Sitzung Neun:
Der Weg in die Hölle
Tharkad City, Tharkad
Mark Donegal, Vereinigtes Commonwealth
24.7.3054
Die Hitze
hatte etwas nachgelassen, hatte sich in einen angenehmen, immer noch heißen,
Sommer verwandelt, der nun über ihren Köpfen regierte und hoffentlich
wohl noch ein, zwei Wochen bleiben würde. Kalt wurde es auf Tharkad
von selbst...
Sie saß mit einem bleichen Gesicht in dem Copilotenstuhl und fragte
sich wohl das tausendste Mal, wieso sie hier war, welcher Wahnsinn sie
hierzu getrieben hatte.
Ellen trug gewöhnliche die typische Kleidung einer MechKriegerin:
Shorts, ein Sweatshirt, eine Kühlweste und Gefechtsstiefel.
"Alles OK da hinten?" rief Sergej ihr zu und sie war schon kurz
davor, ihn zu bitten, sie sofort wieder aussteigen zu lassen, aber als
sie das glückliche Lächeln, sein etwas stupid zufriedenes Gesicht
sah, zwang sie sich in dem zweiten Pilotenstuhl, der direkt hinter dem
ersten in dem engen Cockpit angebracht wat, zu einem Lächeln: "Alles
OK!"
Sie seufzte leise, ein Seufzen, das in den Hintergrundgeräuschen
erstarb und nicht mehr wahrgenommen werden konnte. Nihongi, July und John
waren mitgekommen, sozusagen als seelischer Beistand für Ellen. Allerdings
auch weil sie es mit eigenen Augen sehen wollten, wenn Ellen sich mehr
oder weniger freiwillig in einen Mech quetschte...
Sie hörte plötzlich ein leises Summen, das konstant lauter wurde.
Sergej fuhr den Dunkelfalke hoch.
Oder nein, hochgefahren hatte er den Mech schon lange, er hatte nur die
letzten Kontrollprotokolle abgeschaltet und den DKF völlig aktiviert.
Und dann fühlte sie es...
Fühlte, wie die 55 Tonnen unter ihr zu vibrieren begannen... Fühlte
sie in sich emporkommen, die Wellen des Glücks, als der mittelschwere
SchauMech sich mit seiner Höchstgeschwindigkeit, 25km/h in Bewegung
setzte und einfach nur einen Fuß vor den anderen setzte. Der Stahlgigant
unter ihr schien nichts weiter zu sein als ein Teil von ihr, ein Teil
ihres Seins, das sie bisher ignoriert hatte. Wie musste sich da erst Sergej
fühlen, der ja die Kontrollen über den Mech hatte und der den
Neurohelm trug...
Ellen zitterte
noch immer etwas, als sie zusammen mit Sergej in die gläserne Lounge
kam, in der ihre drei Freunde warteten. July grinste sie kurz an: "Und?"
Ellen lächelte zurück und sah sich etwas verlegen um, sah die
Augen, die auf ihr ruhten: "Naja, es war ganz OK."
Nihongi lächelte diplomatisch: "Also dein Gesichtsausdruck sagt
gerade was anderes."
Sie antwortete nicht, sondern lächelte nur. Sergej grinste: "Schon
gut. Ich kenne niemanden, den dieses Gefühl nicht bewegt oder sogar
kalt lässt."
Dann wandte sich Ellen an ihren Freund und murmelte: "In dem Marodeur
- war´s da ähnlich?"
Sergej sah sie für einen Moment etwas verwirrt an, dann lachte er:
"Das kann man nicht vergleichen! Das hier war nichts weiter als ein
ganz müder Abklatsch eines echten BattleMechs! Dieser SchauMech hier
hatte gerade mal die Form und die Tonnage eines echten DKF, aber ansonsten
wirklich nichts. Wenn du erst mal an den Kontrollen eines echten BattleMechs
gesessen bist, weißt du erst mal, was wirklich kraftvoll ist."
Sie blinzelte ihn an, dann schwieg sie. Sergej streckte sich genüsslich
und meinte: "OK... Ich werd dann wohl abhauen - ich muss noch ´n
paar Bücher lernen." Dabei versuchte er, sich zu einem Lächeln
zu quälen und mutig auszusehen, aber fast erschien es Ellen, als
dass er den Gedanken, in einem Mech gegen eine überlegene Übermacht
zu kämpfen, dem Gedanken zu lernen vorziehen würde. Aber nun,
sie kannte das Problem nur zu gut - die Klausuren standen direkt bevor,
da konnte
es schon mal beängstigend knapp werden.
