Adrenalin II - Das 3. Kapitel

05.04.2023

Woche Zwei
Tharkad City, Tharkad
Mark Donegal, Vereinigtes Commonwealth
25.11.3054

Hier in der Bibliothek würde sie niemand stören. Nicht an einem Dienstag Abend, wenn der durchschnittliche Student gerade dabei war, sich TriVid-Soaps anzusehen.
Ellen saß an einem der Bibliothekscomputer. Das Intranet der Universität war wirklich gut und an einem Computer zu lernen, hatte Vorteile. Schon alleine das Schleppen der Bücher, das wegfiel. Nicht zu vergessen, dass manche Informationen nur noch digital zu bekommen waren. Und dennoch standen hinter ihr etliche Regale voller Fachbücher, die viel genutzt wurden. Ellen lernte wie viele andere auch lieber aus einem Buch.
Sie seufzte, verscheuchte ihre Gedanken. Sie wollte jetzt endlich mal zum Lernen kommen, ohne dass ihr irgend jemand dazwischen kam. Gut, realistisch betrachtet war noch viel Zeit und sie hatte ja auch immer schön brav in den Kursen aufgepasst und mitgeschrieben. Und es bestand kein wirklicher Grund, sich verrückt zu machen. Aber... wenn nun etwas in der Prüfung gefragt werden würde, was sie nicht gehört hatte, wenn sie etwas Banales gefragt wurde und nicht wusste, wenn...
Oh Gott, wann musste sie sich eigentlich anmelden??
Besser nicht dran denken. Besser an gar nichts denken und einfach nur lernen. Im Moment die beste Idee.
Sie blickte kurz in eines der Bücherregale.
Sollte sie?
Eigentlich interessierte es sie ja schon, wie es auf Liezen weiter gegangen war. Sie hatte gewissermaßen damit angefangen und wenn man mal etwas anfing, musste man es auch zuende bringen.
Gut, sie hatte keine Zeit dafür. Aber hatte sie für irgend etwas Zeit? Andererseits, je mehr sie darüber nachdachte, desto weniger hatte sie von ihrer Zeit.
Sie schaltete den Computer ab, stand auf, ging ein paar Schritte und zog das kleine Buch aus dem Regal.
Als jemand mit Büchern bepackt den Lesesaal betrat.
Ellen sah zur Seite, erkannte die Planetologin von letztens, Carmen, und verzog kurz ihr Gesicht. Nicht schon wieder jemand, den sie kannte und mit dem sie reden musste, nur um höflich zu wirken. Sie verlor ja schon genug Zeit.
Sie bereitete sich auf einen Anflug unnützer Höflichkeitsphrasen vor, als...
Carmen wortlos an ihr vorüberging, ihren Blick ganz auf ihre Bücher gerichtet, sich dann neben sie setzte und zu lesen begann.
Ellen betrachtete sie fasziniert und dankbar. Dann schlug sie das Liezen-Buch auf.

Kapitel Drei
Point Hope, Liezen
Tamarpakt, Vereinigtes Commonwealth
29.1.3032

Etwas klickte im TakKom des HermesII.
"Sagen Sie, Valerius..."
"Ja, Sarah?"
"Eh, nichts."
"Hm?"
"Ach, mir schoss nur ein Gedanke..."
"Zuckerschnecke mag dich!" tönte plötzlich Kozwskys Stimme durch das TakKom. Val konnte richtig hören, wie Sarah ihre Augen verdrehte. "Kozewsky, ich hatte nicht mit Ihnen geredet."
"Egal, Prinzesschen. Sagst es im TakKom. Wennst ungestört mit ihm reden magst, benutz´ andere Frequenz."
"Ruhe!" donnerte die Stimme von Barny Ellick durch das TakKom. "Sarah, halten Sie Ihre Klappe und setzen Sie Ihren Zielanflug fort. Val, du passt auf deine Position auf! Rob, du machst was man dir sagst und hörst das Denken und vor allem das Reden auf!"
Valerius grinste und wandte sich wieder der Realität zu.

