Adrenalin I - Kapitel 07 - Maskerade

05.04.2023

Sitzung Sechs: Maskerade
Tharkad City, Tharkad
Mark Donegal, Vereinigtes Commonwealth
26.6.3054

Abend.
July stand auf dem Dach ihres Wohnheims und sah sich den Sonnenuntergang an. Wie sie hinter den Bergen verschwand. July stand gerne hier oben, auf dem Dach, das zum höchsten Stockwerk umfunktioniert worden war. Sie war alleine, genoss die Stille. Inzwischen war es wärmer geworden, der Sommer hier kam relativ schnell. Zusammen mit dem für diese Jahreszeit untypischen Hochdruckgebiet über der Stadt erreichte er Temperaturen von etwas über zwanzig Grad.
Die Tür hinter ihr öffnete sich und Pedro betrat das Dach. Sah July fragend an: "Stör ich gerade?"
Sie schüttelte ihren Kopf: "Nein, wieso?"
"Hm, nur so..."
July lächelte... Wandte sich von Pedro wieder ab und betrachtete wieder den Sonnenuntergang. Pedro stellte sich daneben: "Das ist ja echt schön hier."
"Jepp."
"Und angenehm warm. Hätte ich gar nicht gedacht."
"Na ja, muss hier ja auch mal warm werden..."
Sie sah kurz zur Seite... Dort stand schon der erste Stern am Himmel. Vermutlich würde es wieder einmal eine sternenklare - und damit kalte - Nacht werden. July könnte ein Gespräch antreiben, könnte Pedro fragen, wie es Sam ging, wie es zwischen den beiden bisher denn lief. Sie musste innerlich lächeln... Hätte sie sicher tun können, wusste sie aber schon. Aus Samanthas Mund. Dann sah sie nach Norden, direkt nach vorne. Sie konnte die südlichen Grenzen der Gletscher entdecken, das weite und unwirtliche Hügelland mit seinen borealen Nadelwäldern, dann der Übergang und das relative Tiefland hier, in dem auch Tharkad City lag, das seinen Anfang in den gewaltigen Tälern nahm, welche die Gletscher in den Zeiten gerissen hatten, als sie sogar hier unten im Süden geherrscht hatten. Bei etwas mehr Helligkeit hätte sie vielleicht auch die zahlreichen Flüsse sehen können, die sich in einem riesigen Strom, dem einzigen Fluss hier im Norden, dem ´Onyx´ sammelten und so ihren Weg in den Ozean fanden. Dann waren da natürlich noch die kleinen und größeren Hügel, die runden und langgestreckten Seen und all die anderen Formen, die das ´ewige Eis´ zurückgelassen hatte. Weiter im Norden, etwas südlich der Region, bei der die Gletscher stoppten, war das wohl bedeutendste Charakteristika dieser Gegend: Permafrostboden. Der jetzt in seiner Oberschicht aufgeweicht und absolut unbegehbar war... In ihren Augenwinkeln sah sie, wie Pedro sich kurz vor ans Geländer lehnte, um so einen besseren Einblick auf die Landschaft zu bekommen...
Er und Sam schienen sich gefunden zu haben. Sam hatte letztens in höchsten Tönen von ´ihrem´ Pedro geschwärmt und von Nihongi wusste July, dass Pedro ebenfalls nur das Beste von ´seiner´ Sam berichtet hatte. Aber natürlich war das immer so eine Sache mit Informationen aus zweiter Hand. Da konnte man nie so genau sagen, ob das alles der Wahrheit entsprach... July freute sich natürlich für Samantha. Ihre eigenen Annäherungsversuche bei Nihongi stießen allmählich auch auf Gegenreaktionen. Ni war einer von der zurückhaltenden Sorte, stets auf Distanz bedacht, aber July war momentan im Begriff, diese harte Nuss zu knacken. Mit etwas Geduld und Feingefühl ging eben doch alles... Die Tür öffnete sich nochmals und Sam betrat das Dach. July lächelte kurz, verabschiedete sich mit der Notlüge, noch lernen zu müssen und ließ die beiden alleine...

Nihongi begrüßte sie mit einem höflichen Lächeln: "Na? Ist der Platz noch frei?"
July lächelte zurück: "Klar doch... So wie jede Woche."
Nihongi lächelte. Dann fragte er: "Und was ist das heutige Thema?"
"Einzelaktionen, soweit ich weiß..."
"Hm, hoffentlich wird´s diesmal etwas lustiger als letztes Mal."
"Ja..."
"Sag mal July, hättest du Lust, heute nach der Uni mit mir mitzukommen?"
"Mitkommen?" July blinzelte ihn irritiert an.
"Eh... Zu mir heim... Übers Wochenende. Is zwar total kalt da oben und eigentlich viel zu kurzfristig..."
July sah ihn freudestrahlend an: "Total gerne..."
Sie wurde von der zufallenden Tür unterbrochen, als Wellerbein eintrat und eben diese Flügeltür etwas lauter und unsanfter als gewohnt zufallen ließ.
Sie konnte gerade noch hören, wie der Dozent leise ein "Ups" flüsterte, dann ging er an sein Podest, holte seine Utensilien heraus, wartete brav, bis Ruhe eingekehrt war und erklärte dann:
"Meine Damen und Herren... Ich möchte heute mit einem Punkt fortfahren, der kaum Beachtung in der Militärtheorie findet: Einzelaktionen.