"Is gut... Ich bleib noch ´n bisschen hier." Murmelte Ellen
und sah gedankenverloren das Tal entlang.
Wenige Minuten
später war die Lounge praktisch leer. Ni und July waren mit Sergej
mitgegangen, nur noch John saß schweigend in einem der Sessel und
starrte aus den Fenstern, als Ellen sich von dem Blick auf das Gelände
wegriss, ihre Erinnerungen kurz hinter sich ließ und sich zu John
herumdrehte:
"Hast du Lust auf ´nen kleinen Spaziergang?"
"Hmmm..."
"Also ja?" lächelte Ellen, nahm John kompromisslos bei
der Hand und zerrte ihn aus dem Gebäude...
Ihr Weg hatte sie in ein weiteres abgelegenes Tal geführt, das gleich
im Anschluss an das Tal der Mechs kam. Ein Seitenzufluss des Onyx schlängelte
sich hier durch und einige Dutzend Wanderpfade beinhaltete. Wie man hier,
mit all dem Lärm der nahen Mechs die Natur genießen wollte,
war ihr zwar schleierhaft, aber anscheinend benutzten genügend Menschen
diese Pfade, um sie ständig neu instand zu halten.
Es war inzwischen später am Nachmittag geworden und die beiden hatten
sich schweigend ein stilleres Plätzchen direkt an diesem Seitenfluss
gesucht, etwas abseits der Trampelpfade, die natürlich auch von anderen
Personen genutzt wurden als von ihnen, von anderen faulen Studenten, jungen
Familien mit ihrem nörgelndem und schreienden Nachwuchs oder von
jungen verliebten Pärchen, die John durch ihr öffentliches Geknutsche
nur noch tiefer in seine Depression hineintrugen.
Der Platz war ziemlich schön. Unter anderen Vorzeichen hätte
John wohl die romantische Ader dieses Örtchens wohl weidlich ausgenutzt,
so gut glaubte sie ihn nun schon zu kennen.
"Angenehm hier, nicht?"
"Hmm..."
"Hm?"
Ja, ist ganz nett hier..."
Ellen verfiel wieder in Schweigen, starrte auf das Schilf des Altwassers
vor ihr und setzte sich dann in das trockene Gras. Sah weiter nach vorne,
seufzte kurz und erklärte: "Setz dich doch bitte auch."
Er schien kurz zu überlegen, setzte sich aber dann zögerlich
neben Ellen und starrte ebenfalls auf den Flussarm vor sich. Dann räusperte
sich Ellen leise: "Hör mal... Ich weiß, so was kann man
nicht einfach mit einer einfachen Entschuldigung abtun..."
"Ja?"
"Ja?"
"Red nur weiter..." Er grinste sie an.
"Naja, aber ich weiß nicht, was ich außer einer Entschuldigung
machen soll. Ich meine, ich kann dir auch vor die Füße fallen,
wenn dich das eher zufrieden stellt... Ich weiß, dass ich Mist gebaut
hab und ich möchte einfach, dass ich das irgendwie wieder ungeschehen
machen kann."
John blickte sie düster an: "Das kannst du nicht... Was geschehen
ist, ist geschehen..."
"Dann sag mir, was ich machen kann, damit du mir vergibst..."
hauchte sie traurig.
"Gib mir Zeit, ja?"
Er sah sie ernst an, dann nickte Ellen und John fing plötzlich an,
sie frech anzugrinsen: "Und ich hätte nichts dagegen, dass du
mir zu Füßen liegst... Es gibt schlimmere Vorstellungen..."
Als er darauf zu kichern anfing, fiel sie mit ein, stupste ihn an und
John ließ sich pathetisch zu Boden fallen...
"Wieder OK?" fragte sie leise und er antwortete mit einem Kopfnicken:
"Weißt du, ich will dieses Semester auch nicht auf diese Art
zwischen uns beenden. Wär´ ja traurig, wenn wir uns nicht wieder
zusammenraufen... Aber bis es wieder so wie vorher wird, na ja... gib
mir bitte einfach Zeit, ja?"
"Ist OK." Kommentierte Ellen leise und mit einem vorsichtigen
Lächeln.
