Sitzung Sechs:
Maskerade
Tharkad City, Tharkad
Mark Donegal, Vereinigtes Commonwealth
26.6.3054
Abend.
July stand auf dem Dach ihres Wohnheims und sah sich den Sonnenuntergang
an. Wie sie hinter den Bergen verschwand. July stand gerne hier oben,
auf dem Dach, das zum höchsten Stockwerk umfunktioniert worden war.
Sie war alleine, genoss die Stille. Inzwischen war es wärmer geworden,
der Sommer hier kam relativ schnell. Zusammen mit dem für diese Jahreszeit
untypischen Hochdruckgebiet über der Stadt erreichte er Temperaturen
von etwas über zwanzig Grad.
Die Tür hinter ihr öffnete sich und Pedro betrat das Dach. Sah
July fragend an: "Stör ich gerade?"
Sie schüttelte ihren Kopf: "Nein, wieso?"
"Hm, nur so..."
July lächelte... Wandte sich von Pedro wieder ab und betrachtete
wieder den Sonnenuntergang. Pedro stellte sich daneben: "Das ist
ja echt schön hier."
"Jepp."
"Und angenehm warm. Hätte ich gar nicht gedacht."
"Na ja, muss hier ja auch mal warm werden..."
Sie sah kurz zur Seite... Dort stand schon der erste Stern am Himmel.
Vermutlich würde es wieder einmal eine sternenklare - und damit kalte
- Nacht werden. July könnte ein Gespräch antreiben, könnte
Pedro fragen, wie es Sam ging, wie es zwischen den beiden bisher denn
lief. Sie musste innerlich lächeln... Hätte sie sicher tun können,
wusste sie aber schon. Aus Samanthas Mund. Dann sah sie nach Norden, direkt
nach vorne. Sie konnte die südlichen Grenzen der Gletscher entdecken,
das weite und unwirtliche Hügelland mit seinen borealen Nadelwäldern,
dann der Übergang und das relative Tiefland hier, in dem auch Tharkad
City lag, das seinen Anfang in den gewaltigen Tälern nahm, welche
die Gletscher in den Zeiten gerissen hatten, als sie sogar hier unten
im Süden geherrscht hatten. Bei etwas mehr Helligkeit hätte
sie vielleicht auch die zahlreichen Flüsse sehen können, die
sich in einem riesigen Strom, dem einzigen Fluss hier im Norden, dem ´Onyx´
sammelten und so ihren Weg in den Ozean fanden. Dann waren da natürlich
noch die kleinen und größeren Hügel, die runden und langgestreckten
Seen und all die anderen Formen, die das ´ewige Eis´ zurückgelassen
hatte. Weiter im Norden, etwas südlich der Region, bei der die Gletscher
stoppten, war das wohl bedeutendste Charakteristika dieser Gegend: Permafrostboden.
Der jetzt in seiner Oberschicht aufgeweicht und absolut unbegehbar war...
In ihren Augenwinkeln sah sie, wie Pedro sich kurz vor ans Geländer
lehnte, um so einen besseren Einblick auf die Landschaft zu bekommen...
Er und Sam schienen sich gefunden zu haben. Sam hatte letztens in höchsten
Tönen von ´ihrem´ Pedro geschwärmt und von Nihongi wusste
July, dass Pedro ebenfalls nur das Beste von ´seiner´ Sam berichtet
hatte. Aber natürlich war das immer so eine Sache mit Informationen
aus zweiter Hand. Da konnte man nie so genau sagen, ob das alles der Wahrheit
entsprach... July freute sich natürlich für Samantha. Ihre eigenen
Annäherungsversuche bei Nihongi stießen allmählich auch
auf Gegenreaktionen. Ni war einer von der zurückhaltenden Sorte,
stets auf Distanz bedacht, aber July war momentan im Begriff, diese harte
Nuss zu knacken. Mit etwas Geduld und Feingefühl ging eben doch alles...
Die Tür öffnete sich nochmals und Sam betrat das Dach. July
lächelte kurz, verabschiedete sich mit der Notlüge, noch lernen
zu müssen und ließ die beiden alleine...
Nihongi begrüßte
sie mit einem höflichen Lächeln: "Na? Ist der Platz noch
frei?"
July lächelte zurück: "Klar doch... So wie jede Woche."
Nihongi lächelte. Dann fragte er: "Und was ist das heutige Thema?"
"Einzelaktionen, soweit ich weiß..."
"Hm, hoffentlich wird´s diesmal etwas lustiger als letztes Mal."
"Ja..."
"Sag mal July, hättest du Lust, heute nach der Uni mit mir mitzukommen?"
"Mitkommen?" July blinzelte ihn irritiert an.
