Adrenalin I - Kapitel 13 - Todestanz

05.04.2023

Sitzung Zehn: Todestanz
Tharkad City, Tharkad
Mark Donegal, Vereinigtes Commonwealth
31.7.3054

Die Sonne Tharkads schien noch nicht lang, erst seit zwei Stunden hatte das Zentralgestirn des Systems seine ersten Strahlen auf diesen Teil des Planeten gesendet. Und seit einer halben Stunde war so etwas wie echter Sonnenschein erkennbar.
Nichts gegen die Dämmerung. John liebte diese Stunden des Tages... Einem glücklichen Zufall hatten sie es zu verdanken, dass alle sieben Personen dieses erlauchten Freundeskreises bereits am Mittwoch ihre letzte Klausur hinter sich gebracht hatten, manche davon waren doch eher mau verlaufen, aber zumindest waren sie vorüber, wie John etwas zerknirscht zugestehen musste. Jedenfalls hatten er und Sam, nachdem sie ihre letzte Prüfung Mittwoch Nachmittag hinter sich gebracht hatten, beschlossen, diesen Moment entsprechend zu feiern. Ein paar wenige Visiophonate, ein paar wenige Vorbereitungen und sie alle fanden sie plötzlich Mittwoch abends in einem der Naherholungsgebiete der Stadt wieder, an einem malerischen kleinen See und einem Plätzchen an einer einsamen Feuerstelle...
Irgendwann um eins beschloss man einstimmig, gleich im Anschluss zu diesem herrlichen Semesterausklang direkt und gemeinsam in die Wellerbein-Vorlesung zu gehen, um dort auch diesen Kurs in Ruhe ausklingen zu lassen.
Die Hitze der letzten Wochen war einer angenehmen Wärme gewichen, die zwar immer noch sommerlich war, doch schon viel kälter... Der Sommer auf Tharkad neigte sich bereits dem Ende entgegen und die Nacht war bereits ziemlich kühl gewesen, aber natürlich war es noch zu ertragen gewesen. Gegen sechs, als ihr Plätzchen wieder aufgeräumt war, hatten sie sich auf den Weg zur Uni gemacht...
Sie hatten ziemlichen Spaß gehabt. Irgendwie waren all die dummen Geschichten in dieser Nacht vergessen gewesen und dort an der Feuerstelle des Sees war der Geist der ersten Semesterwochen wiederbeschworen worden. Nihongi schien es immer noch traumhaft zu gehen, offenbar hatten sich Julys Worte auf dem Nagelring in seine Erinnerung gebrannt, während Sergej derjenige gewesen war, der die letzten Tage gegrübelt hatte.
Wellerbeins Angebot war einfach zu verlockend gewesen als dass Sergej es völlig beiseite gelassen hätte. Bereits am Sonntag Morgen hatte er das erste Gespräch mit Charles Mitchell geführt und am Montag hatte er eine, wenn auch völlig unwichtige, Klausur sausen lassen und war zu dem privaten Ausbilder gegangen. Angesichts des offensichtlichen Hasses, den Ellen Mechs gegenüber empfand, hatte man ja annehmen müssen, dass sie dazwischenging, um Sergej in seinem Vorhaben zu stoppen. Nichts geschah. Ellen saß still daneben und sah zu. Traurig, aber untätig... Es hieß, es habe bereits Samstag Abend ein klärendes Gespräch zwischen den beiden gegeben, in dem Sergej versprochen hatte, später hier auf Tharkad zu bleiben. Es gab da so viele Möglichkeiten... AgroMechs, ForstMechs, BergbauMechs... Und wenn er denn unbedingt einen BattleTech führen musste, dann gab es genügend Wachtruppen oder Polizeieinheiten, die händeringend nach Piloten suchten... Fast alle guten Leute gingen zu den VCS und genau das hatte Ellen ihrem Freund untersagt. Mechs führen, OK... Sich töten lassen, Nein! Trotzdem war sie alles andere als glücklich mit Sergejs Entscheidung, wonach er sobald als möglich die Uni beendete und bei Mitchell seine Ausbildung begann. Was ihn verändert hatte, was ihm Mut gegeben hatte und ihn zum zweiten Mal antrieb, seinen großen Traum zu verwirklichen, konnte John nur erahnen. Vielleicht Wellerbeins Worte, vielleicht die von Mitchell... oder die von Ellen? Egal. Jedenfalls schien er endlich wieder kämpfen zu wollen. Und das war eine Sache, die auch Ellen wieder glücklicher stimmte.

