Sitzung Zehn:
Todestanz
Tharkad City, Tharkad
Mark Donegal, Vereinigtes Commonwealth
31.7.3054
Die Sonne
Tharkads schien noch nicht lang, erst seit zwei Stunden hatte das Zentralgestirn
des Systems seine ersten Strahlen auf diesen Teil des Planeten gesendet.
Und seit einer halben Stunde war so etwas wie echter Sonnenschein erkennbar.
Nichts gegen die Dämmerung. John liebte diese Stunden des Tages...
Einem glücklichen Zufall hatten sie es zu verdanken, dass alle sieben
Personen dieses erlauchten Freundeskreises bereits am Mittwoch ihre letzte
Klausur hinter sich gebracht hatten, manche davon waren doch eher mau
verlaufen, aber zumindest waren sie vorüber, wie John etwas zerknirscht
zugestehen musste. Jedenfalls hatten er und Sam, nachdem sie ihre letzte
Prüfung Mittwoch Nachmittag hinter sich gebracht hatten, beschlossen,
diesen Moment entsprechend zu feiern. Ein paar wenige Visiophonate, ein
paar wenige Vorbereitungen und sie alle fanden sie plötzlich Mittwoch
abends in einem der Naherholungsgebiete der Stadt wieder, an einem malerischen
kleinen See und einem Plätzchen an einer einsamen Feuerstelle...
Irgendwann um eins beschloss man einstimmig, gleich im Anschluss zu diesem
herrlichen Semesterausklang direkt und gemeinsam in die Wellerbein-Vorlesung
zu gehen, um dort auch diesen Kurs in Ruhe ausklingen zu lassen.
Die Hitze der letzten Wochen war einer angenehmen Wärme gewichen,
die zwar immer noch sommerlich war, doch schon viel kälter... Der
Sommer auf Tharkad neigte sich bereits dem Ende entgegen und die Nacht
war bereits ziemlich kühl gewesen, aber natürlich war es noch
zu ertragen gewesen. Gegen sechs, als ihr Plätzchen wieder aufgeräumt
war, hatten sie sich auf den Weg zur Uni gemacht...
Sie hatten ziemlichen Spaß gehabt. Irgendwie waren all die dummen
Geschichten in dieser Nacht vergessen gewesen und dort an der Feuerstelle
des Sees war der Geist der ersten Semesterwochen wiederbeschworen worden.
Nihongi schien es immer noch traumhaft zu gehen, offenbar hatten sich
Julys Worte auf dem Nagelring in seine Erinnerung gebrannt, während
Sergej derjenige gewesen war, der die letzten Tage gegrübelt hatte.
Wellerbeins Angebot war einfach zu verlockend gewesen als dass Sergej
es völlig beiseite gelassen hätte. Bereits am Sonntag Morgen
hatte er das erste Gespräch mit Charles Mitchell geführt und
am Montag hatte er eine, wenn auch völlig unwichtige, Klausur sausen
lassen und war zu dem privaten Ausbilder gegangen. Angesichts des offensichtlichen
Hasses, den Ellen Mechs gegenüber empfand, hatte man ja annehmen
müssen, dass sie dazwischenging, um Sergej in seinem Vorhaben zu
stoppen. Nichts geschah. Ellen saß still daneben und sah zu. Traurig,
aber untätig... Es hieß, es habe bereits Samstag Abend ein
klärendes Gespräch zwischen den beiden gegeben, in dem Sergej
versprochen hatte, später hier auf Tharkad zu bleiben. Es gab da
so viele Möglichkeiten... AgroMechs, ForstMechs, BergbauMechs...
Und wenn er denn unbedingt einen BattleTech führen musste, dann gab
es genügend Wachtruppen oder Polizeieinheiten, die händeringend
nach Piloten suchten... Fast alle guten Leute gingen zu den VCS und genau
das hatte Ellen ihrem Freund untersagt. Mechs führen, OK... Sich
töten lassen, Nein! Trotzdem war sie alles andere als glücklich
mit Sergejs Entscheidung, wonach er sobald als möglich die Uni beendete
und bei Mitchell seine Ausbildung begann. Was ihn verändert hatte,
was ihm Mut gegeben hatte und ihn zum zweiten Mal antrieb, seinen großen
Traum zu verwirklichen, konnte John nur erahnen. Vielleicht Wellerbeins
Worte, vielleicht die von Mitchell... oder die von Ellen? Egal. Jedenfalls
schien er endlich wieder kämpfen zu wollen. Und das war eine Sache,
die auch Ellen wieder glücklicher stimmte.