Sicherlich ist es korrekt, dass solche Operationen meist unwichtiges Beiwerk sind, aber es geht auch anders. Gutdurchdachte Einzelaktionen können der Schlüssel zum Erfolg sein. So wie in der nun folgenden Geschichte aus dem Jahr 3032... Und nebenbei sehen Sie hier, was geschehen kann, wenn Soldaten mit einer Restspur Hirnmasse und Individualismus ohne Aufsicht sind..." Wellerbein zwinkerte ihnen kurz zu. "Aber zuvor habe ich noch zwei Ankündigungen zu machen... Erstens wird diese Vorlesung nächste Woche wegen einer wichtigen Sitzung meinerseits ausfallen - Sie können also am nächsten Mittwoch beruhigt auf wilde Partys gehen und dann bis in den späten Nachmittag am Donnerstag ausschlafen..."
Kurzes leises Gelächter in den Reihen...
"Und zweitens werde ich am Samstag vor der letzten Verlesungssitzung eine Exkursion in den Nagelring machen... Ich mache das jedes Semester, mit anderem Vorzeichen. Eine alte Waffenschwester, mit der ich früher öfters an der Front zusammengearbeitet habe, lehrt heute dort und wird uns einen kleinen Vortrag - wohl über maximale Waffenreichweiten - halten. Ich lasse dazu heute Listen herumgehen. Wer Lust hat, den Vortrag zu hören, sich den Nagelring zeigen zu lassen und vielleicht mal selbst im Cockpit eines Mechs zu sitzen, der soll sich da eintragen... Das Ganze kostet auch nicht besonders viel, 10 C-Noten für den vollen Tag. Aber bitte kommen Sie dann auch, wenn Sie sich in der Liste eintragen. Es wäre mir unendlich peinlich, wenn sich fünfhundert eintragen und dann nur fünfzig erscheinen... Aber nun genug davon, die genauen Daten hängen dann so zwei Wochen vor der Exkursion am schwarzen Brett aus... Aber steigen wir nun in der heutigen Geschichte ein...



Es war Nacht. Die Scheinwerfer strahlten noch immer sanft in den dunklen, sternenverhangenen Himmel. Alissa sah dort hinauf und konnte einige Wolken sehen, die dort vorbeizogen. Dann drehte sie sich um und blickte auf den Prinzenpalais. Die Countess fand die Darbietungen hier am Königlichen Hof von New Avalon unglaublich öde. Mit der Zeit verloren die Aktionen, die Jagden, die Gauklerveranstaltungen, die Ritterkämpfe und all das restliche historische Zeug, dem sich Haus Davion in seiner ritterlich-mittelalterlichen Tradition hingab, jeglichen Reiz. Sie war jetzt schon einige Wochen hier und jeden Tag das Gleiche zu tun, widerte sie allmählich einfach nur an... Jemand trat plötzlich an sie heran. Sie drehte sich um und sah einen der königlichen Pagen.
"Countess Alissa Davion-Miller?"
"Ja?"
"Das abendliche Bankett wartet auf Sie, Hochwohlgeborene."
Alissa nickte gelangweilt und folgte dem Diener, der sie in den Bankettraum des Palais führte. Das mittelalterliche Schloss glitzerte im Schein der künstlichen Lichter und strahlte einen herrlichen Glanz aus.
Alissa war dem Namen nach mit den Davions verwandt, aber das hieß in ihrem Fall nicht viel. Irgendwann in der Vergangenheit hatte einmal ein Davion, ein Bruder eines Ersten Prinzen, eine Nacht mit einer gemeine Miller verbracht und offenbar aus irgendeinem sentimentalen Beweggrund Alissas Vorfahrin zur Baroness ernannt und sie den Namen ´Davion-Miller´ tragen lassen.
Die Davion-Millers hatten den Vereinigten Sonnen immer gut gedient, zuerst als regionale Herrscher auf uninteressanten zweitklassigen Hinterwäldlerplaneten, hin und wieder dann als MechKrieger, Raumpiloten oder als hohe Offiziere. Seit etwa dreißig Jahren hatte die Familie den Rang des Count erlangt und regierte über den wohl wichtigsten Kontinent des Planeten Layover mit seinen Industrieanlagen...
Alissa hatte die Warterei satt. Sie war jung, hübsch - und gerissen. Die Einladung zu den Bällen und Spielereien hier auf New Avalon bot eine - nicht vorhergesehene - Chance, ihre körperlichen Reize an einem bedeutenden Count, Marquis, Duke oder einem anderen wichtigen Mann hier auf New Avalon auszuspielen, sich von demjenigen ein Kind machen zu lassen und damit ihren Anspruch auf einen höheren Titel und auf die Regentschaft einer wichtigen Welt zu zementieren.
Alissa betrat den Bankettraum, in dem die restlichen Adligen bereits aßen und setzte sich ohne weitere Kommentare an ihren Platz in den Haufen der bereits rege diskutierenden Adligen. Rechts von ihr saß die Marquesa Marie Delfire, deren Mann momentan den Peripherieplaneten Lackland unter seinen Fittichen hatte - und das ziemlich erfolgreich. Es war eine Seltenheit, dass ein Adliger samt seiner Frau aus der Peripherie hier an Hofe Gast war, aber natürlich war es akzeptabel. Der Marquis Delfire war ein hervorragender Organisator und schien darüber hinaus ein wirtschaftliches Genie noch dazu zu sein. Solche Dinge mussten belohnt werden. Zu ihrer Linken saß der Count des new-avalonischen Kontinent Rostock, ein alter, aber geschickter und gefährlicher Mann mit Namen Christoph Lille, der schon etlichen Personen den Kopf von ihren Hälsen gefegt hatte. Lille war den Davions fanatisch ergeben und duldete kaum etwas anderes als widerspruchslosen Gehorsam den Davions gegenüber. Wer das nicht tat... machte sich ihn zum Feind.