Sie erreichten den Vorlesungssaal kurz vor acht Uhr und setzten sich, nach Lagerfeuer, Natur und Zufriedenheit riechend, in die hinteren Reihen.
Der Saal füllte sich nur langsam. Allerdings fanden trotz des Semesterausklangs doch an die hundertfünfzig Studenten in den Raum. Immerhin etwas. Wellerbein trat nach einer zweiminütigen Verspätung mit einem amüsierten, leisen Lächeln ein, schlenderte vor an sein Rednerpult, baute seine 3D-Karte auf, trank - wie sollte es auch anders sein - den ersten Schluck aus seinem brühheißen Kaffeebecher und wartete, bis die Gespräche abebbten...
"So, meine Damen und Herren, heute möchte ich zum Abschluss dieses Kurses einmal einen Punkt ansprechen, der oft vergessen wird... Wie all die anderen Punkte, die ich Ihnen hier aufgezählt habe..." Er grinste sie wieder einmal etwas blöde an... "Es geht um extreme Außenbedingungen, vorzugsweise extreme Temperaturen... Man wundert sich ja hin und wieder als Soldat oder als niedriger Offizier, wie ich einer war, wie wenig der Faktor ´Außenbedingung´ in die Planung einer Invasion oder der Verteidigung eines Planeten mit einfließt. Dinge wie Relief, regionales Klima oder dergleichen sind natürlich feste Bestandteile der Planung, aber die planetaren Außenbedingungen werden kaum beachtet. Das Resultat davon ist dann, dass ein MechVerband, der vorzugsweise mit schnell heißlaufenden Energiewaffen bewaffnet ist, auf einem heißen Wüstenplaneten landet, auf dem man im Prinzip schon durchs Laufen erhitzt... Oder dass Sie mit einer Gruppe aus unterbewaffneten Mechs auf einer Eisöde landen, wo Sie feuern könnten, was das Zeug hält... Wie ich hörte, soll es durchaus verschiedene Kommandeure geben, die solches berücksichtigen - aber erstens ist mir noch keiner davon untergekommen und zweitens, vergeben Sie mir meine Worte, sitzen in der Logistikabteilung jeder Armee meistens unfähige Idioten, die dann genau das falsche Material auf die falschen Planeten entsenden... Und glauben Sie mir, das weiß ich aus leidvoller Erfahrung..."
Lautes, amüsiertes Lachen folgte. Der Dozent fuhr fort: "Unsere heutige Geschichte entführt uns ins Jahr 2985, auf einen Planeten namens ´Sigma Mare´, im Liao-Raum, an der Grenze zum Herzogtum Andurien... Verteidiger sind die Capellaner, Angreifer das Marik-Militär..."



Manchmal war es auch für einen alten Hasen wie Truppführer Aldo Brigsten schwer, sich im Militärsystem der Liga zurechtzufinden. Drei unterschiedliche Rangsysteme, eine Vielzahl verschiedener Uniformen, sowie etwa achtzig Teilstaaten mit unterschiedlichsten Traditionen erschwerten die Verständigung innerhalb und zwischen der Truppe ganz erheblich. So auch hier und heute. Das Sprungschiff, mit dem sie Sigma Mare erreicht hatten, war ein Schiff der Mariks, der Lander war regulanisch und die MechLanze, die all dies zum Abschluss bringen sollte schließlich anduranisch. Um die Sache noch komplizierter zu machen, war Brigstens Lanze auch nicht mehr als ein zusammengewürfelter, bunter Haufen. Er selbst war ein Regulaner mit typisch regulanischer Uniform, während der zweite Regulaner der Truppe, Stephan McMannon, zwar ebenfalls Regulus treu ergeben war, aber durch seine deutlich indivualisierte Uniform seinen gewaltigen Dickschädel demonstrierte und für zwei Jahren für Söldner gekämpft hatte, die nun ein lyranisches Rangsystem besaßen. Dana Fushiko, die Jüngste in der Lanze, war ihm erst neulich zugeteilt worden und hatte bisher für Andurien gekämpft. Die Frau machte durch kleine aber bösartige Nadelstiche immer wieder die Separationsbestrebungen ihres Volkes deutlich. Die vierte Person hieß Cindy Kovacevic, war ursprünglich unter der Herrschaft der Marik aufgewachsen, allerdings völlig unpolitisch. Cindy größte Sorge schien darin zu bestehen, dass ihre absolut modische und elegante ´Uniform´ nicht mehr dem neuesten Kleidungstrend entsprach.