"Dann können wir ja eigentlich wieder zurück, wenn das
jetzt endlich erledigt ist..."
Donnerstag
Morgen... John torkelte verschlafen in die Vorlesung und setzte sich wortlos
zwischen Nihongi und Pedro. Während er herzhaft gähnte, sah
Ni ihn schräg an: "Lange Nacht gehabt?"
John gähnte noch herzhaft, murmelte etwas von wegen "Lernen...
Bücher... Kaffee..." und Ni antwortete lediglich mit einem dümmlichen,
aber recht amüsiert wirkenden Grinsen. Dann sah er nach vorne und
erkannte Wellerbein, der das allwöchentliche Kaffee-Ritual schon
beinahe hinter sich gebracht hatte und wohl bald mit seiner Stunde anfangen
würde... Die letzten Studenten betraten den Hörsaal, John winkte
kurz den anderen Personen in der Reihe, als er hörte, wie sein Dozent
sich laut räusperte und der Geräuschpegel brav nachließ...
"Danke dass sie mich auch zu Wort kommen lassen...
Heute, meine Damen und Herren, möchte ich zuerst eine kleine verwaltungstechnische
Angelegenheit klären... Zu meiner Exkursion, die, wie sie ja wissen,
diesen Samstag, also in zwei Tagen, stattfindet.
Ich bin etwas angenehm überrascht, dass sich so viele, etwa zweihundert
Hörer trotz der nahenden Prüfungen dazu entschieden haben, teilzunehmen,
möchte aber auch alle bitten zu erscheinen. Bezahlt haben überraschenderweise
auch alle... Zum Ablauf brauche ich ja nichts mehr sagen, das steht ja
auf dem Infoblatt, das im Büro ausliegt...
Gut, aber nun zum heutigen Thema. Die älteren Semester sollten wissen,
was jetzt kommt... Ich pflege jedes Jahr eine Sitzung zu diesem Themenkomplex
zu halten... Hin und wieder halte ich sogar eine eigene Vorlesung darüber..."
Ellen und Nihongi stöhnten laut auf... Wellerbein sah böse in
ihre Richtung, fuhr dann aber fort: "Es handelt sich heute um eine
Schlacht, die in ihrer Bedeutung bisher absolut einmalig für die
Lyraner war, etwa ähnlich der Schlacht um Luthien im Clankrieg für
den Drachen... Wäre diese Schlacht, die mit einer unglaublichen Wildheit
und Härte geführt wurde, anders ausgegangen - dann würden
wir mit Sicherheit nicht hier sitzen... vielleicht wäre Tharkad dann
bereits draconisch - wenn Sie mir diese kleine Übertreibung erlauben."
Er setzte kurz ab und plusterte sich mit allem Pathos, das er aufbringen
konnte, auf: "Heute, meine Damen und Herren, wollen wir über
die Schlacht um Skye im Jahr 2892 reden."
"Wieder mal..." flüsterte Nihongi gelangweilt und zwang
John zu einem belustigten Grinsen.
Wellerbein redete unbeirrt weiter. Offensichtlich war das eines seiner
Lieblingsthemen, das ihn zu einem gewissen euphorischen Fanatismus verleitete.
"Wir wollen diese Schlacht heute unter dem besonderen Blickwinkel
´Hinterhalt´ betrachten, was uns direkt in die entscheidende Szene
der Schlacht führt...
Dawn stand müde vor ihrem Mech, einem uralten Kriegshammer und sah
in den Sternenhimmel. Dort oben war alles so sanftmütig, so schön,
vertaut und friedlich...
Schritte kamen näher. Dawn spannte sich sofort an, zog ihre Waffe
- und sah Oberleutnant Fillipo Tripòdi aus dem Gebüsch wieder
auftauchen, etwas verwirrt angesichts Dawns gezückter Waffe.
"Ist was, Leutnant Brooks?"
"Nein, ich war mir nur nicht sicher..."
"Wenn ich ein Draconier wäre, wären Sie sicher schon längst
tot." Herrschte er sie an. "Oder meinen Sie, dass so eine kleine
Handfeuerwaffe wie die ihre einen Infanteriezug der Schlangen stoppen
kann?"
Dawn Brooks antwortete mit einem unsicheren und verärgertem Murmeln.
"Aber haben Sie keine Angst, sie haben uns nicht gehört, als
wir unsere Mechs in Stellung gebracht haben."