Alissa führte ihren Löffel langsam in den Teller vor ihr. Der Inhalt des Tellers sah so aus wie eine der delikaten und absolut exquisiten Eselshautsuppen, die es eigentlich nur hier auf der Zentralwelt gab. Alissa streckte ihren Kopf vor und sah zum Ende des Tisches. Der Erste Prinz war heute, wie allgemein bekannt war, durch Regierungsgeschäfte verhindert und hatte den Vorsitz der Runde dem Duke von Robinson, Aaron Sandoval, übertragen.
"Es war wieder ein herrlicher Tag, nicht?"
Alissa drehte sich zur Seite und sah in das dümmlich-grinsende Gesicht der Marquesa Delfire.
Die junge Countess nickte kurz und antwortete mit einem herrlich frischen Lächeln:
"Ja, ein herrlicher Tag... Allein schon die Hirschjagd... Und dann diese interessanten Felsen, die überall zu sehen waren... Nein, wie exquisit!"
Die Marquesa nickte kurz. Ihr Lächeln erstarb ihr für einen Moment, lächelte aber nach Sekundenbruchteilen wieder und setzte wieder ihre Maske auf. Alissa hatte unlängst erfahren, dass die Marquesa Geologie studiert hatte und über die Gesteinsfolgen auf New Avalon schon einige Arbeiten verfasst hatte. Ihr Studienfach als ´interessante Felsen´ zu bezeichnen und zum Gegenstand eines oberflächlichen adligen Small Talks zu machen, musste ihr wohl einen ziemlichen Stoß versetzen. Aber die Marquesa konterte sofort: "Wie recht Sie haben, Countess... Sagen Sie, ist es wahr, dass Ihr Bruder MechKrieger an der capellanischen Front ist?"
Alissa zuckte zusammen. Ihr Bruder, Count Benjamin Davion-Miller, war zwar jünger als sie, befehligte aber bereits eine Lanze und hatte im vierten Nachfolgekrieg etliche Orden gesammelt. Das Schlimme daran war, dass er diese Orden zurecht erhalten hatte - Ben war ein erstklassiger Offizier und MechKrieger.
"Ja, natürlich ist das wahr, Marquesa."
"Sie müssen unendlich stolz auf ihn sein... Sagen Sie, Countess, verstehen Sie denn etwas vom Kriegshandwerk?"
Delfire grinste wieder dümmlich, aber das machte diesen Angriff nur noch gemeiner... Alissa hatte es volle zwei Mal versucht, zur MechKriegerin ausgebildet zu werden, hatte aber beide Male versagt und war von der betreffenden Akademie geworfen worden.
"Nun, etwas." Zischte Alissa lese.
Die Marquesa sah sie hocherfreut an und klatschte leise in ihre Hände: "Bravo Countess! Sie scheinen omnipotent zu sein... Sagen Sie, ich habe da vor wenigen Tagen von einem wirklich ganz besonderen Manöver eines unserer Überfallkommandos auf Marduk gehört..."
Alissa wurde kurz bleich im Gesicht. Was sollte das??
Und plötzlich klatschte die Marquesa laut in ihre Hände, stand auf, wartete, bis die ganze Runde ihr zusah und zuhörte und begann, mit einem hinterhältigen Blick auf Alissa, laut zu erzählen: "Ich habe vor drei Tagen von einem Überfall eines unserer Spezialkommandos auf Marduk gehört... Die Geschichte hat mich gut amüsiert und ich möchte sie hier zum Besten geben... Mag man sie denn hören?"
Allgemein zustimmendes Brummen und Gelächter...
"Eine Geschichte... Ja... erzählen!... Aber exquisit soll sie sein..."
Die Marquesa sah kurz zu Sandoval und es schien Alissa kurz, als ob der Blick, den die Beiden wechselten, diesen einen kleinen Moment zu lang dauerte... Dann nickte Sandoval:
"Möge die Marquesa Ihre Geschichte erzählen. Wir lauschen Ihr gespannt."
Marie Delfire nickte und begann: "Es ist ja nun eine bekannte Tatsache, dass der Planet Marduk vor wenigen Jahren an das Draconis-Kombinat fiel. Nun scheinen aber vor wenigen Monaten unsere Truppen, bestehend aus einer Lanze BattleMechs und einem Zug speziell ausgebildeter Infanteristen den Planet überfallen zu haben, mit dem Ziel, die dortige BattleMechFabrik, die Steppenwölfe und Greife produziert, auszukundschaften. Es ist dem Oberkommando der AVS nämlich zu Ohren gekommen, dass diese Fabrik seit der Übernahme durch den Drachen besser als vorher arbeitet und man wollte sehen, was dort anders gemacht wird - beziehungsweise wollte, falls denn möglich, die Verbesserungen stehlen, in Form von neuen Bauplänen, et cetera, et cetara... Ein weiterer Grund war der Verlust von Bauteilen für den Valkyre-MechTyp, die auf Marduk produziert werden. Man wollte hier die Baupläne stehlen, um schnell einen Vergleich mit den Bauteilen anderer Produktionsanbieter bekommen zu können. Scheinbar war hier ein einfaches ´Aufschrauben´ der betroffenen Bauteile weder möglich noch sinnvoll... Der Befehl für diesen Überfall stammte vom geschätzten Prinzen höchstpersönlich, folglich muss man hier nicht über den hohen Sinn des Unternehmens diskutieren, das ja von so hohen Stellen angeordnet wurde. Die direkte Leitung der Operation wurde dem Captain Andrew Trishton übergeben, einem jungen Gemeinen, der sich bereits im vierten Nachfolgekrieg bewiesen hatte und trotz seines Alters von 24 Jahren als erfahren gilt..."