"Eh... Zu mir heim... Übers Wochenende. Is zwar total kalt da
oben und eigentlich viel zu kurzfristig..."
July sah ihn freudestrahlend an: "Total gerne..."
Sie wurde von der zufallenden Tür unterbrochen, als Wellerbein eintrat
und eben diese Flügeltür etwas lauter und unsanfter als gewohnt
zufallen ließ.
Sie konnte gerade noch hören, wie der Dozent leise ein "Ups"
flüsterte, dann ging er an sein Podest, holte seine Utensilien heraus,
wartete brav, bis Ruhe eingekehrt war und erklärte dann:
"Meine Damen und Herren... Ich möchte heute mit einem Punkt
fortfahren, der kaum Beachtung in der Militärtheorie findet: Einzelaktionen.
Sicherlich ist es korrekt, dass solche Operationen meist unwichtiges Beiwerk
sind, aber es geht auch anders. Gutdurchdachte Einzelaktionen können
der Schlüssel zum Erfolg sein. So wie in der nun folgenden Geschichte
aus dem Jahr 3032... Und nebenbei sehen Sie hier, was geschehen kann,
wenn Soldaten mit einer Restspur Hirnmasse und Individualismus ohne Aufsicht
sind..." Wellerbein zwinkerte ihnen kurz zu. "Aber zuvor habe
ich noch zwei Ankündigungen zu machen... Erstens wird diese Vorlesung
nächste Woche wegen einer wichtigen Sitzung meinerseits ausfallen
- Sie können also am nächsten Mittwoch beruhigt auf wilde Partys
gehen und dann bis in den späten Nachmittag am Donnerstag ausschlafen..."
Kurzes leises Gelächter in den Reihen...
"Und zweitens werde ich am Samstag vor der letzten Verlesungssitzung
eine Exkursion in den Nagelring machen... Ich mache das jedes Semester,
mit anderem Vorzeichen. Eine alte Waffenschwester, mit der ich früher
öfters an der Front zusammengearbeitet habe, lehrt heute dort und
wird uns einen kleinen Vortrag - wohl über maximale Waffenreichweiten
- halten. Ich lasse dazu heute Listen herumgehen. Wer Lust hat, den Vortrag
zu hören, sich den Nagelring zeigen zu lassen und vielleicht mal
selbst im Cockpit eines Mechs zu sitzen, der soll sich da eintragen...
Das Ganze kostet auch nicht besonders viel, 10 C-Noten für den vollen
Tag. Aber bitte kommen Sie dann auch, wenn Sie sich in der Liste eintragen.
Es wäre mir unendlich peinlich, wenn sich fünfhundert eintragen
und dann nur fünfzig erscheinen... Aber nun genug davon, die genauen
Daten hängen dann so zwei Wochen vor der Exkursion am schwarzen Brett
aus... Aber steigen wir nun in der heutigen Geschichte ein...
Es war Nacht. Die Scheinwerfer strahlten noch immer sanft in den dunklen,
sternenverhangenen Himmel. Alissa sah dort hinauf und konnte einige Wolken
sehen, die dort vorbeizogen. Dann drehte sie sich um und blickte auf den
Prinzenpalais. Die Countess fand die Darbietungen hier am Königlichen
Hof von New Avalon unglaublich öde. Mit der Zeit verloren die Aktionen,
die Jagden, die Gauklerveranstaltungen, die Ritterkämpfe und all
das restliche historische Zeug, dem sich Haus Davion in seiner ritterlich-mittelalterlichen
Tradition hingab, jeglichen Reiz. Sie war jetzt schon einige Wochen hier
und jeden Tag das Gleiche zu tun, widerte sie allmählich einfach
nur an... Jemand trat plötzlich an sie heran. Sie drehte sich um
und sah einen der königlichen Pagen.
"Countess Alissa Davion-Miller?"
"Ja?"
"Das abendliche Bankett wartet auf Sie, Hochwohlgeborene."
Alissa nickte gelangweilt und folgte dem Diener, der sie in den Bankettraum
des Palais führte. Das mittelalterliche Schloss glitzerte im Schein
der künstlichen Lichter und strahlte einen herrlichen Glanz aus.
Alissa war dem Namen nach mit den Davions verwandt, aber das hieß
in ihrem Fall nicht viel. Irgendwann in der Vergangenheit hatte einmal
ein Davion, ein Bruder eines Ersten Prinzen, eine Nacht mit einer gemeine
Miller verbracht und offenbar aus irgendeinem sentimentalen Beweggrund
Alissas Vorfahrin zur Baroness ernannt und sie den Namen ´Davion-Miller´
tragen lassen.
Die Davion-Millers hatten den Vereinigten Sonnen immer gut gedient, zuerst
als regionale Herrscher auf uninteressanten zweitklassigen Hinterwäldlerplaneten,
hin und wieder dann als MechKrieger, Raumpiloten oder als hohe Offiziere.