"Ich habe keine Angst!" fauchte die junge Frau zurück.
"Was haben Sie da in den Büschen eigentlich gesucht?"
"Musste mal... Müssen Sie nie??"
Fillipo grinste sie an und schwieg. Dawn verdrehte ihre Augen, murmelte
kurz ein paar Worte und lehnte sich wieder an ihren Mech und sah wieder
zu den Sternen hinauf. Tripòdi hangelte sich an der Strickleiter
seines Zeus hinauf und blieb in der Einstiegsluke des Cockpits sitzen...
Plötzlich winkte er Dawn, die ihn kurz ansah, dann zu dem Zeus hinüberging
und ebenfalls an der Leiter hinaufkletterte.
Zu ihn kletterte und ihn fragend anstarrte: "Ja, Oberleutnant? Was
ist?"
Fillipo deutete nach oben: "Von hier kann man die Sterne viel besser
ansehen als vom Erdboden. Keine Bäume im Weg."
Sie blickte ihn düster an: "Und deswegen haben Sie hier rauf
gehetzt??"
"Wieso nicht? Sie schienen doch vorhin die Sterne betrachtet zu haben."
Dawn schwieg - und lächelte. Dann deutete sie auf die rechte Schulter
des Kampfkolosses: "Wollen wir uns nicht da hin setzen? Ist viel
mehr Platz..."
Dawn schwang sich mit einem Satz auf die breite Schulter des Mechs und
setzte sich, während Fillipo ihr nach Kurzem folgte.
Sie überblickte kurz das Gelände. Blickte auf den dunklen und
unwirtlichen Sumpf, der sich um die beiden Mechs zog, auf das ausgedehnte
Gebiet der Bannockburn Bogs, das so unentdeckt wie tödlich für
jeden Fremden war. Bäume verdeckten die Sicht, kleinere und größere,
vorwiegend armselige Nadelbäume, deren schlanke Stämme sich
manchmal bis zu zwanzig Meter in den Himmel reckten.
Dann waren da die kleinen Büsche, die sich am Rand der Sumpflöcher
standen, die sich über die ganzen Bogs erstreckten und an denen sich
die paar wenigen Trampelpfade entlang schlängelten, die die Anwesenheit
der beiden Mechs hier erst ermöglicht hatten. Die Draconier waren
etwa zweihundert Meter vor ihnen auf dem schmalen Weg, der die Bogs durchquerte
zum Stehen gekommen und hatten ihr Nachtlager aufgeschlagen, während
zwei Kompanien der 17. Skye Ranger auf diesen geheimen Trampelpfaden hier
in Stellung gegangen waren und den Feind umzingelt hatten. Die Operation
war bis ins Kleinste gelungen und es war mehr als denkbar, dass die zahlenmäßig
so überlegenen Draconier morgen bei Sonnenaufgang ihr blaues Wunder
erlebten. Offenbar hatte sich der betreffende
Kommandeur der vorrückenden VSDK nicht vorstellen können, dass
auch nur irgendjemand in diesem
Sumpf sein konnte oder ihn sogar durchqueren konnte.
Dawn musste plötzlich lächeln, als sie daran dachte, dass die
fünf Offiziere, allesamt Scouts, die diese Schleichwege hier entdeckt
hatten, noch vor diesem Tag von der ganzen Einheit als Spinner abgetan
worden waren. Nun hatte ihre Entdeckung vermutlich das Blatt für
die Lyraner gewendet... Morgen, kurz bevor die Draconier ihre Mechs und
Panzer starteten, würde es beginnen. Wenn das allmorgendliche Chaos
auf seinem Höhepunkt war, die Vorbereitungen für den Abmarsch
auf Hochtouren liefen und die enge und schmale Straße, die ohnehin
schon durch Mechs und Panzer vollgeparkt war, in einem Menschengewirr
aus Techs, einfachen Wachsoldaten, Offizieren, Panzerfahrern und MechPiloten
ersticken würde. Das würde um vier oder fünf Uhr morgens
sein, je nachdem was die Scouts der Ranger den wartenden Mechs der Lyraner
mitteilten.
"Was denken Sie, Oberleutnant?"
"Was meinen Sie, Brooks?" fragte Tripòdi in seiner typischen,
mürrischen Art.