Delfire setzte kurz ab, als Alissa aufstand, um den Raum zu verlassen. Es war inzwischen totenstill in dem Saal. Sie sah Alissa gefährlich an und fragte laut: "Was ist, Countess Davion-Miller? Wollt Ihr nicht weiter zuhören? Oder ist Euch bei der Erwähnung Eures Geliebten eine böse Erinnerung gekommen?"
Alissa stand da, zitternd und war kurz davor, loszuweinen... Was war das hier??? Eine Falle! Eine gemeine Falle, um sie zu...
"Ihr solltet bleiben, Countess." Murmelte ihr plötzlich der Count Christoph Lille zu. "Schon alleine um Eurer Gesundheit willen..." Lille lachte sie leise und grausam an. Alissa wurde noch übler. Das, das war alles ein gemeines, perverses Spiel... War sie in Wirklichkeit schon tot? Alissa setzte sich wieder und Delfire redete weiter:
"Wirklich ein interessanter Zufall, nicht wahr?? Captain Trishton ist der Geliebte unserer jungen Countess hier. Und welch Zufall, dass die restliche MechEinheit, die an dem Überfall beteiligt war, die Leibgarde von Alissa Davion-Miller war? Nun ja, das Leben beinhaltet mehr als genug Zufälle, nicht?"
Sie setzte wieder ab und sah die kreidebleiche Alissa an, lächelte brutal und redete dann weiter:
"Das betreffende Sprungschiff, ein Schiff der Scout-Klasse, erreichte das System unentdeckt über einen Piratenpunkt und die Einheit landete unentdeckt zusammen mit ihrem Leopard-Landungsschiff nahe der MechFabrik in einem unwirtlichen Sumpf. Allein das war bereits eine gewaltige Leistung. Der Kommandant des Landungsschiffs, ein alter Haudegen, nutzte einen kurzen Zeitraum in der planetaren Überwachung, um dann im Tiefflug und im Schutz eines gewaltigen Hurrikans näher an die Fabrik heranzufliegen. Jeder von Ihnen, der bereits schon in den Genuss gekommen ist, durch eine einfache Turbulenz geflogen zu sein, mag die Leistung dieser Landungsschiffscrew abschätzen. Unnötig zu erwähnen, dass drei Crewmen dieses Schiffes bereits zu Ritterwürden gekommen sind und Träger des Sonnenbanners sind... Nun, jedenfalls landete das Schiff nicht weit weg von der MechFabrik, wartete dort zwei Tage lang, damit beschäftigt, das Schiff zu tarnen und zu verstecken. Nach diesen zwei Tagen schlich sich das Spezialkommando langsam im Schutz des dichten Dschungelblätterdachs, das auf Marduk an die zwanzig Meter hoch reicht, an die Fabrik heran. Wo der Dschungel zu licht war oder zu niedrig und kein hoher Stockwerkbau erkennbar war, da verschwanden die Mechs im tiefen Sumpf und kämpften sich durch den schlammigen Boden. Wo kein Sumpf da war, da warteten die Mechs bis zur Nacht und marschierten dann weiter. Captain Trishtons Fähigkeiten, seine Truppe ungesehen an den Rand der Fabrikanlagen zu bringen, sind hier hervorzuheben. Der Captain verstand es anscheinend, mit genug Vorsicht und Behutsamkeit an sein Ziel heranzugehen. Zu schade, dass Trishton leider unloyal und korrumpiert war... Aber davon später...
Nun kamen die Mechs ins Spiel... Ach ja, die Lanze bestand übrigens aus einem HermesII, einem Ostscout, einer Valkyre und der Führungsmaschine, einem Feuerfalken. Die Mechs positionierten sich in Scannweite der Fabrik und unternahmen gewisse Untersuchungen mit Sensoren, die speziell hierfür in die Mechs eingerichtet wurden. Spezielle IR-Untersuchungen, soweit ich weiß auch eine Spektralanalyse, die dann im Labor mit einer bereits bestehenden verglichen werden konnte, weiterhin seismische Tests, um die Belastungen des anliegenden Gesteins zu überprüfen, sollte beispielsweise eine weitere Fertigungsanlage innerhalb der Fabrik montiert worden sein... Solche Dinge übernahmen die Mechs. Dann kamen die Infanteristen, die sich über einen Geheimgang in die Fabrik abseilten. Ich möchte mich nicht groß mit den Details herumschlagen, jedenfalls hatte die Truppe Erfolg, sie loggte sich unter Verwendung einiger Hackercodes in das Computersystem des Komplexes und lud sich die betreffenden Daten auf einen tragbaren Computer. Darunter waren nun beispielsweise die Baupläne der fehlenden Bauteile für die Valkyre, Daten über zwei weitere Fertigungsbänder, über die Optimierung der Nachschubwege, sowie über ein neues Computerprogramm für MechFabriken, das den Produktionsvorgang vom Computer aus optimieren sollte und über eine neue sehr leichte Metalllegierung, die anstelle der konventionellen Materialien für die Fertigungsbänder verwendet wurde und die Produktion schneller und einfacher gestaltete... Der Einsatz verlief ohne größere Zwischenfälle. Allein das ist schon eine Erwähnung wert. Aber das Unerhörte kommt erst noch. Die Einheit zog sich nun wieder langsam, ungesehen und erfolgreich zurück. Über zwei volle Tage. Angekommen in dem Landungsschiff, entwickelte sich nun ein Machtkampf zwischen den MechKriegern Trishtons und den Infanteristen, der, myLadys and myLords, darauf gründete, dass Trishton die gesammelten Daten nicht an den Ersten Prinzen weitergeben wollte, sondern an seine direkte Lehnsherrin, eine ihm bekannte Adlige." Delfire hörte kurz zu reden auf.