Seit etwa dreißig Jahren hatte die Familie den Rang des Count erlangt
und regierte über den wohl wichtigsten Kontinent des Planeten Layover
mit seinen Industrieanlagen...
Alissa hatte die Warterei satt. Sie war jung, hübsch - und gerissen.
Die Einladung zu den Bällen und Spielereien hier auf New Avalon bot
eine - nicht vorhergesehene - Chance, ihre körperlichen Reize an
einem bedeutenden Count, Marquis, Duke oder einem anderen wichtigen Mann
hier auf New Avalon auszuspielen, sich von demjenigen ein Kind machen
zu lassen und damit ihren Anspruch auf einen höheren Titel und auf
die Regentschaft einer wichtigen Welt zu zementieren.
Alissa betrat den Bankettraum, in dem die restlichen Adligen bereits aßen
und setzte sich ohne weitere Kommentare an ihren Platz in den Haufen der
bereits rege diskutierenden Adligen. Rechts von ihr saß die Marquesa
Marie Delfire, deren Mann momentan den Peripherieplaneten Lackland unter
seinen Fittichen hatte - und das ziemlich erfolgreich. Es war eine Seltenheit,
dass ein Adliger samt seiner Frau aus der Peripherie hier an Hofe Gast
war, aber natürlich war es akzeptabel. Der Marquis Delfire war ein
hervorragender Organisator und schien darüber hinaus ein wirtschaftliches
Genie noch dazu zu sein. Solche Dinge mussten belohnt werden. Zu ihrer
Linken saß der Count des new-avalonischen Kontinent Rostock, ein
alter, aber geschickter und gefährlicher Mann mit Namen Christoph
Lille, der schon etlichen Personen den Kopf von ihren Hälsen gefegt
hatte. Lille war den Davions fanatisch ergeben und duldete kaum etwas
anderes als widerspruchslosen Gehorsam den Davions gegenüber. Wer
das nicht tat... machte sich ihn zum Feind.
Alissa führte ihren Löffel langsam in den Teller vor ihr. Der
Inhalt des Tellers sah so aus wie eine der delikaten und absolut exquisiten
Eselshautsuppen, die es eigentlich nur hier auf der Zentralwelt gab. Alissa
streckte ihren Kopf vor und sah zum Ende des Tisches. Der Erste Prinz
war heute, wie allgemein bekannt war, durch Regierungsgeschäfte verhindert
und hatte den Vorsitz der Runde dem Duke von Robinson, Aaron Sandoval,
übertragen.
"Es war wieder ein herrlicher Tag, nicht?"
Alissa drehte sich zur Seite und sah in das dümmlich-grinsende Gesicht
der Marquesa Delfire.
Die junge Countess nickte kurz und antwortete mit einem herrlich frischen
Lächeln:
"Ja, ein herrlicher Tag... Allein schon die Hirschjagd... Und dann
diese interessanten Felsen, die überall zu sehen waren... Nein, wie
exquisit!"
Die Marquesa nickte kurz. Ihr Lächeln erstarb ihr für einen
Moment, lächelte aber nach Sekundenbruchteilen wieder und setzte
wieder ihre Maske auf. Alissa hatte unlängst erfahren, dass die Marquesa
Geologie studiert hatte und über die Gesteinsfolgen auf New Avalon
schon einige Arbeiten verfasst hatte. Ihr Studienfach als ´interessante
Felsen´ zu bezeichnen und zum Gegenstand eines oberflächlichen adligen
Small Talks zu machen, musste ihr wohl einen ziemlichen Stoß versetzen.
Aber die Marquesa konterte sofort: "Wie recht Sie haben, Countess...
Sagen Sie, ist es wahr, dass Ihr Bruder MechKrieger an der capellanischen
Front ist?"
Alissa zuckte zusammen. Ihr Bruder, Count Benjamin Davion-Miller, war
zwar jünger als sie, befehligte aber bereits eine Lanze und hatte
im vierten Nachfolgekrieg etliche Orden gesammelt. Das Schlimme daran
war, dass er diese Orden zurecht erhalten hatte - Ben war ein erstklassiger
Offizier und MechKrieger.
"Ja, natürlich ist das wahr, Marquesa."
"Sie müssen unendlich stolz auf ihn sein... Sagen Sie, Countess,
verstehen Sie denn etwas vom Kriegshandwerk?"
Delfire grinste wieder dümmlich, aber das machte diesen Angriff nur
noch gemeiner... Alissa hatte es volle zwei Mal versucht, zur MechKriegerin
ausgebildet zu werden, hatte aber beide Male versagt und war von der betreffenden
Akademie geworfen worden.