Sie erreichten
den Vorlesungssaal kurz vor acht Uhr und setzten sich, nach Lagerfeuer,
Natur und Zufriedenheit riechend, in die hinteren Reihen.
Der Saal füllte sich nur langsam. Allerdings fanden trotz des Semesterausklangs
doch an die hundertfünfzig Studenten in den Raum. Immerhin etwas.
Wellerbein trat nach einer zweiminütigen Verspätung mit einem
amüsierten, leisen Lächeln ein, schlenderte vor an sein Rednerpult,
baute seine 3D-Karte auf, trank - wie sollte es auch anders sein - den
ersten Schluck aus seinem brühheißen Kaffeebecher und wartete,
bis die Gespräche abebbten...
"So, meine Damen und Herren, heute möchte ich zum Abschluss
dieses Kurses einmal einen Punkt ansprechen, der oft vergessen wird...
Wie all die anderen Punkte, die ich Ihnen hier aufgezählt habe..."
Er grinste sie wieder einmal etwas blöde an... "Es geht um extreme
Außenbedingungen, vorzugsweise extreme Temperaturen... Man wundert
sich ja hin und wieder als Soldat oder als niedriger Offizier, wie ich
einer war, wie wenig der Faktor ´Außenbedingung´ in die Planung
einer Invasion oder der Verteidigung eines Planeten mit einfließt.
Dinge wie Relief, regionales Klima oder dergleichen sind natürlich
feste Bestandteile der Planung, aber die planetaren Außenbedingungen
werden kaum beachtet. Das Resultat davon ist dann, dass ein MechVerband,
der vorzugsweise mit schnell heißlaufenden Energiewaffen bewaffnet
ist, auf einem heißen Wüstenplaneten landet, auf dem man im
Prinzip schon durchs Laufen erhitzt... Oder dass Sie mit einer Gruppe
aus unterbewaffneten Mechs auf einer Eisöde landen, wo Sie feuern
könnten, was das Zeug hält... Wie ich hörte, soll es durchaus
verschiedene Kommandeure geben, die solches berücksichtigen - aber
erstens ist mir noch keiner davon untergekommen und zweitens, vergeben
Sie mir meine Worte, sitzen in der Logistikabteilung jeder Armee meistens
unfähige Idioten, die dann genau das falsche Material auf die falschen
Planeten entsenden... Und glauben Sie mir, das weiß ich aus leidvoller
Erfahrung..."
Lautes, amüsiertes Lachen folgte. Der Dozent fuhr fort: "Unsere
heutige Geschichte entführt uns ins Jahr 2985, auf einen Planeten
namens ´Sigma Mare´, im Liao-Raum, an der Grenze zum Herzogtum Andurien...
Verteidiger sind die Capellaner, Angreifer das Marik-Militär..."
Manchmal war es auch für einen alten Hasen wie Truppführer Aldo
Brigsten schwer, sich im Militärsystem der Liga zurechtzufinden.
Drei unterschiedliche Rangsysteme, eine Vielzahl verschiedener Uniformen,
sowie etwa achtzig Teilstaaten mit unterschiedlichsten Traditionen erschwerten
die Verständigung innerhalb und zwischen der Truppe ganz erheblich.
So auch hier und heute. Das Sprungschiff, mit dem sie Sigma Mare erreicht
hatten, war ein Schiff der Mariks, der Lander war regulanisch und die
MechLanze, die all dies zum Abschluss bringen sollte schließlich
anduranisch. Um die Sache noch komplizierter zu machen, war Brigstens
Lanze auch nicht mehr als ein zusammengewürfelter, bunter Haufen.
Er selbst war ein Regulaner mit typisch regulanischer Uniform, während
der zweite Regulaner der Truppe, Stephan McMannon, zwar ebenfalls Regulus
treu ergeben war, aber durch seine deutlich indivualisierte Uniform seinen
gewaltigen Dickschädel demonstrierte und für zwei Jahren für
Söldner gekämpft hatte, die nun ein lyranisches Rangsystem besaßen.
Dana Fushiko, die Jüngste in der Lanze, war ihm erst neulich zugeteilt
worden und hatte bisher für Andurien gekämpft. Die Frau machte
durch kleine aber bösartige Nadelstiche immer wieder die Separationsbestrebungen
ihres Volkes deutlich. Die vierte Person hieß Cindy Kovacevic, war
ursprünglich unter der Herrschaft der Marik aufgewachsen, allerdings
völlig unpolitisch. Cindy größte Sorge schien darin zu
bestehen, dass ihre absolut modische und elegante ´Uniform´ nicht
mehr dem neuesten Kleidungstrend entsprach.