Die Lanze war im Training, etwa fünfzig Kilometer vom Stützpunkt entfernt und führte dort einige Manöver aus.
Es war zwar kurz die Frage aufgekommen, ob man die neue Taktik nicht zuerst in Simulatoren austesten sollte, aber Ellick hatte augenblicklich erklärt, dass er solche Spielereien nicht wünschte und er es für sinnvoller hielt, Sarah der realen Gefahr der Manövermunition auszusetzen.
Der Leutnant hatte dann volles Dutzend Flakgeschütze hier aufstellen lassen und diese mit Hartgummiprojektilen laden lassen, die bei weitem nicht dieselbe Wirkung wie echte Munition entfalteten, aber unvorsichtigen Piloten sehr wohl gefährlich werden konnten und in der leichten Panzerung eines Ferrets Dellen oder sogar richtige Schäden hinterlassen konnten.
Anfangs hatte Sarah, so wie alle Anfänger, diese Geschosse unterschätzt, hatte aber bald gelernt, dass auch Hartgummigeschosse sehr unangenehm sein konnten, vor allem wenn man, wie Sarah, durch eine Salve dieser Projektile durchflog. Die Wucht der Aufschläge und die Menge der Geschosse, die in diesem Moment getroffen hatten, hatte ihr die paar Panzerplatten an der Unterseite des Helikopters ruiniert, die ihr Helikopter dort unten hatte.

Inzwischen war sie seit fünf Tag hier und Erkow hatte Sarah inzwischen etwas besser kennen gelernt.
Er mochte sie. Nicht nur weil sie jung, hübsch und offensichtlich ohne Beziehung war. Nun gut, er gab zu, das machte sie sogar noch sympathischer. Allerdings war sie auch so ganz in Ordnung. Sie war höflich – eine Ausnahme, wenn man in Ellicks Lanze Dienst tat. Dazu hatte sie Humor – was unter einem Kommandeur wie Ellick überlebenswichtig war – und schien auf den ersten Blick kompetent. Die Mannschaft von Point Hope hatte sie genauso schnell akzeptiert wie sie die Mannschaft akzeptiert hatte.
Erkow war sich zwar sicher, dass sie hier nicht so ganz hinein passte, aber er hatte sich anfangs auch nicht an Ellick und seinen Haufen gewöhnen können.
Ellick war sowieso schwer zu verstehen. Eigentlich war er ja ganz in Ordnung. Außerhalb seines Mechs war der Leutnant ein netter Kerl, etwas verplant und chaotisch. Ein verwirrter, lieber Verrückter, der besonders gerne gegen die Regeln der Disziplin verstieß, gegen das korrupte System wetterte und über das Wesen des Universums philosophierte. Schwierig wurde es, wenn er in dem Cockpit seines Firestarters Platz nahm. Wenn er in seinem Firestarter saß, geschah etwas Böses mit dem Leutnant. Es war, als wenn die dunkle Seele, die der Mech offensichtlich hatte, von Ellick Besitz ergriff, die Dämonen in ihm befreite und den lieben Spinner zu einer Bestie werden ließ.
Sarah schien das ganz gut zu verkraften. Vielleicht tat sie auch nur so. Oder sie war sich des Ausmaßes von Ellicks Dachschaden nicht ganz bewusst.
Mit Kozewsky hatte sie anscheinend so ihre Schwierigkeiten. Zugegeben, Robs Humor war eigenartig, aber dennoch wunderte es Valerius, dass die beiden Anlaufschwierigkeiten hatten. Kozewsky hatte lediglich eine harte Schale und das einzige, das an dem MechKrieger furchterregend war, war sein Anblick im Dunkeln. Rob hatte dann etwas von einem psychopathischen Massenmörder, aber ansonsten war Kozwesky in Ordnung. Abgesehen davon, dass er eine Schwäche dafür hatte, durch seine recht eigenwillige und ordinäre Sprache Vorgesetzte zu beleidigen und sich bisher damit um jede Beförderung gebracht hatte.
Was sie von ihm hielt, wusste Valerius Erkow nicht. Anscheinend genügte es Sarah, dass er da war. über ihn musste man nicht nachdenken. Neben Persönlichkeiten wie Ellick oder Kozewsky wirkte er natürlich etwas blass. Bis er herausbekam, wie er in ihrer Gunst stand würde er ganz einfach seine halbherzigen Annäherungsversuche fortsetzen, die sie in aller Regel mit einem höflichen Lächeln quittierte. Erkow hatte sich den Ruf, ein stilloser Frauenheld zu sein, hart erkämpft. Und eigentlich machte es ihm auch Spaß, Anfängerinnen wie Sarah zu ärgern.