Als Dawn ihm einen kurzen Blick zuwarf, erkannte sie allerdings, dass
er nicht allzu verärgert durch die Frage war. Nur eine alltägliche
Reaktion, die der kleine untersetzte Mann eigentlich dauernd vollführte.
Eigentlich hatte sie sich schon an diesen mürrischen Oberleutnant
gewöhnt und begonnen, ihm so etwas wie Sympathie entgegenzubringen.
Tatsächlich war Tripòdi ein hervorragender Offizier, der wohl
alles getan hätte, um seine Truppen wieder lebendig aus einem Kampf
herauszubringen. Dawn machte schon länger gemeinsam Dienst mit ihm
und hatte bemerkt, dass sie ganz gut mit dem Oberleutnant auskam. Mochten
sie möglicherweise menschlich nicht immer perfekt miteinander auskamen,
was das Kämpfen betraf, waren sie ein unschlagbares Team.
"Den Kampf morgen früh. Was wird geschehen?"
"Können Sie sich das nicht selbst denken??"
Sie verdrehte ihre Augen: "Also ich denke, dass wir ihnen den Hintern
aufreißen..."
Fillipo grinste sie an: "Ganz die Dame, Brooks, in allem was Sie
sagen..."
"Ach, halten Sie Ihren Mund!" fuhr Dawn ihn wütend an.
Der Oberleutnant grinste noch breiter und erklärte dann: "Ich
bin der gleichen Ansicht wie Sie. Obwohl uns möglicherweise Dracs
entkommen, wenn wir nicht aufpassen."
"Meinen Sie?"
"Ja."
"Hm..."
Kurz herrschte Stille, dann flüsterte Dawn: "Sie müssen
ausgelöscht werden. Alle! Oder wir verlieren Skye!"
"So weit würde ich nicht gehen, Brooks."
"Wir haben hier die einmalige Gelegenheit, ihnen ein volles MechBataillon
und ein Panzeregiment zu nehmen! Danach haben wir zahlenmäßige
Überlegenheit! Tun wir das nicht, haben sie wieder die Gelegenheit,
gegen uns offensiv vorzugehen... Tripòdi, ich bin es so leid, meine
Heimat gegen eine
zahlenmäßige Überlegenheit zu verteidigen. Sie müssen
ausgelöscht werden!"
Dawns Gesicht verzog sich zu einem bösartigen kalten Lächeln
und es schien ihn als ob Fillipo für einen kurzen Moment erschauderte.
Dann räusperte er sich: "Mäßigen Sie sich, Leutnant!"
"Nein, das werde ich nicht tun!", brauste sie auf, "Sie
haben Skye angegriffen! Meine Heimat, die Heimat dieser Einheit, der 17.Ranger.
Wussten Sie, dass ich nicht weit von hier geboren wurde... Mein Leben
lang war Skye für mich der Innbegriffes von Freiheit und Unbeugsamkeit!
Lieber sterbe ich, als nur einer verdammten Schlange zu erlauben, diesen
Planet wieder lebend zu verlassen!"
Tripòdi schluckte, sah sie gehemmt an und murmelte: "Möglich...
Aber jetzt kommen Sie wieder runter! Man kann ja Angst bekommen..."
Sie lächelte düster und flüsterte leise: "Die einzigen,
die Angst vor mir haben müssen, sind die VSDK, Oberleutnant. Ich
werde morgen die Pforten der Hölle für sie öffnen!"
Er lächelte, nun etwas sicherer: "Na, da haben Sie ja einiges
vor, Leutnant... Aber bedenken Sie bitte, dass wir es waren, die die Bombe
geworfen haben..."
"Was?" Sie sah ihn verwirrt an, dann hellten sich ihre Züge
auf: "Ach so, das... Es war kein Fehler, diese Atombombe einzusetzen,
Oberleutnant."
"Leutnant! Wir haben hier eine taktische Atombombe eingesetzt, in
der Nähe einer unserer Städte, nur um einen Vormarsch aufzuhalten!!
Ich bitte Sie, das ist Wahnsinn. Was, denken Sie, werden die Opfer sagen?
All die, die nicht das Glück hatten zu sterben und dort in der Nähe
waren? Die ihr weiteres Leben lang mit der Strahlung leben müssen?"
Dawn sah ihn an, wich dann seinem Blick aus und flüsterte: "Kollateralschäden."