Wenn man diese vier MechKrieger so sah, musste man wohl an alles denken,
nur nicht daran, dass das hier eine kämpfende Truppe war. Aber genau
das war der Punkt. Die vier waren Profis, mochten sie auch alles andere
als uniform sein. Wenn es darauf ankam, verschmolzen sie und ihre vier,
völlig unterschiedlich lackierten, Mechs zu einer absolut tödlichen
Einheit.
Es war Nacht,
als das regulanische Leopard-Landungsschiff die anduranische Lanze im
Schutze eines gewaltigen Schneesturms absetzte... Brigsten musste kaum
Worte verlieren. Kovacevics Spinne wagte sich als erster in die weiße
Hölle, dann folgten die beiden Feuerfalken von McMannon und Fushiko
und als letzter Mech trat sein Ostsol nach draußen. Natürlich
war es unnötig, dass der Spinne, der ScoutMech, hier an erster Stelle
heraustrat, immerhin waren da die Sensoren des Landungsschiffes, aber
es war in Fleisch und Blut übergegangene Routine, dass die Scouts
immer den Anfang machten. Das Ziel der Einheit war eine der wenigen Forschungsstätten
des Planeten, die aber berühmt um ihrer immensen Erfolge im Bereich
der Terraformung waren. Dort wartete ein Agent der Sekura auf die Lanze,
der dort all die Informationen gesammelt hatte, die ihm capellanische
Kanzler Tormax Liao wohl kaum freiwillig geben würde und die auch
die Liga dringend benötigte. Es gab einfach viel zu viele Welten,
auf denen Menschen trotz widrigster Bedingungen hausten. Sie würden
dem Agenten, der vermutlich einen schnellen, aber ungepanzerten Schweber
führen würde, Unterstützung und Geleit geben. Normalerweise
war das ja nicht üblich, bei Operationen des Geheimdienstes schwere
Geschütze aufzufahren, aber es war etliches bei der Informationsbeschaffung
schiefgelaufen. Nach dem Mann wurde inzwischen planetenweit gefahndet
und sämtliche Raumhäfen waren dicht. Er benötigte Hilfe
und Brigsten war entsandt worden, diese zu leisten. Brigsten lächelte
kalt. Sein Vorgesetzter hatte erklärt, dass es praktisch um das Wohl
von Millionen Bürgern der Liga ging, die alle diese Informationen
benötigten. Der Colonel hätte sich seine wenigen Worte auch
sparen können. Brigsten verstand durchaus, dass es sich hier lediglich
um den verletzten Stolz handelte. Der Generalhauptmann wollte etwas haben,
das der capellanische Kanzler nicht hergab. Und nachdem Tormax Liao auch
durch Handel oder Geld nicht überredet werden konnte, gebrauchte
der Generalhauptmann eben List und Gewalt.
Es war wie bei den kleinen Kindern.
Der Truppführer trieb seine Lanze zur Eile. Vor dem letzten Briefing
auf ihrem Lander hatte sie festgestellt, dass der Agent kaum mehr Zeit
hatte und wohl demnächst gefasst werden würde... Dennoch gab
es da Umstände zu bedenken. Sigma Mare mochte eine dreckige kleine
Eiswüste sein, war aber dichtbesiedelt. Sein Vorgesetzter hatte ihm
nur allzu deutlich erklärt, dass keine Seite, die an dieser Operation
auch nur irgendwie teilhatte, Interesse an toten Zivilisten hatte. So
etwas würde nur unnötiges Aufsehen erregen, das unerwünscht
war... Folglich mussten sie peinlich genau darauf achten, wann und wo
sie wen beschossen. Weiterhin war unerwünscht, die Forschungsstätten
hier zu beschädigen. Mochte man Tormax ärgern wollen - wütend
wollte man ihn keinesfalls machen. Militärische Verluste auf beiden
Seiten sollten weiterhin auf ein Minimum beschränkt sein.
Es war wohl zu vermuten, dass die Sekura bei all diesen Bedingungen ihre
Finger im Spiel hatte, die Leitung des Ligamilitärs, die LZKK, war
eigentlich nicht so zimperlich. Es musste den Typen vom Geheimdienst schon
mächtig im Magen liegen, dass sie die Lage ohne das Militär
nicht mehr meistern konnten. Wahrscheinlich wäre es ihnen am Liebsten
gewesen, wenn die Mechs unsichtbar gewesen wären.