Er verscheute seine Gedanken, blickte nach oben zu dem Helikopter. Bislang hatte Sarah keine besonders gute Figur bei den Manöverflügen gemacht, was Ellick wenig amüsierte. Der Ferret wurde bisher mit achtzigprozentiger Wahrscheinlichkeit immer vom Himmel geholt. Dieser hohe Wert schien sie wirklich zu frustrieren, auch wenn es Ellick darauf angelegt hatte. Die Position, Aufstellung und Konzentration der Flakgeschütze zielte darauf ab, dass sie gar nicht durchkommen konnte.
Das ärgerliche daran war, dass sie kein Einzelmanöver flog, sondern zusammen mit den drei Mechs operierte. Er und Kozewsky hatten zwar noch keinerlei Kritik geäußert, aber es war wirklich nervtötend, dass sie das Angriffsszenario, das Ellick gewählt hatte, immer neu starten mussten, weil Sarah ihren Part nicht schaffe.
Aber das gehörte auch zum Training. Der Pilot des HermesII wusste das. Wie gesagt, Ellick war ziemlich widerlich im Einsatz und er schuf diesen Druck absichtlich, um alles von der Pilotin zu fordern, das Beste und Schlechteste aus ihr herauszuholen. Dennoch war es ärgerlich.

Etwas piepste im Cockpit des HermesII. Valerius starrte verärgert zu dem Helikopter und hörte dann Ellicks Stimme im TakKom: "Szenarienende. Feldwebel Anderson hat sich zum wiederholten Mal abschießen lassen. Wir fangen neu an."


Der Morgen war still, fast malerisch
Nicht, dass das die Temperaturen hier angenehmer machte. Leutnant Freddy Radovic wusste, dass es hier, mitten im Zentrum der Owen-Wüste keine angenehmen Temperaturen gab. Egal, wie schön der Morgen war. Während der Tage war es heiß hier. Sehr heiß. Radovic hasste die Hitze. Genauso wie er die Kälte der Nächte hasste.
Was nicht wirklich einen Unterschied machte. Es war so wie es war und so blieb es. Unabhängig davon, ob der Leutnant es mochte oder nicht. In gewisser Weise war das nun einmal das Schicksal der Garnison in dieser kleinen Stadt, die mitten in dieser hässlichen Wüste lag.
Nicht, dass die Bewohner der Stadt nicht versuchten, sich das Leben so angenehm wie möglich zu machen.
Es gab hier sogar ein oder zwei netter Absteigen, in denen man zumindest die Kehle abkühlen konnte und dann gab es noch die Höhlen, die etwa fünfzig Meter in die Tiefe führten und angenehmere Temperaturen aufzuweisen hatten.
Aber natürlich waren die meisten Bewohner dieser Stadt an das Höllenklima angepasst und hatten sich im Lauf der Generationen damit arrangiert.
Für die lyranische Garnison war es allerdings hart. Die meisten Lyraner aus der kleinen Infanteriegarnison, die hier ihren Dienst tat, waren einfach andere Klimate gewöhnt.
Dass die Lyraner hier nicht als Befreier gesehen wurden, sondern wie überall sonst auf Liezen als Aggressoren und Besatzer, besserte die Lage nicht. Der größte Teil der Bevölkerung hing noch immer den draconischen Machthabern nach und ein zweiter, kleinerer Teil wünschte so etwas wie eine autonome rasalhaagische Herrschaft. Mit einer lyranischen Besatzung war so recht niemand zufrieden.
Radovic seufzte, warf seine abbrennende Zigarette auf den staubigen Boden und sah ihr kurz beim Abbrennen zu. Der Anblick faszinierte ihn. Er konnte allerdings nicht sagen, wieso.
Als er sich gerade umdrehen wollte, um den morgendlichen Anblick hinter sich zu lassen, hörte er etwas. Etwas, das wie näher rückende Mechs klang.
Er hörte genauer hin. Ja, kein Zweifel.
Wollte Wellerbein hier ein Manöver abhalten? Musste wohl so sein.
Etwas verärgert, dass niemand ihm davon erzählt hatte, schloss er die Türe des Garnisonsstützpunktes hinter sich.