"Eh, wie bitte???" Fillipo starrte sie bestürzt an: "Wir
reden hier über Menschen! Noch dazu über das Volk, das wir beschützen
sollten!"
"Die VSDK waren durchgebrochen und hätten eine Position eingenommen,
die uns gefährdet hätte. Es war notwendig, sie auszulöschen.
Der Preis war zu zahlen, aber er war vertretbar!"
Noch immer sah der Oberleutnant sie mit offenem Mund an: "Brooks...
Dawn... Das hier ist Ihr Planet. Ich hätte gedacht, dass gerade Sie
ein Problem damit hätten, wenn er nuklear verseucht wird..."
"Solange Skye nicht draconisch wird, ist mir alles recht, Oberleutnant."
Zischte sie.
Und wieder einmal schüttelte ihr Vorgesetzter den Kopf: "Ich
kann Ihre Haltung nicht verstehen. Sie sind doch sonst nicht so... fanatisch."
"Hier ist es anders. Hier geht es um Skye. Jeder Preis ist hier tragbar."
"Und all die anderen Dinge, die unsere Truppen noch jetzt ausführen?
Zivilisten als Schutzschilde zu benutzen? Selbstmordattentäter zu
unterstützen, nur um den Dracs kleinere Schäden zuzufügen?
Dass auch wir gegen Zivilpersonen vorgehen?? Unterstützen Sie das
auch??"
"Ja, Oberleutnant. Für Skye!"
Er sah weg und murmelte dann: "Wissen Sie, was Sie da eigentlich
sagen? Sie klingen nicht anders als einer dieser fanatischen Kuritaner,
die wir zu bekämpfen versuchen."
Sie zuckte mit ihren Achseln: "Ich bekämpfe nur Feuer mit Feuer..."
"Und verlieren dabei Ihre Menschlichkeit, Dawn!"
Sie sah ihn wild an: "Ganz richtig! Aber wir sind schon zu lange
und zu oft zurückgewichen! Bis hierher!! Bis hierher und nicht einen
Schritt weiter!! Ich bin es leid, mich ständig zurückzuziehen."
Sie setzte kurz ab, ließ die Stille zurückkehren... Die Stille,
die es nicht fertig brachte, den Hass und die Wut in ihrer Seele aufzulösen
oder für einen Moment beiseite zu schieben... Dann sprach sie weiter,
dieses Mal etwas sanfter: "Ich wünsche mir das ja alles auch
nicht... Aber es geht nicht anders."
Fillipo lächelte sie schwach an: "Passen Sie auf sich auf, Dawn!
Der Weg in die Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert..."
Sie antwortete nicht... Der Oberleutnant sah nach oben, in den wolkenfreien
Sternenhimmel: "Sie sind schön, nicht wahr?"
"Hm? Was?"
"Die Sterne, Dawn... So schön, so friedlich..."
"Ja."
Seine Stimme wurde plötzlich härter: "Was denken Sie? Wie
viele da oben kämpfen gerade in diesem Moment um ihr Leben? Oder
um ihren Planeten? Oder um irgend etwas anderes, das sie in den Glauben
führt, zu töten?"
"Sie sind ja ein richtiger Philosoph, Oberleutnant." Flüstere
sie mit einem leicht spöttischen Unterton.
"Ja, ich weiß..." antwortete er, ignorierte den Unterton
und redete dann weiter: "Nur schade, dass das niemanden interessiert...
Gehen Sie jetzt zurück in das Cockpit Ihres Mechs, Leutnant. Versuchen
Sie, etwas zu schlafen. Ich wecke Sie bald."
Dawn nickte, stand auf und kletterte die Strickleiter herunter. Als sie
über ihrem Kriegshammer stand, sah sie, wie Tripòdi im Cockpit
seines Zeus verschwand und die Strickleiter noch hochzog. Dawn zuckte
mit ihren Achseln und stieg nach oben...
Sie schreckte
urplötzlich auf, als sie den schrillen Alarm hörte... Fuhr schlaftrunken
hoch und donnerte mit ihrem Kopf gegen die Kanzelwand. Sie seufzte schmerzvoll
an, rieb sich ihren Kopf und blinzelte aus ihrem Cockpit, entdeckte keinen
VSDK und wandte sich dann ihren Sensoren zu, erkannte, dass Tripòdis
Zeus den Kriegshammer anvisiert hatte und somit die Warnsensoren des Hammers
berechtigt Alarm geschlagen hatten. Dann aktivierte sie ihr TakKom und
murmelte ihren Oberleutnant mit einer Mischung aus Schläfrigkeit,
Schmerzen und Verärgerung an: "Oberleutnant?? Wieso richten
Sie Ihre
Waffen auf mich??"