Laut der Informationen der Analyseabteilung innerhalb der Sekura befand
sich auf Sigma Mare als ständige Garnison ein volles MechBataillon,
das durch Panzer und Infanteristen verstärkt wurde. Wobei allerdings
in ihrem Gebiet, in den Außenbezirken einer mittleren Kleinstadt,
nur zwei MechLanzen und drei Panzerkompanien zu erwarten waren, die gleichzeitig
als Garnison für die westliche Arktisregionen galten. Jäger
gab es nicht, auf ganz Sigma Mare nicht. Wohl ein paar wenige Senkrechtstarter,
aber die waren nicht weiter beachtenswert. Alt, schlechtgepanzert und
schwach bewaffnet würden diese Fluggeräte wohl nicht in die
Kämpfe eingreifen. Die Sekura hatte ihnen sogar einen ganz besonderen
Gefallen gemacht und übermittelt, welchen Typen die Mechs dieser
beiden Lanzen waren. Wie nicht anders zu erwarten war, hatten sie es hier
mit einer kompletten Lanze aus Verteidigern zu tun, sowie einer Lanze
aus zwei Stadtkolossen, einer Hornisse und einem Skorpion.
Nichts atemberaubendes also, aber man durfte eine solche Truppe auch nicht
unterschätzen. Vor allem die kombinierte Feuerkraft der vier Verteidiger
konnte zum Problem werden. Diese Mechs waren für sich genommen keine
Gefahren, aber wenn sie in Massen auftraten, mutierten sie nur allzu leicht
zu einer undurchdringlichen Wand aus Vernichtung.
Fünf
Stunden später hatte der Schneesturm zu toben aufgehört. Noch
fiel Schnee, langsam und leicht, aber es war nur noch ein angenehmer,
lichter Schneefall. Brigsten hatte sie an die Stadt herangeführt.
Welcher Wahnsinn diesen allseits gesuchten Mann dazu bewogen hatte, zu
der Forschungsstätte zurückzukehren, die er ausspioniert hatte,
konnte der Truppführer nicht ermessen. Aber vermutlich wusste er
schon was er tat, vermutlich war es draußen in der Wildnis dieses
unwirtlichen Eisplaneten zehnmal gefährlicher als in einer Stadt
unterzutauchen... Vermutlich... Brigsten hätte es anders gemacht,
aber wer fragte schon Brigsten? Jedenfalls hatten sie den verschlüsselten
Code ihres Agenten schon in der Dämmerung erhalten und nun, im Schutz
des Schneefalls und der Nacht wagten sie sich in die Stadt. Es war nur
eine Frage von Minuten, bis die ersten capellanischen Einheiten erscheinen
würden, denn selbst wenn die Garnison zu blöd war, sie orten
- was bei Capellanern schon mal vorkommen konnte - gab es wohl genügend
Zivilisten, die angesichts unbekannter, durch ihre Stadt stampfender Mechs,
zumindest in der Stadtverwaltung Alarm schlugen...
Der Schweber stand stumm und dunkel vor ihnen auf der Hauptstraße.
Es war der einzige Schweber, den sie sahen. Sigma Mare mochte überbevölkert
sein, aber wie der Rest der Konföderation arm. Wie die Bevölkerung
es fertig brachte, hier in der Kälte zu überleben, geschweige
denn, zu leben, konnte Brigsten sich nicht vorstellen. Plötzlich
erwachte der Schweber, Licht in seiner Fahrerkabine ging auf und Aldo
empfing wieder einen korrekten Code. Er sandte auf einer ganz bestimmten
Frequenz eine
Fragesequenz und erhielt auf einer anderen, der vorher besprochenen, Frequenz,
die korrekte Antwort im korrekten Code. Das war er. Brigsten gab das abgemachte
Zeichen an seine drei Lanzenkameraden durch. Der Schweber setzte sich
langsam in Bewegung und glitt leise durch die Straßen, während
die Mechs, die ihn nun in ihre Mitte genommen hatten, kaum zu überhören
waren.
Als plötzlich der erste Stadtkoloss aus dem Dunkel vor ihnen auftauchte.
Brigsten fluchte leise. Noch waren sie hier in der Stadt. Ohne eine Sekunde
zu warten, beendete er die Funkstille der Einheit, die ihnen so lange
das Gefühl gegeben hatte, nicht entdeckt worden zu sein und sprach
über die Militärfrequenz der Mariks seinen ersten Befehl ins
TakKom:
"Fegt ihn weg! Der darf uns nicht groß aufhalten!!"