Wenn man diese vier MechKrieger so sah, musste man wohl an alles denken, nur nicht daran, dass das hier eine kämpfende Truppe war. Aber genau das war der Punkt. Die vier waren Profis, mochten sie auch alles andere als uniform sein. Wenn es darauf ankam, verschmolzen sie und ihre vier, völlig unterschiedlich lackierten, Mechs zu einer absolut tödlichen Einheit.

Es war Nacht, als das regulanische Leopard-Landungsschiff die anduranische Lanze im Schutze eines gewaltigen Schneesturms absetzte... Brigsten musste kaum Worte verlieren. Kovacevics Spinne wagte sich als erster in die weiße Hölle, dann folgten die beiden Feuerfalken von McMannon und Fushiko und als letzter Mech trat sein Ostsol nach draußen. Natürlich war es unnötig, dass der Spinne, der ScoutMech, hier an erster Stelle heraustrat, immerhin waren da die Sensoren des Landungsschiffes, aber es war in Fleisch und Blut übergegangene Routine, dass die Scouts immer den Anfang machten. Das Ziel der Einheit war eine der wenigen Forschungsstätten des Planeten, die aber berühmt um ihrer immensen Erfolge im Bereich der Terraformung waren. Dort wartete ein Agent der Sekura auf die Lanze, der dort all die Informationen gesammelt hatte, die ihm capellanische Kanzler Tormax Liao wohl kaum freiwillig geben würde und die auch die Liga dringend benötigte. Es gab einfach viel zu viele Welten, auf denen Menschen trotz widrigster Bedingungen hausten. Sie würden dem Agenten, der vermutlich einen schnellen, aber ungepanzerten Schweber führen würde, Unterstützung und Geleit geben. Normalerweise war das ja nicht üblich, bei Operationen des Geheimdienstes schwere Geschütze aufzufahren, aber es war etliches bei der Informationsbeschaffung schiefgelaufen. Nach dem Mann wurde inzwischen planetenweit gefahndet und sämtliche Raumhäfen waren dicht. Er benötigte Hilfe und Brigsten war entsandt worden, diese zu leisten. Brigsten lächelte kalt. Sein Vorgesetzter hatte erklärt, dass es praktisch um das Wohl von Millionen Bürgern der Liga ging, die alle diese Informationen benötigten. Der Colonel hätte sich seine wenigen Worte auch sparen können. Brigsten verstand durchaus, dass es sich hier lediglich um den verletzten Stolz handelte. Der Generalhauptmann wollte etwas haben, das der capellanische Kanzler nicht hergab. Und nachdem Tormax Liao auch durch Handel oder Geld nicht überredet werden konnte, gebrauchte der Generalhauptmann eben List und Gewalt.
Es war wie bei den kleinen Kindern.
Der Truppführer trieb seine Lanze zur Eile. Vor dem letzten Briefing auf ihrem Lander hatte sie festgestellt, dass der Agent kaum mehr Zeit hatte und wohl demnächst gefasst werden würde... Dennoch gab es da Umstände zu bedenken. Sigma Mare mochte eine dreckige kleine Eiswüste sein, war aber dichtbesiedelt. Sein Vorgesetzter hatte ihm nur allzu deutlich erklärt, dass keine Seite, die an dieser Operation auch nur irgendwie teilhatte, Interesse an toten Zivilisten hatte. So etwas würde nur unnötiges Aufsehen erregen, das unerwünscht war... Folglich mussten sie peinlich genau darauf achten, wann und wo sie wen beschossen. Weiterhin war unerwünscht, die Forschungsstätten hier zu beschädigen. Mochte man Tormax ärgern wollen - wütend wollte man ihn keinesfalls machen. Militärische Verluste auf beiden Seiten sollten weiterhin auf ein Minimum beschränkt sein.
Es war wohl zu vermuten, dass die Sekura bei all diesen Bedingungen ihre Finger im Spiel hatte, die Leitung des Ligamilitärs, die LZKK, war eigentlich nicht so zimperlich. Es musste den Typen vom Geheimdienst schon mächtig im Magen liegen, dass sie die Lage ohne das Militär nicht mehr meistern konnten. Wahrscheinlich wäre es ihnen am Liebsten gewesen, wenn die Mechs unsichtbar gewesen wären.
