."
"Ach, ich pass´ schon auf Sie auf, Rob." Lachte sie ihn belustigt an.

Kapitel Dreizehn Ende

"D... darf ich mich dazu setzen?"
Ellen sah nicht auf. Nein, darfst du nicht! Geh weg! Sie sagte nicht, was sie sich dachte, sondern nickte einfach.
July setzte sich langsam an den Tisch.
Bis sie leise sagte: "Wenn du wenigstens weinen würdest."
"Bitte??"
"Also, wenn du eine Emotion zeigen würdest..."
Ellen sah hoch und zischte scharf: "Dann was?"
"Dann wüsste ich wenigstens, was ich zu dir sagen könnte."
"Halt einfach den Mund, July."
Sie bereute sofort, was sie gerade gesagt hatte.
July stand leise auf und meinte leise: "Ist in Ordnung. Wenn du quatschen willst, weißt du ja, wie du mich erreichen kannst."
Sie ging zur Tür der Bar, als sie hinter sich Ellens Stimme hörte: "Es tut mir leid."
"Was tut dir leid?"
"Dass ich in den letzten Wochen so war wie ich war."
July lächelte kurz: "Schau einfach bei mir vorbei, wenn du willst." Dann ging sie aus dem McMurphys.


Älterer Artikel von mechforce.de. Nicht mehr online.




Kommentare

Bisher noch keine Kommentare.

  Kommentar abgeben
Name:
Text:
 


Erstversion vom 05.04.2023. Letzte Aktualisierung am 05.04.2023.


[ nach oben ]