Der Raum bebte vor empörtem Gemurmel... Delfire richtete sich an Alissa: "Sagen Sie, Countess, wie denken Sie über eine solche Tat?"
Alissa sah schwer atmend zu Boden... Das war das Ende... Alles ein Trick, eine Falle...
"Countess? Nun ich denke, Sie haben doch sicher eine Meinung zu dieser Tat. Immerhin wurde der Prinz verraten... Dazu wurde Captain Tristhon korrumpiert. Ein Mann mit hervorragend militärischen Fähigkeiten, der noch bis vor wenigen Monaten als loyal galt. Einen loyalen Diener der Vereinigten Sonnen so umzupolen bringt doch wohl ein besonders krimineller Geist zustande... Oder ganz besondere körperliche Hingabe... Oder beides..."
Alissas Kloß im Hals war nicht kleiner geworden. Sie schwieg weiter...
Die Marquesa brüllte sie urplötzlich an: "Nehmen Sie Stellung, Countess!!"
Alissa liefen ein, zwei Tränen über ihr Gesicht und sie begann leise zu stammeln: "Ich... ich..."
Delfire lächelte grausam: "Sagen Sie, Countess, wo Sie doch mit dem Captain das Bett teilten... Sie wissen nicht zufällig, wer die betreffende Adlige war? Wer so unglaublich korrumpiert war?"
Alissa schüttelte nach längerem Zögern ihren Kopf.
Und die Marquesa redete weiter: "Das ist schade Countess, wirklich sehr schade... Die Infanteristen unter Leitung des Majors Mike Irpean setzten sich zusammen mit der Crew des Landungsschiffs gegen die vier MechKrieger zur Wehr und töteten sie. Niemand wird jetzt erfahren, wer Trishton in diesen Wahnsinn trieb..."
Alissa blickte mit glasigen Augen hoch: "Andrew... ist... tot?"
"Ja, gewissermaßen schon. Zumindest war er tot, als ich ihn in seinem Sarg habe liegen sehen. Wobei ich allerdings kaum befürchte, dass sich sein Zustand noch verschlechtert."
Lautes Lachen im Saal. Alissa zuckte bei jedem Wort, wie unter Schlägen, zusammen.
"Das Schlimmste daran ist, dass die Daten ebenfalls verloren gingen. Der tragbare Computer wurde während des Kampfes leider beschädigt. Nur noch die Daten aus den Mechs sind nutzbar. Somit war die Mission ein Misserfolg."
Praktisch im selben Moment stand Count Lille neben ihr auf, während sich die Marquesa setzte. Es war totenstill in dem Raum, als Lille seine Frage an Alissa stellte: "Sagen Sie, Countess, angenommen die betreffende Adlige, die Drahtzieherin von diesem verzweifelten Akt der Täuschung, wäre nun bekannt, welche Strafe müsste sie ereilen?"
Alissa sah ihn mit ihren glasigen, verweinten Augen an... Andrew war tot... Alles war egal... Und sie schwieg.
Plötzlich erhob Duke Sandoval seine Stimme: "Countess? Wir möchten Ihre Meinung hören? Wäre nicht der Tod die hierfür bestimmte Bestrafung?"
Sie hob ihr Gesicht... Tod?? Sie? Nein... Sie wollte leben... Und begann zu krächzen: "Das Exil wäre die bessere Methode, Duke Sandoval."
"So? Wieso denken Sie so? Immerhin wurde der Erste Prinz schändlich betrogen..."
"Allerdings ist es möglich, dass dies das erste Vergehen in der Familie der betreffenden Adligen ist."
"Aber womöglich nicht das letzte... Aber Sie haben mich auf einen Gedanken gebracht, Countess. Wäre es nicht sinnvoller, die Verwandten der Täterin, möglicherweise ihren Bruder, vor ihren Augen hinzurichten und sie dann lebenslang einzusperren?"
"Nein!!" schrie Alissa unvermittelt auf.
"Nein? Wieso nicht? Das wäre doch eine hervorragende Möglichkeit, ein Exempel zu statuieren, nicht?"
Alissa schwieg kurz... Zögerte... Dann flüstere sie: "Der Erste Prinz würde solchermaßen Dinge nie zulassen, Duke Sandoval."
Sandoval lachte laut auf: "Nicht? Wieso nicht?"
"Der Este Prinz ist ein großer Herrscher. Er kennt Gnade. Er ist kein Unmensch."