Laut der Informationen der Analyseabteilung innerhalb der Sekura befand sich auf Sigma Mare als ständige Garnison ein volles MechBataillon, das durch Panzer und Infanteristen verstärkt wurde. Wobei allerdings in ihrem Gebiet, in den Außenbezirken einer mittleren Kleinstadt, nur zwei MechLanzen und drei Panzerkompanien zu erwarten waren, die gleichzeitig als Garnison für die westliche Arktisregionen galten. Jäger gab es nicht, auf ganz Sigma Mare nicht. Wohl ein paar wenige Senkrechtstarter, aber die waren nicht weiter beachtenswert. Alt, schlechtgepanzert und schwach bewaffnet würden diese Fluggeräte wohl nicht in die Kämpfe eingreifen. Die Sekura hatte ihnen sogar einen ganz besonderen Gefallen gemacht und übermittelt, welchen Typen die Mechs dieser beiden Lanzen waren. Wie nicht anders zu erwarten war, hatten sie es hier mit einer kompletten Lanze aus Verteidigern zu tun, sowie einer Lanze aus zwei Stadtkolossen, einer Hornisse und einem Skorpion.
Nichts atemberaubendes also, aber man durfte eine solche Truppe auch nicht unterschätzen. Vor allem die kombinierte Feuerkraft der vier Verteidiger konnte zum Problem werden. Diese Mechs waren für sich genommen keine Gefahren, aber wenn sie in Massen auftraten, mutierten sie nur allzu leicht zu einer undurchdringlichen Wand aus Vernichtung.

Fünf Stunden später hatte der Schneesturm zu toben aufgehört. Noch fiel Schnee, langsam und leicht, aber es war nur noch ein angenehmer, lichter Schneefall. Brigsten hatte sie an die Stadt herangeführt. Welcher Wahnsinn diesen allseits gesuchten Mann dazu bewogen hatte, zu der Forschungsstätte zurückzukehren, die er ausspioniert hatte, konnte der Truppführer nicht ermessen. Aber vermutlich wusste er schon was er tat, vermutlich war es draußen in der Wildnis dieses unwirtlichen Eisplaneten zehnmal gefährlicher als in einer Stadt unterzutauchen... Vermutlich... Brigsten hätte es anders gemacht, aber wer fragte schon Brigsten? Jedenfalls hatten sie den verschlüsselten Code ihres Agenten schon in der Dämmerung erhalten und nun, im Schutz des Schneefalls und der Nacht wagten sie sich in die Stadt. Es war nur eine Frage von Minuten, bis die ersten capellanischen Einheiten erscheinen würden, denn selbst wenn die Garnison zu blöd war, sie orten - was bei Capellanern schon mal vorkommen konnte - gab es wohl genügend Zivilisten, die angesichts unbekannter, durch ihre Stadt stampfender Mechs, zumindest in der Stadtverwaltung Alarm schlugen...
Der Schweber stand stumm und dunkel vor ihnen auf der Hauptstraße. Es war der einzige Schweber, den sie sahen. Sigma Mare mochte überbevölkert sein, aber wie der Rest der Konföderation arm. Wie die Bevölkerung es fertig brachte, hier in der Kälte zu überleben, geschweige denn, zu leben, konnte Brigsten sich nicht vorstellen. Plötzlich erwachte der Schweber, Licht in seiner Fahrerkabine ging auf und Aldo empfing wieder einen korrekten Code. Er sandte auf einer ganz bestimmten Frequenz eine
Fragesequenz und erhielt auf einer anderen, der vorher besprochenen, Frequenz, die korrekte Antwort im korrekten Code. Das war er. Brigsten gab das abgemachte Zeichen an seine drei Lanzenkameraden durch. Der Schweber setzte sich langsam in Bewegung und glitt leise durch die Straßen, während die Mechs, die ihn nun in ihre Mitte genommen hatten, kaum zu überhören waren.
Als plötzlich der erste Stadtkoloss aus dem Dunkel vor ihnen auftauchte. Brigsten fluchte leise. Noch waren sie hier in der Stadt. Ohne eine Sekunde zu warten, beendete er die Funkstille der Einheit, die ihnen so lange das Gefühl gegeben hatte, nicht entdeckt worden zu sein und sprach über die Militärfrequenz der Mariks seinen ersten Befehl ins TakKom:
"Fegt ihn weg! Der darf uns nicht groß aufhalten!!"