Der Stadtkoloss wirkte etwas überrascht, wieso auch immer und zog
sich weder zurück noch feuerte er. Brigsten lächelte kalt. Er
hatte ihn bereits im Fadenkreuz und drückte jetzt auf den Feuerknopf.
Ein roter Strahl zerfetzte die verschneite Nacht und sein schwerer Laser
schmolz Unmengen an Panzerung von rechten Bein des Capellaners. Ganz wie
sie noch auf ihrer Heimatbasis im ersten Briefing besprochen hatten, wirkte
sich die Kälte des Planeten nun aus... Der Mech, der unter normalen
Umständen jetzt schon ziemlich heißlaufen sollte, erholte sich
angenehm früh von dem Schuss... Sekunden nach Brigstens Schuss feuerten
McMannon und Fushiko ihre S-Laser. Beide trafen. Einer im Hüftbereich,
der andere im rechten Torso. Andere Waffen abzufeuern würde jetzt
pure Idiotie sein.
Der Koloss war zu weit für die mittelschweren Laser weg.
Der Capellaner taumelte und Brighten feuerte kompromisslos ein zweites
Mal, sah den Stadtkoloss stürzen und plötzlich stand Fushikos
Feuerfalke direkt vor ihm, bewegte sich kaum und zielte ganz genau...
Brigsten hielt seinen Atem an... Dana war noch nicht mal Zwanzig... Sie
war freundlich, nett, witzig... Würde sie wirklich tun, was Brigsten
befürchtete? War sie jetzt schon dermaßen grausam??
Der Rest der capellanischen Lanze tauchte vor ihnen auf, hinter einem
Häuserblock... Danas schwerer Laser flammte auf... Und riss das rechte
Bein des Mechs von seinem Körper. Aldo atme erleichtert auf. Sie
hatte es nicht getan - aber gleichzeitig dafür gesorgt, dass der
Mech ausgeschaltet war. Sehr gut... Brigsten würde dies bei der Nachbesprechung
lobend erwähnen... Der zweite Stadtkoloss war inzwischen im Häusermeer
links von ihnen untergetaucht, während die Hornisse und der Skorpion
sich vor ihnen Augen einzugraben...
"Überrennen! Schaltet die Mechs aus, wenn ihr könnt. Aber
erinnert euch daran, dass wir nicht hier sind, um Capellaner zu verkloppen..."
Die vier Mechs griffen gerade an, als Brigsten das Kinn nach unten fiel...
Zwölf Panzer waren hinter den beiden Mechs im Anmarsch und stumme
Schatten, wohl Infanteristen, huschten durch die Gassen und Straßen.
Es brannte... Es brannte sogar gewaltig...
Ein schrilles Hämmern zerriss Brigstens Träume. Er zuckte zusammen,
wandte sich zurück und sah, wie auch dort Panzer auf ihre Position
vorrückten. Einer der Panzer hatte gefeuert und den Schweber des
Agenten getroffen, der nun in einem gewaltigen Feuerball aufgegangen war.
Brigstens Magen zog sich zusammen und er murmelte ins TakKom: "Raus
hier! Bringt euch verdammt noch eins in Sicherheit!! Das hat jetzt oberste
Priorität..."
Fünf PPKs erschütterten die Nacht Eine davon traf und zerfetzte
das Kniegelenk der Spinne. Das rechte Bein unterhalb davon wurde abgetrennt.
Kovacevic versuchte, ihren Mech noch im Gleichgewicht zu halten, aber
die fünfte PPK, die vom Skorpion abgefeuert worden war, traf den
leichten ScoutMech voll im Torso und riss ihn zu Boden. Noch war Kovacevic
am Leben, wie der Truppführer aus ihren fruchtlosen Versuchen las,
aufzustehen, aber noch einen Treffer würde sie nicht verkraften.