"Ich dachte mir, das wäre die wohl effektivste Methode, Sie
zu wecken, Leutnant..."
Dawn murmelte etwas in das Kom, sah dann auf den Chronometer... Halb fünf
Uhr morgens. Ein weiterer Blick und sie realisierte, dass es zwar noch
dunkel war aber die Sonne wohl demnächst bald aufgehen würde.
"Geht´s los?" flüsterte sie.
"In zehn Minuten. Ich habe gerade den Befehl von unseren Scouts bekommen.
Machen Sie sich bereit, Leutnant."
"Jawohl Oberleutnant..." murmelte sie und schaltete ihren Mech
von ´StandBy´ auf ´On´, ließ ihn warmlaufen.
"Sind Sie OK? Sie klingen nicht besonders fit."
"Hab mir nur den Kopf angestoßen, schon in Ordnung."
"Sind Sie kampffähig, Leutnant?"
"Ja, Leutnant! Natürlich! Geben Sie mir nur ´ne Minute, ja?"
"Genehmigt."
Es dauerte nicht mal diese sechzig Sekunden, dann waren die Schmerzen
Vergangenheit und die beiden Mechs stand bereit und schweigend da... Bereit,
loszuschlagen.
Acht Minuten nach Tripòdis Weckaktion meldete sich der Oberleutnant
wieder: "Ich habe gerade den Angriffsbefehl bekommen, Leutnant. Folgen
Sie mir. Feuern Sie erst auf meinen Befehl hin... Und versuchen Sie, leise
zu sein. Sie dürfen uns nicht entdecken!"
"Jawohl, Oberleutnant." Gab Dawn kurz zurück.
Es war niemals besonders einfach, einen Mech so zu steuern, dass er wenig
Aufsehen erregte, aber ihn so zu steuern, dass er unbemerkt blieb war
fast unmöglich. Zwölf Meter reinstes Metall, gekoppelt mit 70
Tonnen, lauten Schritten und einer beeindruckten Konstruktion, die wohl
immer und überall gesehen werden konnte, machten das Schleichen eigentlich
zu einem Ding der Unmöglichkeit.
Aber hier, im Schutz der morgendlichen Schatten und des Frühnebels,
der hohen Bäume und der Geräuschkulisse des draconischen Aufbruchs
gelang es...
Die beiden Mechs schlichen sich langsam und vorsichtig an die Hauptstraße,
die mit den Panzern und Mechs der VSDK zugeparkt war und gerade durch
all die draconischen Soldaten erstickt wurde...
"Feuer frei!" kam plötzlich Tripòdis lustloser Befehl
über das TakKom. Dawn zögerte nicht... PPK aktivieren, stehendes
Ziel anvisieren und feuern war praktisch eins. Die Entfernung war perfekt.
Die PPK traf und der Attentäter stürzte, im Rücken voll
getroffen, vernichtet zu Boden. Vernichtet durch einen perfekten Schuss...
Und das war nicht der einzige Treffer. Überall entlang der Straße
explodierten Panzer, Mechs, wurden Menschen getötet. Die VSDK schienen
zuerst kaum zu begreifen.
Und konnten nur fühlen, wie das Böse von einer Sekunde auf die
andere über sie hereinbrach...
Dawn wartete kurz, bis ihre PPK herabgekühlt war, dann zielte sie
mit der zweiten PPK auf den nächsten Gegner, sah zu, wie eine Wespe
zu Boden, wie die PPK den anderen Mech kompromisslos fällte, sein
Bein vom Körper riss... Wieder warten, herunterkühlen lassen,
wieder feuern, dieses Mal mit zwei PPKs und ein schwerer Dracon fiel.
Warten... Herunterkühlen lassen...
Das Chaos auf der Straße war perfekt... Explosionen, stürzende
Mechs... Schreiende Menschen... Draconische Träume, die zerrissen
wurden... Und Dawn, die in ihrem Cockpit saß, feuerte, wartete,
feuerte, wartete... Tripòdi neben ihr war nicht minder gewalttätig...