Der Stadtkoloss wirkte etwas überrascht, wieso auch immer und zog sich weder zurück noch feuerte er. Brigsten lächelte kalt. Er hatte ihn bereits im Fadenkreuz und drückte jetzt auf den Feuerknopf. Ein roter Strahl zerfetzte die verschneite Nacht und sein schwerer Laser schmolz Unmengen an Panzerung von rechten Bein des Capellaners. Ganz wie sie noch auf ihrer Heimatbasis im ersten Briefing besprochen hatten, wirkte sich die Kälte des Planeten nun aus... Der Mech, der unter normalen Umständen jetzt schon ziemlich heißlaufen sollte, erholte sich angenehm früh von dem Schuss... Sekunden nach Brigstens Schuss feuerten McMannon und Fushiko ihre S-Laser. Beide trafen. Einer im Hüftbereich, der andere im rechten Torso. Andere Waffen abzufeuern würde jetzt pure Idiotie sein.
Der Koloss war zu weit für die mittelschweren Laser weg.
Der Capellaner taumelte und Brighten feuerte kompromisslos ein zweites Mal, sah den Stadtkoloss stürzen und plötzlich stand Fushikos Feuerfalke direkt vor ihm, bewegte sich kaum und zielte ganz genau... Brigsten hielt seinen Atem an... Dana war noch nicht mal Zwanzig... Sie war freundlich, nett, witzig... Würde sie wirklich tun, was Brigsten befürchtete? War sie jetzt schon dermaßen grausam??
Der Rest der capellanischen Lanze tauchte vor ihnen auf, hinter einem Häuserblock... Danas schwerer Laser flammte auf... Und riss das rechte Bein des Mechs von seinem Körper. Aldo atme erleichtert auf. Sie hatte es nicht getan - aber gleichzeitig dafür gesorgt, dass der Mech ausgeschaltet war. Sehr gut... Brigsten würde dies bei der Nachbesprechung lobend erwähnen... Der zweite Stadtkoloss war inzwischen im Häusermeer links von ihnen untergetaucht, während die Hornisse und der Skorpion sich vor ihnen Augen einzugraben...
"Überrennen! Schaltet die Mechs aus, wenn ihr könnt. Aber erinnert euch daran, dass wir nicht hier sind, um Capellaner zu verkloppen..."
Die vier Mechs griffen gerade an, als Brigsten das Kinn nach unten fiel... Zwölf Panzer waren hinter den beiden Mechs im Anmarsch und stumme Schatten, wohl Infanteristen, huschten durch die Gassen und Straßen. Es brannte... Es brannte sogar gewaltig...
Ein schrilles Hämmern zerriss Brigstens Träume. Er zuckte zusammen, wandte sich zurück und sah, wie auch dort Panzer auf ihre Position vorrückten. Einer der Panzer hatte gefeuert und den Schweber des Agenten getroffen, der nun in einem gewaltigen Feuerball aufgegangen war. Brigstens Magen zog sich zusammen und er murmelte ins TakKom: "Raus hier! Bringt euch verdammt noch eins in Sicherheit!! Das hat jetzt oberste Priorität..."
Fünf PPKs erschütterten die Nacht Eine davon traf und zerfetzte das Kniegelenk der Spinne. Das rechte Bein unterhalb davon wurde abgetrennt. Kovacevic versuchte, ihren Mech noch im Gleichgewicht zu halten, aber die fünfte PPK, die vom Skorpion abgefeuert worden war, traf den leichten ScoutMech voll im Torso und riss ihn zu Boden. Noch war Kovacevic am Leben, wie der Truppführer aus ihren fruchtlosen Versuchen las, aufzustehen, aber noch einen Treffer würde sie nicht verkraften. Die anderen vier PPK-Schüsse hatten ihr Ziel verfehlt. Eine hatte sich vor die Füße des Ostsols in die Straße gebohrt, die anderen drei hatten Zivilistenhäuser getroffen und diese in Stücke gerissen. Brigsten sah gehetzt auf die Häuser, auf die hässlichen und zahlreichen Betonbauten mit ihren Flachdächern und erkannte die vier Verteidiger der zweiten Lanze. Wie hatten sie...??? Hatte sich alles gegen sie verschworen??? Wie hatten die in dieser Geschwindigkeit alles was sie hier unten hatten, hier her bringen können??? Wie??? Nachdem der erste plötzliche Schock überwunden war, sah Brigsten sich noch einmal um... Unfassbarerweise schwiegen die capellanischen Geschütze noch... Gut, die Panzer waren noch nicht in Feuerreichweite und die Mechs mussten sich erst wieder abkühlen... Plötzlich wusste der Truppführer, was hier zu tun war. Er aktivierte sein Kom und sprach auf Breitband: "Marik-Truppen an Liao-Verbände... Bieten Kapitulation an..."