Die anderen vier PPK-Schüsse hatten ihr Ziel verfehlt. Eine hatte
sich vor die Füße des Ostsols in die Straße gebohrt,
die anderen drei hatten Zivilistenhäuser getroffen und diese in Stücke
gerissen. Brigsten sah gehetzt auf die Häuser, auf die hässlichen
und zahlreichen Betonbauten mit ihren Flachdächern und erkannte die
vier Verteidiger der zweiten Lanze. Wie hatten sie...??? Hatte sich alles
gegen sie verschworen??? Wie hatten die in dieser Geschwindigkeit alles
was sie hier unten hatten, hier her bringen können??? Wie??? Nachdem
der erste plötzliche Schock überwunden war, sah Brigsten sich
noch einmal um... Unfassbarerweise schwiegen die capellanischen Geschütze
noch... Gut, die Panzer waren noch nicht in Feuerreichweite und die Mechs
mussten sich erst wieder abkühlen... Plötzlich wusste der Truppführer,
was hier zu tun war. Er aktivierte sein Kom und sprach auf Breitband:
"Marik-Truppen an Liao-Verbände... Bieten Kapitulation an..."
Er wiederholte seine Worte etliche Mal, sowohl in der Ligasprache, in
den wenigen Brocken Chinesisch, die er konnte und in der allgemeinen Handelssprache,
in Englisch...
Als die Autokanone des Stadtkolosses zu sprechen begann... Brigsten fühlte
puren Hass in sich emporsteigen, als er sah, dass die Spinne unter den
Einschlägen erzitterte und erbebte, sich wand - und starb. Die AK
hatte die Rückenpanzerung des wehrlosen Mechs glatt durchschlagen
und Kovacevic getötet.
Aldo Brigsten zitterte. Vor Wut, vor Enttäuschung, vor Rachegelüsten.
Immer noch meldeten sich die Capellaner nicht über Kom. Als der Truppführer
wieder sein Kom öffnete und seine verbleibenden zwei Lanzenkameraden
anfunkte, konnte er seine Stimme kaum unter Kontrolle halten: "Steph,
Dana, vergesst es, wir kommen hier nicht mehr lebend raus... Da die uns
im Nachhinein sowieso jeden Toten anlasten, können wir auch genauso
gut richtig reinhauen... Nehmt noch mit, was ihr kriegen könnt! Wenn
du uns schon erledigen, dann zeigen wir denen, wie man uns tanzt!! Jetzt
ist alles egal, wir haben nichts mehr zu verlieren..."
Als er diese Worte ausgesprochen hatte, zog sich sein Magen zusammen.
Eine innere Stimme in seinem Herzen flüsterte seinen leeren, hoffnungslosen
Gedanken zu... Nein... Du weißt, was du verlieren kannst... Das
Gesicht seiner vor Freude strahlenden Tochter, neben ihr ihr Mann, als
sie ihrem Daddy eröffnet hatte, dass er ein zweites Mal Opa werden
würde, erschien in seinen Gedanken.
Im selben Augenblick verdunkelte sich sein Geist wieder... Sah voraus,
sah auf den Leichnam der Spinne herab, fühlte wieder den Hass in
sich aufsteigen... Diese verdammten Hunde würden hierfür bluten,
koste es, was es wolle...
Die beiden FFK-Piloten schienen in der Tiefe ihrer Herzen auf diesen Befehl
nur gewartet zu haben.
Und noch ehe sie nun die beiden Mechs, den Skorpion und die Hornisse ganz
erreicht hatten, läuteten sie die Melodie der Vernichtung ein. Wieder
sprachen beide schweren Laser, fast im selben Moment, wieder trafen sie.
Ein Laserstrahl verdampfte den rechten Arm des leichten Mechs, den Ort,
wo er seine einzig effektive Hauptwaffe hatte, den mittelschweren Laser.
Allerdings wäre er wohl sowieso nicht mehr zum Feuern gekommen. Der
zweite rote Strahl bohrte sich kompromisslos in den zentralen Torso der
Hornisse und trieb sich weiter ins Innere. Der Mech fiel und Dana, die
inzwischen auf Infight-Reichweite herangekommen war, setzte mit einem
ihrer M-Laser nach und vernichtete den Capellaner damit. Der Skorpion
hatte in der Zwischenzeit lange gezielt und schoss. Von sechs KSR trafen
vier McMannons Maschine, die restlichen zwei donnerten in eine private
Garage am Straßenrand und ließen sie und Teile des anschließenden
Haus in einem grellen Feuerball aufgehen. Brigsten wandte seinen Ostsol
inzwischen ebenfalls noch vorne, war inzwischen auch beinahe auf M-Laser-Reichweite,
als der erste Panzer heran war, ein Striker. Brigsten wendete und griff
unter Höchstgeschwindigkeit den Neuankömmling an. Zwei Salven
LSR trafen, abgeschossen von den Verteidigern, erst den Ostsol, dann Fushikos
Feuerfalke. Beide Treffen schienen die Beschossenen kaum zu kümmern.