Sandoval blinzelte sie kurz an, dann lachte er leise und amüsiert auf: "Folgen Sie mir, Countess."
Der Duke stand plötzlich auf und verließ das Zimmer in Richtung eines Nebenraums. Alissa stand ebenfalls zitternd mit weichen Knien auf und ging dem Duke nach. Delfire und Lille flankierten und begleiteten sie.
Sie betraten einen kleinen, spartanisch eingerichteten Raum, in dem bisher nur Sandoval stand, ein kleiner Durchgangsraum mit zwei Türen. Lille schloss die Türe, aus der die drei gekommen waren und deutete Alissa an, sich zu setzen.
Sandoval richtete sich an Alissa: "Countess, ich möchte endlich Klartext reden."
Alissa sah ihn nervös an. Sandoval redete weiter: "Der einzige Grund, wieso Sie noch am Leben sind, ist Ihre Familie, die man nicht verstimmen möchte. Außerdem hat Ihr Bruder, der beim Ersten Prinzen durch sein militärisches Können Wohlwollen genießt, um Gnade für Sie gebeten und man möchte weiterhin die guten Beziehungen mit ihm aufrecht erhalten."
Er setzte kurz ab und redete weiter: "Sie werden zur Marquesa ernannt."
Alissa blinzelte Sandoval verwirrt an. Eine Beförderung?
Der Duke fuhr fort: "Sie werden zum Planeten MararnII reisen, in die äußere Mark Crucis und dort den momentan planetaren Herrscher Comte Bryon Jones ablösen. Mararn ist eine heiße Ödwelt an der Grenze unseres Gebiets zur Peripherie. Es gibt dort weder Piraten noch Draconier, nur Armut und Hitze... Ich rate Ihnen, viel Hautcreme mitzunehmen... Sonst dürfte Ihre feine, geschmeidige und junge Haut Schaden nehmen... Ein Landungsschiff steht bereits für Sie bereit. Sie werden augenblicklich abreisen... Ach ja, noch etwas... Der Planet Lackland, der Herrschaftsbereich des Marquis Delfire, befindet sich in direkter Nähe. Marquesa Delfire wird auf unbestimmte Zeit Ihre Handlungen kontrollieren. Sofern Sie den Anweisungen der Marquesa nicht ohne jegliches Zögern Folge leisten oder sofern der Marquesa Delfire auch nur irgendetwas zustößt, werden Sie dafür bluten... Und ich schwöre Ihnen, es gibt tausend Mal schlimmere Dinge als der Tod... Gehen Sie jetzt!
Marquesa Delfire wird Sie auf Ihrer Reise nach Mararn begleiten."
Alissa reagierte kaum. Das... was schlimmer als Dantes Inferno... Delfire riss sie grob hoch und zerrte sie zum Ausgang und ging mit ihr hinaus.
Die Tür schloss sich und Lille grinste Sandoval an: "Der Tod wäre gnädiger geworden."
"Mararn ist der richtige Ort, um über solche Sünden nachdenken zu können. Vielleicht können wir sie noch einmal brauchen. Ihr Plan war gut durchdacht und ziemlich gerissen. Auf Mararn ist sie zwar isoliert, aber sie wird Ihre Fähigkeit zur Gerissenheit nicht verlieren. Es wäre kurzsichtig, sie zu exekutieren, vielleicht wird man sie später noch brauchen. Die Wahl des Fuchses war wieder einmal ganz exquisit."
Plötzlich klopfte es an der zweiten Tür.
"Ja?" rief Sandoval.
Die Tür öffnete sich und ein Page erschien.
"Ja?"
"Hochwohlgeboren, Major Irpean ist hier."
"Führen Sie ihn herein."
Es dauerte keine zehn Sekunden und Major Irpean, ein hochgewachsener, ernster Mann Mitte Vierzig, stand im Raum vor den beiden Adligen.
"Major..." begann Sandoval, "Wir wollten Ihnen für Ihre erstklassige Leistung während der Operation auf Marduk danken. Sie haben den Vereinigten Sonnen einen großen Dienst erwiesen."
"Nichts zu danken, Duke. Ich habe nur meine Arbeit gemacht."
Lille wandte sich an den Major: "Allerdings eine wirklich hervorragende Arbeit, Major. Es ist wirklich eine Schande, dass Sie die AVS verlassen..."
Ein Lächeln umspielte Irpeans Gesichtzüge: "Man entwickelt sich weiter, Hochwohlgeboren... Ich sehe kein großes Entwicklungspotential darin, mich weiter der Gefahr von verirrten draconischen Projektilen auszusetzen."
"Nun, Sie hätten sich versetzen lassen können... In den Stab. Nicht?"
"Die Privatwirtschaft bietet bessere Stellen, oder?"
"Womit Sie allerdings recht haben. Sagen Sie, womit handelt Ihre neugegründete Firma noch mal? Metalllegierungen?"
Der Major lachte leise: "Ja. Zumindest vorerst nur mit Metalllegierungen und Softwareprogrammen. Aber ich denke, dass ich durch die gemachten Investitionen und das dadurch gewonnene Kapital dem Markt bald neue Technologien und Produkte anbieten kann."
"Aha." Lille sah ihn mit interessierten Gesichtszügen an: "Und dieser Markt... Ich nehme an, das wird die ganze Innere Sphäre sein?"
Sandoval lachte amüsiert auf... "Count, lassen Sie das!"
Lille sah Sandoval irritiert an: "Duke?"