Er wiederholte seine Worte etliche Mal, sowohl in der Ligasprache, in den wenigen Brocken Chinesisch, die er konnte und in der allgemeinen Handelssprache, in Englisch...
Als die Autokanone des Stadtkolosses zu sprechen begann... Brigsten fühlte puren Hass in sich emporsteigen, als er sah, dass die Spinne unter den Einschlägen erzitterte und erbebte, sich wand - und starb. Die AK hatte die Rückenpanzerung des wehrlosen Mechs glatt durchschlagen und Kovacevic getötet.
Aldo Brigsten zitterte. Vor Wut, vor Enttäuschung, vor Rachegelüsten. Immer noch meldeten sich die Capellaner nicht über Kom. Als der Truppführer wieder sein Kom öffnete und seine verbleibenden zwei Lanzenkameraden anfunkte, konnte er seine Stimme kaum unter Kontrolle halten: "Steph, Dana, vergesst es, wir kommen hier nicht mehr lebend raus... Da die uns im Nachhinein sowieso jeden Toten anlasten, können wir auch genauso gut richtig reinhauen... Nehmt noch mit, was ihr kriegen könnt! Wenn du uns schon erledigen, dann zeigen wir denen, wie man uns tanzt!! Jetzt ist alles egal, wir haben nichts mehr zu verlieren..."
Als er diese Worte ausgesprochen hatte, zog sich sein Magen zusammen. Eine innere Stimme in seinem Herzen flüsterte seinen leeren, hoffnungslosen Gedanken zu... Nein... Du weißt, was du verlieren kannst... Das Gesicht seiner vor Freude strahlenden Tochter, neben ihr ihr Mann, als sie ihrem Daddy eröffnet hatte, dass er ein zweites Mal Opa werden würde, erschien in seinen Gedanken.
Im selben Augenblick verdunkelte sich sein Geist wieder... Sah voraus, sah auf den Leichnam der Spinne herab, fühlte wieder den Hass in sich aufsteigen... Diese verdammten Hunde würden hierfür bluten, koste es, was es wolle...
Die beiden FFK-Piloten schienen in der Tiefe ihrer Herzen auf diesen Befehl nur gewartet zu haben.
Und noch ehe sie nun die beiden Mechs, den Skorpion und die Hornisse ganz erreicht hatten, läuteten sie die Melodie der Vernichtung ein. Wieder sprachen beide schweren Laser, fast im selben Moment, wieder trafen sie. Ein Laserstrahl verdampfte den rechten Arm des leichten Mechs, den Ort, wo er seine einzig effektive Hauptwaffe hatte, den mittelschweren Laser. Allerdings wäre er wohl sowieso nicht mehr zum Feuern gekommen. Der zweite rote Strahl bohrte sich kompromisslos in den zentralen Torso der Hornisse und trieb sich weiter ins Innere. Der Mech fiel und Dana, die inzwischen auf Infight-Reichweite herangekommen war, setzte mit einem ihrer M-Laser nach und vernichtete den Capellaner damit. Der Skorpion hatte in der Zwischenzeit lange gezielt und schoss. Von sechs KSR trafen vier McMannons Maschine, die restlichen zwei donnerten in eine private Garage am Straßenrand und ließen sie und Teile des anschließenden Haus in einem grellen Feuerball aufgehen. Brigsten wandte seinen Ostsol inzwischen ebenfalls noch vorne, war inzwischen auch beinahe auf M-Laser-Reichweite, als der erste Panzer heran war, ein Striker. Brigsten wendete und griff unter Höchstgeschwindigkeit den Neuankömmling an. Zwei Salven LSR trafen, abgeschossen von den Verteidigern, erst den Ostsol, dann Fushikos Feuerfalke. Beide Treffen schienen die Beschossenen kaum zu kümmern. Stephan hatte inzwischen den Vierfüßler erreicht und schoss... Nicht etwa nur mit einem mittelschweren Laser, sondern schlichtweg mit allem. Was von dem Skorpion noch übrig blieb, machte Dana mit ihrem schweren Laser Sekundenbruchteile später nieder... Nur die niedrige Außentemperatur, die jetzt während der Nacht noch tiefer in den Keller gegangen war, hielt Stephans Mech davor zurück, sich abzuschalten. Und hier kühlte man schnell ab... Brigsten