"Nun, etwas." Zischte Alissa lese.
Die Marquesa sah sie hocherfreut an und klatschte leise in ihre Hände:
"Bravo Countess! Sie scheinen omnipotent zu sein... Sagen Sie, ich
habe da vor wenigen Tagen von einem wirklich ganz besonderen Manöver
eines unserer Überfallkommandos auf Marduk gehört..."
Alissa wurde kurz bleich im Gesicht. Was sollte das??
Und plötzlich klatschte die Marquesa laut in ihre Hände, stand
auf, wartete, bis die ganze Runde ihr zusah und zuhörte und begann,
mit einem hinterhältigen Blick auf Alissa, laut zu erzählen:
"Ich habe vor drei Tagen von einem Überfall eines unserer Spezialkommandos
auf Marduk gehört... Die Geschichte hat mich gut amüsiert und
ich möchte sie hier zum Besten geben... Mag man sie denn hören?"
Allgemein zustimmendes Brummen und Gelächter...
"Eine Geschichte... Ja... erzählen!... Aber exquisit soll sie
sein..."
Die Marquesa sah kurz zu Sandoval und es schien Alissa kurz, als ob der
Blick, den die Beiden wechselten, diesen einen kleinen Moment zu lang
dauerte... Dann nickte Sandoval:
"Möge die Marquesa Ihre Geschichte erzählen. Wir lauschen
Ihr gespannt."
Marie Delfire nickte und begann: "Es ist ja nun eine bekannte Tatsache,
dass der Planet Marduk vor wenigen Jahren an das Draconis-Kombinat fiel.
Nun scheinen aber vor wenigen Monaten unsere Truppen, bestehend aus einer
Lanze BattleMechs und einem Zug speziell ausgebildeter Infanteristen den
Planet überfallen zu haben, mit dem Ziel, die dortige BattleMechFabrik,
die Steppenwölfe und Greife produziert, auszukundschaften. Es ist
dem Oberkommando der AVS nämlich zu Ohren gekommen, dass diese Fabrik
seit der Übernahme durch den Drachen besser als vorher arbeitet und
man wollte sehen, was dort anders gemacht wird - beziehungsweise wollte,
falls denn möglich, die Verbesserungen stehlen, in Form von neuen
Bauplänen, et cetera, et cetara... Ein weiterer Grund war der Verlust
von Bauteilen für den Valkyre-MechTyp, die auf Marduk produziert
werden. Man wollte hier die Baupläne stehlen, um schnell einen Vergleich
mit den Bauteilen anderer Produktionsanbieter bekommen zu können.
Scheinbar war hier ein einfaches ´Aufschrauben´ der betroffenen Bauteile
weder möglich noch sinnvoll... Der Befehl für diesen Überfall
stammte vom geschätzten Prinzen höchstpersönlich, folglich
muss man hier nicht über den hohen Sinn des Unternehmens diskutieren,
das ja von so hohen Stellen angeordnet wurde. Die direkte Leitung der
Operation wurde dem Captain Andrew Trishton übergeben, einem jungen
Gemeinen, der sich bereits im vierten Nachfolgekrieg bewiesen hatte und
trotz seines Alters von 24 Jahren als erfahren gilt..."
Delfire setzte kurz ab, als Alissa aufstand, um den Raum zu verlassen.
Es war inzwischen totenstill in dem Saal. Sie sah Alissa gefährlich
an und fragte laut: "Was ist, Countess Davion-Miller? Wollt Ihr nicht
weiter zuhören? Oder ist Euch bei der Erwähnung Eures Geliebten
eine böse Erinnerung gekommen?"
Alissa stand da, zitternd und war kurz davor, loszuweinen... Was war das
hier??? Eine Falle! Eine gemeine Falle, um sie zu...
"Ihr solltet bleiben, Countess." Murmelte ihr plötzlich
der Count Christoph Lille zu. "Schon alleine um Eurer Gesundheit
willen..." Lille lachte sie leise und grausam an. Alissa wurde noch
übler. Das, das war alles ein gemeines, perverses Spiel... War sie
in Wirklichkeit schon tot? Alissa setzte sich wieder und Delfire redete
weiter:
"Wirklich ein interessanter Zufall, nicht wahr?? Captain Trishton
ist der Geliebte unserer jungen Countess hier. Und welch Zufall, dass
die restliche MechEinheit, die an dem Überfall beteiligt war, die
Leibgarde von Alissa Davion-Miller war? Nun ja, das Leben beinhaltet mehr
als genug Zufälle, nicht?"