Stephan hatte inzwischen den Vierfüßler erreicht und schoss...
Nicht etwa nur mit einem mittelschweren Laser, sondern schlichtweg mit
allem. Was von dem Skorpion noch übrig blieb, machte Dana mit ihrem
schweren Laser Sekundenbruchteile später nieder... Nur die niedrige
Außentemperatur, die jetzt während der Nacht noch tiefer in
den Keller gegangen war, hielt Stephans Mech davor zurück, sich abzuschalten.
Und hier kühlte man schnell ab... Brigsten schüttelte verwirrt
seinen Kopf. Wieso nutzten die Capellaner nicht auch diesen gewaltigen
Temperaturvorteil und schossen sie in Grund und Boden?? Wie auf Kommando
durchtrennten wieder zwei azurblaue Strahlen die Nacht und die PPKs entluden
sich in McMannons Mech, rissen ihn zu Boden, aber vernichteten ihn nicht.
Eine hatte den linken Torso in einen Haufen Schlacke verwandelt, die andere
hatte den rechten Arm getroffen und die beiden dort montierten Waffen,
ein MG und einen M-Laser, zerstört. Eine Traube Langstreckenraketen
ergoss sich im nächsten Moment über Danas FFK, aber sie blieb
weiter stehen. Die Panzer hinten ihnen waren auf Feuerreichweite heran.
Wie vier Harpyien erhoben sich die sprungfähigen Verteidiger in die
Lüfte und landete vor ihren Gegner. Brigsten feuerte genau in diesem
Augenblick einen mitteschweren Laser auf den Striker ab, traf wohl eher
durch Zufall eines der Räder des Panzerwagens, der nun in voller
Geschwindigkeit von der Straße abkam, in eine Hauswand donnerte
und dort still liegen blieb. Der Truppführer wollte sich gerade von
den Panzern abwenden und gegen die Verteidiger mit vorgehen, als ein stummer,
klobiger Schatten aus einer Seitenstraße trat. Verdammt! Der Stadtkoloss!!
Er hatte ihn ganz vergessen! Instinktiv wich der Ostsol aus, schlidderte
gerade noch aus der Schusslinie des Kolosses, der seine AK-Salve nun in
eine weitere Häuserwand fegte... Brigsten griff sofort an, erhöhte
seine Geschwindigkeit, senkte sie dann wieder, als er dem kleinen Mech
in der engen Seitenstraße entgegentrat. Der Stadtkoloss blieb stumm...
Wieso?? Wieso feuerte dieser Idiot nicht? Oder sprang in Sicherheit? Zweitrangige
Fragen. Brigsten legte lächelnd einen Schalter um... Hinter ihm zuckten
Strahlen und aufblitzendes Geschützfeuer war zu sehen, Explosionen
und schmelzende Panzerplatten zu hören. Dana und Stephan hatten ihre
Gegner erreicht. Zwei S-Laser und zwei M-Laser, die volle Frontalbewaffnung
des Ostsol flammten auf... Obwohl dieser Mech zwar über eine ganz
beachtliche Anzahl von Wärmetauschern verfügte, fühlte
Aldo den gewaltigen, fast überwältigenden Hitzeanstieg in seinem
Cockpit und musste einen Moment aufhören zu atmen... Glaubte er für
einen Augenblick doch, dass die Luft brannte, die er einatmete. Sekundenbruchteile
später aktivierte er wieder einen seiner schweren Laser und feuerte
wieder. Wieder schlug die Hitze fast ganz über ihm zusammen und raubte
ihm beinahe seinen Verstand. Der Stadtkoloss sackte zusammen, tot, zerstört,
hingerichtet. Brigsten hielt einen Moment still. Er war schweißgebadet,
atmete tief und angestrengt, während seine Wärmetauscher vor
Anstrengung seufzten. Zitternd wendete er seinen Mech und trat aus der
Straße... Und erstarrte. Die anderen Mechs befanden sich im Nahkampf.
Einer der Verteidiger war bereits gefallen, ein anderer schwer angeschlagen.
Die beiden Feuerfalken sahen nicht aus, als ob sie die nächste Minute
überleben konnten, aber feuerten weiter, immer weiter... Brigsten
erhöhte sein Tempo, wollte die beiden erreichen, wollte neben ihnen
sterben... Ein Schuss hinter den Feuerfalken zerriss die Luft und eine
kompromisslose AK brannte sich in eines der Beine von McMannons Feuerfalken.