schüttelte verwirrt seinen Kopf. Wieso nutzten die Capellaner nicht auch diesen gewaltigen Temperaturvorteil und schossen sie in Grund und Boden?? Wie auf Kommando durchtrennten wieder zwei azurblaue Strahlen die Nacht und die PPKs entluden sich in McMannons Mech, rissen ihn zu Boden, aber vernichteten ihn nicht. Eine hatte den linken Torso in einen Haufen Schlacke verwandelt, die andere hatte den rechten Arm getroffen und die beiden dort montierten Waffen, ein MG und einen M-Laser, zerstört. Eine Traube Langstreckenraketen ergoss sich im nächsten Moment über Danas FFK, aber sie blieb weiter stehen. Die Panzer hinten ihnen waren auf Feuerreichweite heran. Wie vier Harpyien erhoben sich die sprungfähigen Verteidiger in die Lüfte und landete vor ihren Gegner. Brigsten feuerte genau in diesem Augenblick einen mitteschweren Laser auf den Striker ab, traf wohl eher durch Zufall eines der Räder des Panzerwagens, der nun in voller Geschwindigkeit von der Straße abkam, in eine Hauswand donnerte und dort still liegen blieb. Der Truppführer wollte sich gerade von den Panzern abwenden und gegen die Verteidiger mit vorgehen, als ein stummer, klobiger Schatten aus einer Seitenstraße trat. Verdammt! Der Stadtkoloss!! Er hatte ihn ganz vergessen! Instinktiv wich der Ostsol aus, schlidderte gerade noch aus der Schusslinie des Kolosses, der seine AK-Salve nun in eine weitere Häuserwand fegte... Brigsten griff sofort an, erhöhte seine Geschwindigkeit, senkte sie dann wieder, als er dem kleinen Mech in der engen Seitenstraße entgegentrat. Der Stadtkoloss blieb stumm... Wieso?? Wieso feuerte dieser Idiot nicht? Oder sprang in Sicherheit? Zweitrangige Fragen. Brigsten legte lächelnd einen Schalter um... Hinter ihm zuckten Strahlen und aufblitzendes Geschützfeuer war zu sehen, Explosionen und schmelzende Panzerplatten zu hören. Dana und Stephan hatten ihre Gegner erreicht. Zwei S-Laser und zwei M-Laser, die volle Frontalbewaffnung des Ostsol flammten auf... Obwohl dieser Mech zwar über eine ganz beachtliche Anzahl von Wärmetauschern verfügte, fühlte Aldo den gewaltigen, fast überwältigenden Hitzeanstieg in seinem Cockpit und musste einen Moment aufhören zu atmen... Glaubte er für einen Augenblick doch, dass die Luft brannte, die er einatmete. Sekundenbruchteile später aktivierte er wieder einen seiner schweren Laser und feuerte wieder. Wieder schlug die Hitze fast ganz über ihm zusammen und raubte ihm beinahe seinen Verstand. Der Stadtkoloss sackte zusammen, tot, zerstört, hingerichtet. Brigsten hielt einen Moment still. Er war schweißgebadet, atmete tief und angestrengt, während seine Wärmetauscher vor Anstrengung seufzten. Zitternd wendete er seinen Mech und trat aus der Straße... Und erstarrte. Die anderen Mechs befanden sich im Nahkampf. Einer der Verteidiger war bereits gefallen, ein anderer schwer angeschlagen. Die beiden Feuerfalken sahen nicht aus, als ob sie die nächste Minute überleben konnten, aber feuerten weiter, immer weiter... Brigsten erhöhte sein Tempo, wollte die beiden erreichen, wollte neben ihnen sterben... Ein Schuss hinter den Feuerfalken zerriss die Luft und eine