Sie setzte wieder ab und sah die kreidebleiche Alissa an, lächelte
brutal und redete dann weiter:
"Das betreffende Sprungschiff, ein Schiff der Scout-Klasse, erreichte
das System unentdeckt über einen Piratenpunkt und die Einheit landete
unentdeckt zusammen mit ihrem Leopard-Landungsschiff nahe der MechFabrik
in einem unwirtlichen Sumpf. Allein das war bereits eine gewaltige Leistung.
Der Kommandant des Landungsschiffs, ein alter Haudegen, nutzte einen kurzen
Zeitraum in der planetaren Überwachung, um dann im Tiefflug und im
Schutz eines gewaltigen Hurrikans näher an die Fabrik heranzufliegen.
Jeder von Ihnen, der bereits schon in den Genuss gekommen ist, durch eine
einfache Turbulenz geflogen zu sein, mag die Leistung dieser Landungsschiffscrew
abschätzen. Unnötig zu erwähnen, dass drei Crewmen dieses
Schiffes bereits zu Ritterwürden gekommen sind und Träger des
Sonnenbanners sind... Nun, jedenfalls landete das Schiff nicht weit weg
von der MechFabrik, wartete dort zwei Tage lang, damit beschäftigt,
das Schiff zu tarnen und zu verstecken. Nach diesen zwei Tagen schlich
sich das Spezialkommando langsam im Schutz des dichten Dschungelblätterdachs,
das auf Marduk an die zwanzig Meter hoch reicht, an die Fabrik heran.
Wo der Dschungel zu licht war oder zu niedrig und kein hoher Stockwerkbau
erkennbar war, da verschwanden die Mechs im tiefen Sumpf und kämpften
sich durch den schlammigen Boden. Wo kein Sumpf da war, da warteten die
Mechs bis zur Nacht und marschierten dann weiter. Captain Trishtons Fähigkeiten,
seine Truppe ungesehen an den Rand der Fabrikanlagen zu bringen, sind
hier hervorzuheben. Der Captain verstand es anscheinend, mit genug Vorsicht
und Behutsamkeit an sein Ziel heranzugehen. Zu schade, dass Trishton leider
unloyal und korrumpiert war... Aber davon später...
Nun kamen die Mechs ins Spiel... Ach ja, die Lanze bestand übrigens
aus einem HermesII, einem Ostscout, einer Valkyre und der Führungsmaschine,
einem Feuerfalken. Die Mechs positionierten sich in Scannweite der Fabrik
und unternahmen gewisse Untersuchungen mit Sensoren, die speziell hierfür
in die Mechs eingerichtet wurden. Spezielle IR-Untersuchungen, soweit
ich weiß auch eine Spektralanalyse, die dann im Labor mit einer
bereits bestehenden verglichen werden konnte, weiterhin seismische Tests,
um die Belastungen des anliegenden Gesteins zu überprüfen, sollte
beispielsweise eine weitere Fertigungsanlage innerhalb der Fabrik montiert
worden sein... Solche Dinge übernahmen die Mechs. Dann kamen die
Infanteristen, die sich über einen Geheimgang in die Fabrik abseilten.
Ich möchte mich nicht groß mit den Details herumschlagen, jedenfalls
hatte die Truppe Erfolg, sie loggte sich unter Verwendung einiger Hackercodes
in das Computersystem des Komplexes und lud sich die betreffenden Daten
auf einen tragbaren Computer. Darunter waren nun beispielsweise die Baupläne
der fehlenden Bauteile für die Valkyre, Daten über zwei weitere
Fertigungsbänder, über die Optimierung der Nachschubwege, sowie
über ein neues Computerprogramm für MechFabriken, das den Produktionsvorgang
vom Computer aus optimieren sollte und über eine neue sehr leichte
Metalllegierung, die anstelle der konventionellen Materialien für
die Fertigungsbänder verwendet wurde und die Produktion schneller
und einfacher gestaltete... Der Einsatz verlief ohne größere
Zwischenfälle. Allein das ist schon eine Erwähnung wert. Aber
das Unerhörte kommt erst noch. Die Einheit zog sich nun wieder langsam,
ungesehen und erfolgreich zurück. Über zwei volle Tage. Angekommen
in dem Landungsschiff, entwickelte sich nun ein Machtkampf zwischen den
MechKriegern Trishtons und den Infanteristen, der, myLadys and myLords,
darauf gründete, dass Trishton die gesammelten Daten nicht an den
Ersten Prinzen weitergeben wollte, sondern an seine direkte Lehnsherrin,
eine ihm bekannte Adlige." Delfire hörte kurz zu reden auf.
Der Raum bebte vor empörtem Gemurmel... Delfire richtete sich an
Alissa: "Sagen Sie, Countess, wie denken Sie über eine solche
Tat?"
Alissa sah schwer atmend zu Boden... Das war das Ende... Alles ein Trick,
eine Falle...