Eine Horde bewegungsloser und verteidigungsloser feindlicher Mechs und
Panzer vor sich stehen zu haben, verführte nun einmal jeden
echten MechKrieger zum Angriff. Womöglich war es ja hinterhältig
und grausam - aber eine solche Chance bot sich vielleicht nie mehr wieder.
Sogar Tripòdis hohe Moralwerte waren da vergessen. Plötzlich
erkannte Dawn eine Gruppe einiger MechKrieger mit ihren hastig angelegten
Uniformen, die sich den Weg zu ein paar noch intakten Mechs bahnten, stoppte,
drehte ihren Torso, aktivierte ihre großkalibrigen MGs und feuerte
in die Menschenmasse... Während sie den Feuerknopf gedrückt
hielt und all die Körper auf der Straße unter sich zucken sah,
lächelte sie kalt und murmelte kalt: "Ihr habt den Krieg nach
Skye getragen... Nun bekommt ihr ihn zurück..."
Plötzlich eine Bewegung... Dawn fuhr hoch, ließ von ihren wehrlosen
Feinden ab und aktivierte beim Anblick des draconischen Donnerkeils, der
langsam auf den Zeus und den Kriegshammer zustapfte, sofort beide PPKs.
Dass der VSDK dabei gezwungen war, tote und verwundete Kameraden auf der
engen Straße zu zerstampfen, schien ihn egal zu sein... Jetzt war
es sowieso egal. Meldungen, die in Sekundenbruchteilen über Dawns
Kom hereinbrachen, besagten, dass die VSDK geschlagen waren. Fast alle
ihre Mechs waren zerstört, fast das komplette Bodenpersonal und die
Kämpfer ausgelöscht und auch die Panzer schon zur Hälfte
zu Schrott gemacht worden waren. Andere Meldungen hatten besagt, dass
verschiedene Teilverbände der VSDK auf dieser Straße, in dieser
unvergleichlichen Todesfalle, ihre Kapitulation über Kom gesendet
hatten. Ganz in Dawns Sinne hatte niemand darauf reagiert... Keine Gefangenen,
keine Gnade... Dies war keine Schlacht, sondern eine Hinrichtung. Skye
sollte zum Alptraum für das Kombinat werden... Es war egal, wie viele
halbtoten VSDK der Donnerkeil unter sich begrub - jetzt schon. Tripòdi
feuerte zuerst. Schwerer Laser und Langstreckenraketen wurden abgefeuert...
trafen... ließen den Gegner zurücktorkeln... Dann feuerte der
Hammer und wiederum beide Waffen trafen. Der Draconier torkelte weiter
zurück, blieb an einem zerstörten und ausgebrannten Panzer hängen
und stürzte wie in Zeitlupe nach hinten. In eines der Sumpflöcher
neben der Straße und versank dort still... Dawn atmete heftig durch,
kämpfte gegen die beißende Hitze, hörte die Wärmetauscher
surrend und ächzend ihre Arbeit durchführen, wartete, wartete...
und feuerte wieder.
"Die Schlacht bei den Bannockburn Bogs war eine unglaubliche Niederlage
für die VSDK. Fast alles auf dieser Straße wurde durch die
zwei lyranischen MechKompanien in Stücke gerissen. Einzig zwei Mechs,
ein Jenner und ein Heuschreck, sowie fünf leichte Panzer haben dieses
Massaker überlebt... Die Draconier waren noch für etwa ein Jahr
auf Skye, aber keine echte Bedrohung mehr. Sie hatten für die Falle,
die sie sich mit der Wahl dieses extravaganten Nachtlagers selbst gestellt
hatten, gezahlt. Skye blieb lyranisch... Ach ja, noch eine kleine Anmerkung:
Möglicherweise sind Ihnen ja Ähnlichkeiten zwischen den Namen
aufgefallen... Dawn Brooks hatte eine Verwandte, die hier ebenfalls schon
erwähnt wurde: Angie Brooks, die 2951 beinahe ihr Leben auf Phalan
gelassen hätte, sechzig Jahre nach Dawn, wie ich in unserer ersten
Sitzung schon erwähnte. Die wenigen unter Ihnen, die meinen Worten
aufmerksam folgen, werden sich vielleicht erinnern... Soviel zu Skye..."
Adrenalin I - Kapitel 11 - Der Weg in die Hölle
05.04.2023
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