Irpean schaltete sich jetzt ein: "Count, Trishton hat nur einen Fehler gemacht: Er wollte nicht teilen... Es gibt zwei Eigentümer meiner neugegründeten Firma. Der eine bin ich mit 49 Prozent. Der andere ist meine Schwägerin, die Duchess Wilzon, die Herrscherin des Planeten Zolfo. Der Großteil des von unserer Firma erwirtschafteten Kapitals geht an Wilzon, die das Geld offiziell als Zahlung der Bodennutzungssteuer der Firmenanlagen nach Anjin Muerto schickt, von wo aus es dazu verwendet wird, das nötige Kleingeld für die Herstellung von Sprungschiffen zur Verfügung zu stellen, die offiziell dem Herrscher von Anjin Muerto zur Verfügung stehen, de facto allerdings dem Ersten Prinzen, der ja über Anjin Muerto verfügen kann. Das Geld für den Bau der Sprungschiffe stammt aus dem Verkauf der Metalllegierung und des Softwareprogramms, das wir auf Marduk gestohlen haben, wobei wir beide etwas verschlechtert haben, also nicht das perfekte Endprodukt an unsere Kunden, Firmen und Regierung von überall aus der Inneren Sphäre, verkaufen. Mit Ausnahme der Regierung der Vereinigten Sonnen, die die Baupläne beider Endprodukte umsonst bekommen haben, als Ausgleich dafür, dass wir keine Bodenutzungssteuer zahlen müssen."
Lille sah Ishprean skeptisch an: "Was ist mit den Geldern, die nicht in den Bau der Sprungschiffe eingehen?"
"Die werden unter den Mitarbeitern der Operation als Gewinn ausgezahlt... Count, es ist alles durchdacht. Sowohl wir als auch der Erste Prinz gewinnen. Und dem Reich wurde durch mehr Sprungschiffe ebenfalls Genüge getan... Diese Daten wären sowieso früher oder später an die Öffentlichkeit gelangt. Auf diese Weise entziehen wir unseren Gegner Geld, durch die wir Schiffe bauen, mit denen wir sie in einigen Jahren angreifen können. Der Fuchs selbst stufte diesen Plan als sinnvoller ein als die gewonnenen Daten nur für die Vereinigten Sonnen zu nutzen."
Lille sah ihn kurz irritiert an, dann fing er zu lachen an...



July hatte bis zwei Uhr nachmittags noch Kurse, dann verschwand sie zusammen mit Nihongi, der per
Schwebebahn zu sich heim fuhr, in eine kalte, nördlich gelegene Kleinstadt, die davon lebte, dass man vor vielen Jahren ein unglaubliches Ölvorkommen unter ihr gefunden hatte. Die Bahn musste alle drei Wochen genauestens überprüft und gegebenenfalls repariert werden, eine Maßnahme, die der Permafrost von den Reparaturteams abverlangte. Aber das war OK so, ohne die Bahn wäre diese Region nur über Flugzeuge erreichbar. Oder wie Nihongi mit einem Achselzucken kurz gemeint hatte: "Shigata ga nai - Nicht zu ändern..."
Sie waren nach einigen Stunden angekommen, gerade bei Einbruch der Dunkelheit und Ni hatte sich auch weiterhin als wahrer Gentleman herausgestellt und nebst seinen zwei Taschen auch noch Julys Rucksack gepackt und für sie getragen. Dass er nicht auch noch gleich July auf seine Arme genommen hatte und über den leicht schlammigen Boden getragen hatte, wunderte sie ehrlich gesagt etwas. Allerdings hätte er sich das auch nur einmal getraut... Alle Höflichkeit hatte Grenzen und July hatte natürlich ein durchwegs gesundes Selbstbewusstsein. Jedenfalls wäre der gute Nihongi bei einer solchen Aktion selbst im Schlamm gelandet.
Nihongis Elternhaus, das etwa eine halbe Stunde Fußmarsch vom Bahnhof entfernt war, lag absolut außerhalb, praktisch am Rand der Stadt. Ni hatte erklärt, dass er ganz gerne zu Fuß ging, vor allem, wenn der Öffentliche Nahverkehr durchwegs unpünktlich kam und die Preise für die Schwebetaxis ziemlich horrend waren. Das Haus war ziemlich groß mit einem netten Garten, der gleich in die Wildnis überging. Ni hatte erzählt, dass es schon mal hin und wieder passierte, dass sich ein Karibu hierher verirrte. Oder ein Wolfsrudel. Je nachdem. Ni schien das zu lieben... Wobei July die Faszination für ein Rudel hungriger Wölfe, das jeden Moment vor ihr auftauchte, kaum teilen konnte.
Ni hatte nur kurz gelacht, als sie die diesen Einwand gebracht hatte und erklärt, dass Wölfe sowieso meistens ziemliche Angsthasen waren.
Nihongis Eltern begrüßten die beiden ziemlich freundlich... Was July überraschte, schließlich war sie hier die Neue und Unbekannte.