"Countess? Nun ich denke, Sie haben doch sicher eine Meinung zu dieser
Tat. Immerhin wurde der Prinz verraten... Dazu wurde Captain Tristhon
korrumpiert. Ein Mann mit hervorragend militärischen Fähigkeiten,
der noch bis vor wenigen Monaten als loyal galt. Einen loyalen Diener
der Vereinigten Sonnen so umzupolen bringt doch wohl ein besonders krimineller
Geist zustande... Oder ganz besondere körperliche Hingabe... Oder
beides..."
Alissas Kloß im Hals war nicht kleiner geworden. Sie schwieg weiter...
Die Marquesa brüllte sie urplötzlich an: "Nehmen Sie Stellung,
Countess!!"
Alissa liefen ein, zwei Tränen über ihr Gesicht und sie begann
leise zu stammeln: "Ich... ich..."
Delfire lächelte grausam: "Sagen Sie, Countess, wo Sie doch
mit dem Captain das Bett teilten... Sie wissen nicht zufällig, wer
die betreffende Adlige war? Wer so unglaublich korrumpiert war?"
Alissa schüttelte nach längerem Zögern ihren Kopf.
Und die Marquesa redete weiter: "Das ist schade Countess, wirklich
sehr schade... Die Infanteristen unter Leitung des Majors Mike Irpean
setzten sich zusammen mit der Crew des Landungsschiffs gegen die vier
MechKrieger zur Wehr und töteten sie. Niemand wird jetzt erfahren,
wer Trishton in diesen Wahnsinn trieb..."
Alissa blickte mit glasigen Augen hoch: "Andrew... ist... tot?"
"Ja, gewissermaßen schon. Zumindest war er tot, als ich ihn
in seinem Sarg habe liegen sehen. Wobei ich allerdings kaum befürchte,
dass sich sein Zustand noch verschlechtert."
Lautes Lachen im Saal. Alissa zuckte bei jedem Wort, wie unter Schlägen,
zusammen.
"Das Schlimmste daran ist, dass die Daten ebenfalls verloren gingen.
Der tragbare Computer wurde während des Kampfes leider beschädigt.
Nur noch die Daten aus den Mechs sind nutzbar. Somit war die Mission ein
Misserfolg."
Praktisch im selben Moment stand Count Lille neben ihr auf, während
sich die Marquesa setzte. Es war totenstill in dem Raum, als Lille seine
Frage an Alissa stellte: "Sagen Sie, Countess, angenommen die betreffende
Adlige, die Drahtzieherin von diesem verzweifelten Akt der Täuschung,
wäre nun bekannt, welche Strafe müsste sie ereilen?"
Alissa sah ihn mit ihren glasigen, verweinten Augen an... Andrew war tot...
Alles war egal... Und sie schwieg.
Plötzlich erhob Duke Sandoval seine Stimme: "Countess? Wir möchten
Ihre Meinung hören? Wäre nicht der Tod die hierfür bestimmte
Bestrafung?"
Sie hob ihr Gesicht... Tod?? Sie? Nein... Sie wollte leben... Und begann
zu krächzen: "Das Exil wäre die bessere Methode, Duke Sandoval."
"So? Wieso denken Sie so? Immerhin wurde der Erste Prinz schändlich
betrogen..."
"Allerdings ist es möglich, dass dies das erste Vergehen in
der Familie der betreffenden Adligen ist."
"Aber womöglich nicht das letzte... Aber Sie haben mich auf
einen Gedanken gebracht, Countess. Wäre es nicht sinnvoller, die
Verwandten der Täterin, möglicherweise ihren Bruder, vor ihren
Augen hinzurichten und sie dann lebenslang einzusperren?"
"Nein!!" schrie Alissa unvermittelt auf.
"Nein? Wieso nicht? Das wäre doch eine hervorragende Möglichkeit,
ein Exempel zu statuieren, nicht?"
Alissa schwieg kurz... Zögerte... Dann flüstere sie: "Der
Erste Prinz würde solchermaßen Dinge nie zulassen, Duke Sandoval."
Sandoval lachte laut auf: "Nicht? Wieso nicht?"
"Der Este Prinz ist ein großer Herrscher. Er kennt Gnade. Er
ist kein Unmensch."
Sandoval blinzelte sie kurz an, dann lachte er leise und amüsiert
auf: "Folgen Sie mir, Countess."
Der Duke stand plötzlich auf und verließ das Zimmer in Richtung
eines Nebenraums. Alissa stand ebenfalls zitternd mit weichen Knien auf
und ging dem Duke nach. Delfire und Lille flankierten und begleiteten
sie.