kompromisslose AK brannte sich in eines der Beine von McMannons Feuerfalken. Der Mech taumelte kurz. Bruchteile später visierte der MechKrieger einen der weniger beschädigten Verteidiger an und feuerte alles ab, was er noch hatte... Bevor noch irgendetwas anderes geschehen konnte, betätigte McMannon seinen Schleudersitz und flog hinauf in die bleihaltige Nacht. Der Verteidiger ging im gleichen Moment in einer Feuersäule unter, wie das Bein des FFK brach und der Mech nach hinten stürzte. Brigsten aktivierte einen S-Laser, feuerte, verfehlte sein Ziel, traf dafür die Haustür eines freundlich aussehenden Privathauses im chinesischen Stil. McMannon fiel langsam an seinem Schirm herunter... Brigsten konnte nicht feststellen, ob das was nun geschah, Absicht war oder zufällig, in ´Eifer des Gefechts´ - wie man immer so nett sagte - geschah. Jedenfalls schien eine MG-Salve, von wo auch immer, den Fallschirm zu treffen und den darunter hängenden MechKrieger. McMannon zuckte ein paar Mal unter den Treffern, dann wurde der Schirm zerrissen, konnte den freien Fall nicht mehr stoppen und McMannon stürzte aus einer Höhe von vielleicht fünfzig Meter zu Boden. Danas Wutschrei war urplötzlich im Kom zu hören und Brigsten zuckte zusammen, als er dieses, fast schon animalische Geräusch wahrnahm. Dana Fushiko ließ sich jetzt nicht einmal mehr die Zeit, zu feuern, sondern stürzte auf einen der feindlichen Mechs zu und begann, mit den Fäusten ihres Mechs auf ihn einzuschlagen. Immer wieder. Immer in Richtung des feindlichen Cockpits... Brigsten benutzte vorwiegend seine beiden schweren Laser, feuerte in einer mörderischen hohen Geschwindigkeit und dankte den Kriegsgöttern für diese Temperaturen... Die beiden Verteidiger waren längst nicht mehr in der Lage, sich zu wehren und beide gingen praktisch im gleichen Moment unter...
Kurz herrschte Stille.
Dann richteten sich die beiden zusammengeschossenen Schatten, früher einmal waren sie Mechs gewesen, zu ihrer vollen Größe auf und marschierten zusammen auf die Panzer vor ihnen zu... Und begannen zu feuern. Brigsten konnte nur noch sehen, wie zwei der Panzer vor ihnen verdampften, dann begannen die Capellaner zu feuern.
Eine Welle aus Projektilen schlug über den beiden Mechs zusammen.
Dann nichts mehr.



Wellerbein sprach plötzlich wieder lauter, änderte seine Tonlage: "Hieraus, meine Damen und Herren, mögen Sie erkennen, was eine Truppe von allein schon drei Mechs ausrichten kann, wenn sie die Chance hat, ihre Waffen vernünftig einzusetzen, die feindliche Partei dies allerdings nicht wahrnimmt.
In unserem Fall endete es zwar schlecht für unsere heutigen Helden, aber ich denke, sie haben alle verstanden, was ich Ihnen zu sagen versuchte. Unter normalen Umständen, wenn normale Schussbedingungen gegolten hätten, hätten drei Angreifer gegen einen dermaßen überlegenen Gegner niemals solche Schäden anrichten können... Noch ein paar Worte zu diesem Marik-Überfall. Das Landungsschiff konnte zusammen mit dem Sprungschiff zurückflüchten in den andurianischen Raum. Die erwarteten Vergeltungsschläge der Capellaner blieben genauso aus wie eine capellanische Veröffentlichung der enormen Schäden, die hier, mitten in einer Stadt angerichtet worden waren, da der Großteil dieser Beschädigungen nachweißlich von PPKs oder von AK-Granaten stammten, Waffen also, die nicht an den MarikMechs montiert waren...
So, aber nun genug der großen Worte. Bei einem Blick auf meine Uhr sehe ich, dass wir für heute fertig sind. Ich freue mich ehrlich, dass Sie über das komplette Semester so zahlreich hier erschienen sind und meinen Worten gelauscht haben. Und natürlich möchte ich Ihnen eine schöne vorlesungsfreie Zeit wünschen... Vor meinem Büro liegen übrigens ab heute umfangreiche Skripten zu jeder unserer Sitzungen aus... Und damit, meine Damen und Herren, möchte ich diesen Kurs schließen."


Älterer Artikel von mechforce.de. Nicht mehr online.




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Erstversion vom 05.04.2023. Letzte Aktualisierung am 05.04.2023.


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