Der Mech taumelte kurz. Bruchteile später visierte der MechKrieger
einen der weniger beschädigten Verteidiger an und feuerte alles ab,
was er noch hatte... Bevor noch irgendetwas anderes geschehen konnte,
betätigte McMannon seinen Schleudersitz und flog hinauf in die bleihaltige
Nacht. Der Verteidiger ging im gleichen Moment in einer Feuersäule
unter, wie das Bein des FFK brach und der Mech nach hinten stürzte.
Brigsten aktivierte einen S-Laser, feuerte, verfehlte sein Ziel, traf
dafür die Haustür eines freundlich aussehenden Privathauses
im chinesischen Stil. McMannon fiel langsam an seinem Schirm herunter...
Brigsten konnte nicht feststellen, ob das was nun geschah, Absicht war
oder zufällig, in ´Eifer des Gefechts´ - wie man immer so nett
sagte - geschah. Jedenfalls schien eine MG-Salve, von wo auch immer, den
Fallschirm zu treffen und den darunter hängenden MechKrieger. McMannon
zuckte ein paar Mal unter den Treffern, dann wurde der Schirm zerrissen,
konnte den freien Fall nicht mehr stoppen und McMannon stürzte aus
einer Höhe von vielleicht fünfzig Meter zu Boden. Danas Wutschrei
war urplötzlich im Kom zu hören und Brigsten zuckte zusammen,
als er dieses, fast schon animalische Geräusch wahrnahm. Dana Fushiko
ließ sich jetzt nicht einmal mehr die Zeit, zu feuern, sondern stürzte
auf einen der feindlichen Mechs zu und begann, mit den Fäusten ihres
Mechs auf ihn einzuschlagen. Immer wieder. Immer in Richtung des feindlichen
Cockpits... Brigsten benutzte vorwiegend seine beiden schweren Laser,
feuerte in einer mörderischen hohen Geschwindigkeit und dankte den
Kriegsgöttern für diese Temperaturen... Die beiden Verteidiger
waren längst nicht mehr in der Lage, sich zu wehren und beide gingen
praktisch im gleichen Moment unter...
Kurz herrschte Stille.
Dann richteten sich die beiden zusammengeschossenen Schatten, früher
einmal waren sie Mechs gewesen, zu ihrer vollen Größe auf und
marschierten zusammen auf die Panzer vor ihnen zu... Und begannen zu feuern.
Brigsten konnte nur noch sehen, wie zwei der Panzer vor ihnen verdampften,
dann begannen die Capellaner zu feuern.
Eine Welle aus Projektilen schlug über den beiden Mechs zusammen.
Dann nichts mehr.
Wellerbein sprach plötzlich wieder lauter, änderte seine Tonlage:
"Hieraus, meine Damen und Herren, mögen Sie erkennen, was eine
Truppe von allein schon drei Mechs ausrichten kann, wenn sie die Chance
hat, ihre Waffen vernünftig einzusetzen, die feindliche Partei dies
allerdings nicht wahrnimmt.
In unserem Fall endete es zwar schlecht für unsere heutigen Helden,
aber ich denke, sie haben alle verstanden, was ich Ihnen zu sagen versuchte.
Unter normalen Umständen, wenn normale Schussbedingungen gegolten
hätten, hätten drei Angreifer gegen einen dermaßen überlegenen
Gegner niemals solche Schäden anrichten können... Noch ein paar
Worte zu diesem Marik-Überfall. Das Landungsschiff konnte zusammen
mit dem Sprungschiff zurückflüchten in den andurianischen Raum.
Die erwarteten Vergeltungsschläge der Capellaner blieben genauso
aus wie eine capellanische Veröffentlichung der enormen Schäden,
die hier, mitten in einer Stadt angerichtet worden waren, da der Großteil
dieser Beschädigungen nachweißlich von PPKs oder von AK-Granaten
stammten, Waffen also, die nicht an den MarikMechs montiert waren...
So, aber nun genug der großen Worte. Bei einem Blick auf meine Uhr
sehe ich, dass wir für heute fertig sind. Ich freue mich ehrlich,
dass Sie über das komplette Semester so zahlreich hier erschienen
sind und meinen Worten gelauscht haben. Und natürlich möchte
ich Ihnen eine schöne vorlesungsfreie Zeit wünschen... Vor meinem
Büro liegen übrigens ab heute umfangreiche Skripten zu jeder
unserer Sitzungen aus... Und damit, meine Damen und Herren, möchte
ich diesen Kurs schließen."
Adrenalin I - Kapitel 13 - Todestanz
05.04.2023
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