Sie betraten einen kleinen, spartanisch eingerichteten Raum, in dem bisher
nur Sandoval stand, ein kleiner Durchgangsraum mit zwei Türen. Lille
schloss die Türe, aus der die drei gekommen waren und deutete Alissa
an, sich zu setzen.
Sandoval richtete sich an Alissa: "Countess, ich möchte endlich
Klartext reden."
Alissa sah ihn nervös an. Sandoval redete weiter: "Der einzige
Grund, wieso Sie noch am Leben sind, ist Ihre Familie, die man nicht verstimmen
möchte. Außerdem hat Ihr Bruder, der beim Ersten Prinzen durch
sein militärisches Können Wohlwollen genießt, um Gnade
für Sie gebeten und man möchte weiterhin die guten Beziehungen
mit ihm aufrecht erhalten."
Er setzte kurz ab und redete weiter: "Sie werden zur Marquesa ernannt."
Alissa blinzelte Sandoval verwirrt an. Eine Beförderung?
Der Duke fuhr fort: "Sie werden zum Planeten MararnII reisen, in
die äußere Mark Crucis und dort den momentan planetaren Herrscher
Comte Bryon Jones ablösen. Mararn ist eine heiße Ödwelt
an der Grenze unseres Gebiets zur Peripherie. Es gibt dort weder Piraten
noch Draconier, nur Armut und Hitze... Ich rate Ihnen, viel Hautcreme
mitzunehmen... Sonst dürfte Ihre feine, geschmeidige und junge Haut
Schaden nehmen... Ein Landungsschiff steht bereits für Sie bereit.
Sie werden augenblicklich abreisen... Ach ja, noch etwas... Der Planet
Lackland, der Herrschaftsbereich des Marquis Delfire, befindet sich in
direkter Nähe. Marquesa Delfire wird auf unbestimmte Zeit Ihre Handlungen
kontrollieren. Sofern Sie den Anweisungen der Marquesa nicht ohne jegliches
Zögern Folge leisten oder sofern der Marquesa Delfire auch nur irgendetwas
zustößt, werden Sie dafür bluten... Und ich schwöre
Ihnen, es gibt tausend Mal schlimmere Dinge als der Tod... Gehen Sie jetzt!
Marquesa Delfire wird Sie auf Ihrer Reise nach Mararn begleiten."
Alissa reagierte kaum. Das... was schlimmer als Dantes Inferno... Delfire
riss sie grob hoch und zerrte sie zum Ausgang und ging mit ihr hinaus.
Die Tür schloss sich und Lille grinste Sandoval an: "Der Tod
wäre gnädiger geworden."
"Mararn ist der richtige Ort, um über solche Sünden nachdenken
zu können. Vielleicht können wir sie noch einmal brauchen. Ihr
Plan war gut durchdacht und ziemlich gerissen. Auf Mararn ist sie zwar
isoliert, aber sie wird Ihre Fähigkeit zur Gerissenheit nicht verlieren.
Es wäre kurzsichtig, sie zu exekutieren, vielleicht wird man sie
später noch brauchen. Die Wahl des Fuchses war wieder einmal ganz
exquisit."
Plötzlich klopfte es an der zweiten Tür.
"Ja?" rief Sandoval.
Die Tür öffnete sich und ein Page erschien.
"Ja?"
"Hochwohlgeboren, Major Irpean ist hier."
"Führen Sie ihn herein."
Es dauerte keine zehn Sekunden und Major Irpean, ein hochgewachsener,
ernster Mann Mitte Vierzig, stand im Raum vor den beiden Adligen.
"Major..." begann Sandoval, "Wir wollten Ihnen für
Ihre erstklassige Leistung während der Operation auf Marduk danken.
Sie haben den Vereinigten Sonnen einen großen Dienst erwiesen."
"Nichts zu danken, Duke. Ich habe nur meine Arbeit gemacht."
Lille wandte sich an den Major: "Allerdings eine wirklich hervorragende
Arbeit, Major. Es ist wirklich eine Schande, dass Sie die AVS verlassen..."
Ein Lächeln umspielte Irpeans Gesichtzüge: "Man entwickelt
sich weiter, Hochwohlgeboren... Ich sehe kein großes Entwicklungspotential
darin, mich weiter der Gefahr von verirrten draconischen Projektilen auszusetzen."
"Nun, Sie hätten sich versetzen lassen können... In den
Stab. Nicht?"
"Die Privatwirtschaft bietet bessere Stellen, oder?"
"Womit Sie allerdings recht haben. Sagen Sie, womit handelt Ihre
neugegründete Firma noch mal? Metalllegierungen?"
Der Major lachte leise: "Ja. Zumindest vorerst nur mit Metalllegierungen
und Softwareprogrammen. Aber ich denke, dass ich durch die gemachten Investitionen
und das dadurch gewonnene Kapital dem Markt bald neue Technologien und
Produkte anbieten kann."