"Das war besser heute."
Erkow konnte sehen, wie Sarah ihren Leutnant verwirrt ansah. Mit Lob hatte sie wohl wirklich nicht gerechnet. Erkow auch nicht, wenn er ehrlich war.
Der Leutnant räusperte sich: "Die Rate der kritischen Treffer, die Sie heute gefangen haben, lag mit 68% relativ niedrig. Jedenfalls ist sie am Fallen. Das ist ein Fortschritt."
"Eh... Sie ist aber immer noch hoch."
"Das wird schon. Dieses Szenario ist ja auch nicht leicht zu fliegen." Ellick blinzelte sie amüsiert an.
Schritte.
Christin Piper betrat die Zentrale. Sie hielt ein Stück Papier in Händen, das sie Ellick wortlos übergab.
Der Leutnant überflog das Blatt kurz und meinte dann leise: "Wir rücken morgen nach Lovely Home aus. Abmarsch um Vier Null Null."
Erkow sah ihn fragend an: "Hat Wellerbein ein Manöver angesetzt?"
"Nein. Briefing für einen Kampfeinsatz. Gegen eine draconische Widerstandszelle."

Kapitel Drei Ende


Ellen schlug das Buch zu, lehnte sich zurück und gähnte kurz.
Außer ihr und Carmen war niemand mehr hier.
Die Militärhistorikerin blinzelte kurz zu Carmen herüber: "Sag mal..."
"Ja?"
"Was genau kann man eigentlich als Planetologin später machen?"
"Wieso fragst du?"
"Hm, Neugier."
"Achso." Carmen grinste, sah Ellen dann an: "Na ja, man kann in der Rohstoffbranche arbeiten, einen Planeten erforschen..."
"Brauchst man dafür nicht auch fähige Spezialisten?"
"Doch natürlich. Die braucht man immer. Aber ohne ´ne lenkende Hand wird das alles manchmal ein wenig konfus. Dann kann ich bei der Entdeckung neuer Systeme helfen und deren Potentiale zugänglich machen oder die Planeten an sich erforschen. Es gibt irre viel Interessantes da draußen."
"Hm."
Schweigen. Dann griff Ellen zu einem ihrer Bücher: "Na ja, ich muss dann weitermachen."
"Ja. Ich hab auch noch ein paar Sachen zu machen."
"Woran arbeitest du gerade?"
Carmens Augen glänzten kurz auf: "An meiner Abschlussarbeit."
"Oh, welches Thema?"
"Methoden zum Kupferabbau und Kupferrecycling. Am Fallbeispiel von Issaba und Poulsbo."
Ellen nickte. Und versuchte, dabei wie jemand auszusehen, der verstand, wovon Carmen überhaupt sprach.
"Und du?" fragte Carmen kurz.
"Ach... Nur für die Zwischenprüfung lernen."
Dieses Mal nickte Carmen, schlug dann ein Buch auf und machte damit deutlich, dass das Gespräch beendet war.


Älterer Artikel von mechforce.de. Nicht mehr online.




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Erstversion vom 05.04.2023. Letzte Aktualisierung am 05.04.2023.


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