Seine Mutter, Annika, war wohl die typische Bewohnerin des Planeten: Ruhig, freundlich, trotzdem etwas unterkühlt, groß, blond... Eigentlich das Abbild von Katherine Steiner, der Gründerin der Steiner-Dynastie. Sein Vater war der typische Draconier, wie July ihn sich immer vorgestellt hatte:
Klein, schwarzhaarig, hager, ernster Blick, Name: Urizen... Ja... Da standen zwei Klischees, zwei Stereotypen vor ihr, die eigentlich auch aus einer schlechten drittklassigen Seifenoper stammen konnten. Was nicht ins Bild passte, war Urizens freundliches Lächeln, das einen fast schon schizophrenen Kontrast zu seinem eigentlich sehr ernsten Gesicht zeichnete. Und natürlich Annikas
Geschäftigkeit, die beim Erledigen ihrer häuslichen Arbeiten ihre durchwegs unterkühlte Mentalität zur Seite schob und zu einer hektischen, emotionalen Hausfrau wurde...
July bekam das Gästezimmer. Scheinbar eine Entscheidung von Nihongis Mutter, die wohl gar nicht auf den Gedanken gekommen war, dass Ni das anscheinend anders wollte. Aber nun gut... Nächtliche Wanderbewegungen konnten ja immer noch stattfinden und gaben dem Ganzen sogar noch einen interessanten Reiz. Nihongi, der keinen Ton gegen die Entscheidung seiner Mutter sagte, sah das offenbar genauso...
Aber noch war es ja noch nicht soweit. Zuerst Abendessen, Karibubraten - selbst geschossen - mit typischen Beilagen und - Sake. Die Kombination war durchwegs gewagt und untypisch, aber es hatte einen interessanten, exotischen Reiz, den July nach dem zweiten Schluck Sake zu schätzen lernte.
Der Abend verlief anders als erwartet.
Nihongi und July blieben bis tief nachts mit seinen Eltern sitzen und redeten, lachten, small talkten... Und irgendwann verlor July ihre Skepsis vor Urizen, der ihr gegenüber ganz offen zugegeben hatte, bei einem Angriff auf ihren Heimatplaneten, Bountiful Harvest, teilgenommen zu haben. Das war noch zu jenen Tagen geschehen, als das LC und das Kombinat direkte Nachbarn waren und die Republik Rasalhaag noch nicht gegründet war... July selbst hatte drei Angriffe miterlebt, die die Draconier teilweise durch den rasalhaager Raum unternommen hatten, um die Bewohner des Planeten daran zu erinnern, dass die VSDK immer noch da waren... Bevor dann die Jadefalken gekommen waren und Massen an Flüchtlingen nach Harvest hatten strömen lassen... Sie hätte angenommen, dass sie den Draconier dafür hassen würde, dass sie ihn zumindest dafür ´Drac´ oder ´Schlange´ nennen würde, aber nichts dergleichen geschah. Vielleicht war es das charismatische Lächeln des Mannes, vielleicht aber auch seine Geschichten, die er erzählt hatte und ihn von einem unnahbaren VSDK zu einem ihr bekannten Menschen machten. Und als Annika dann auch noch erzählte, wie sie und Urizen ein Paar geworden waren, dann verflog der Argwohn erst recht... Vielleicht war es aber auch Nihongis angespanntes Gesicht, dem sie anmerkte, dass Urizens Sohn förmlich um Harmonie betete. Vielleicht blieb July auch deshalb so ruhig... Jedenfalls verschwand die 19-Jährige irgendwann tief nachts in dem Gästezimmer. Sie glaubte allmählich nicht mehr daran, dass Ni heute Nacht erscheinen würde, dazu war er viel zu höflich und wohl erzogen... Ein etwas übertriebenes Gehabe, das July ihm sicher bald abgewöhnt hatte...
Und als sie zu guter Letzt in ihrem Zimmer verschwand, hörte sie nach einiger Zeit leise Stimmen... Nun gut, sie würde es niemals zugeben, aber sie war furchtbar neugierig... Öffnete lautlos ihre Zimmertür und hörte Nihongi und seinen Vater leise miteinander reden...
"Wieso sollte ich??"
"Ich sage nur dass du aufpassen solltest..."
"Wir leben nicht mehr im direkten Kriegszustand..."
"Möglich. Sie ist trotzdem Lyranerin..."
"Die Claninvasion..."
"Nihongi! Sie stammt von Harvest! Das einzige, das sie von den Draconiern kennt, sind die VSDK..."
"Harvest liegt in direkter Nachbarschaft zur Clanbesatzungszone. Ihr Feindbild Nummer Eins dürften momentan wohl die Jadefalken sein - und nicht der Drache. Oder?"
"Ja... sicher... Aber der Hass zwischen unseren beiden Völkern ist zu tief greifend... Was denkst du, wie wird sie ihren Eltern erklären können, dass ihr Freund Draconier ist?? Vielleicht starben Angehörige ihrer Familie..."
"Sie lebt ihr Leben, Vater. Nicht dass ihrer Eltern..."
"Hm... Ja... Trotzdem musste du aufpassen. Als Draconier auf Tharkad zu leben ist alles andere als einfach... Ein falscher Schritt und die Offiziellen rösten uns..."
"Wenn du so denkst, hättest du mich wohl nicht zur Welt bringen dürfen..."
Stille.
"Sag doch solche Dinge nicht, Nihongi."
"Wo ist dein Problem?? Du warst doch sonst nie so."
"Dieses Mal ist da aber jemand, der von einem Planet an der alten Grenze stammt. Der einen VSDK-Überfall möglicherweise selbst miterlebt hat..."
July starrte auf die Tür vor ihr... Und schloss sie so leise wie sie sie geöffnet hatte.


Älterer Artikel von mechforce.de. Nicht mehr online.




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Erstversion vom 05.04.2023. Letzte Aktualisierung am 05.04.2023.


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