"Aha." Lille sah ihn mit interessierten Gesichtszügen an:
"Und dieser Markt... Ich nehme an, das wird die ganze Innere Sphäre
sein?"
Sandoval lachte amüsiert auf... "Count, lassen Sie das!"
Lille sah Sandoval irritiert an: "Duke?"
Irpean schaltete sich jetzt ein: "Count, Trishton hat nur einen Fehler
gemacht: Er wollte nicht teilen... Es gibt zwei Eigentümer meiner
neugegründeten Firma. Der eine bin ich mit 49 Prozent. Der andere
ist meine Schwägerin, die Duchess Wilzon, die Herrscherin des Planeten
Zolfo. Der Großteil des von unserer Firma erwirtschafteten Kapitals
geht an Wilzon, die das Geld offiziell als Zahlung der Bodennutzungssteuer
der Firmenanlagen nach Anjin Muerto schickt, von wo aus es dazu verwendet
wird, das nötige Kleingeld für die Herstellung von Sprungschiffen
zur Verfügung zu stellen, die offiziell dem Herrscher von Anjin Muerto
zur Verfügung stehen, de facto allerdings dem Ersten Prinzen, der
ja über Anjin Muerto verfügen kann. Das Geld für den Bau
der Sprungschiffe stammt aus dem Verkauf der Metalllegierung und des Softwareprogramms,
das wir auf Marduk gestohlen haben, wobei wir beide etwas verschlechtert
haben, also nicht das perfekte Endprodukt an unsere Kunden, Firmen und
Regierung von überall aus der Inneren Sphäre, verkaufen. Mit
Ausnahme der Regierung der Vereinigten Sonnen, die die Baupläne beider
Endprodukte umsonst bekommen haben, als Ausgleich dafür, dass wir
keine Bodenutzungssteuer zahlen müssen."
Lille sah Ishprean skeptisch an: "Was ist mit den Geldern, die nicht
in den Bau der Sprungschiffe eingehen?"
"Die werden unter den Mitarbeitern der Operation als Gewinn ausgezahlt...
Count, es ist alles durchdacht. Sowohl wir als auch der Erste Prinz gewinnen.
Und dem Reich wurde durch mehr Sprungschiffe ebenfalls Genüge getan...
Diese Daten wären sowieso früher oder später an die Öffentlichkeit
gelangt. Auf diese Weise entziehen wir unseren Gegner Geld, durch die
wir Schiffe bauen, mit denen wir sie in einigen Jahren angreifen können.
Der Fuchs selbst stufte diesen Plan als sinnvoller ein als die gewonnenen
Daten nur für die Vereinigten Sonnen zu nutzen."
Lille sah ihn kurz irritiert an, dann fing er zu lachen an...
July hatte bis zwei Uhr nachmittags noch Kurse, dann verschwand sie zusammen
mit Nihongi, der per
Schwebebahn zu sich heim fuhr, in eine kalte, nördlich gelegene Kleinstadt,
die davon lebte, dass man vor vielen Jahren ein unglaubliches Ölvorkommen
unter ihr gefunden hatte. Die Bahn musste alle drei Wochen genauestens
überprüft und gegebenenfalls repariert werden, eine Maßnahme,
die der Permafrost von den Reparaturteams abverlangte. Aber das war OK
so, ohne die Bahn wäre diese Region nur über Flugzeuge erreichbar.
Oder wie Nihongi mit einem Achselzucken kurz gemeint hatte: "Shigata
ga nai - Nicht zu ändern..."
Sie waren nach einigen Stunden angekommen, gerade bei Einbruch der Dunkelheit
und Ni hatte sich auch weiterhin als wahrer Gentleman herausgestellt und
nebst seinen zwei Taschen auch noch Julys Rucksack gepackt und für
sie getragen. Dass er nicht auch noch gleich July auf seine Arme genommen
hatte und über den leicht schlammigen Boden getragen hatte, wunderte
sie ehrlich gesagt etwas. Allerdings hätte er sich das auch nur einmal
getraut... Alle Höflichkeit hatte Grenzen und July hatte natürlich
ein durchwegs gesundes Selbstbewusstsein. Jedenfalls wäre der gute
Nihongi bei einer solchen Aktion selbst im Schlamm gelandet.
Nihongis Elternhaus, das etwa eine halbe Stunde Fußmarsch vom Bahnhof
entfernt war, lag absolut außerhalb, praktisch am Rand der Stadt.
Ni hatte erklärt, dass er ganz gerne zu Fuß ging, vor allem,
wenn der Öffentliche Nahverkehr durchwegs unpünktlich kam und
die Preise für die Schwebetaxis ziemlich horrend waren. Das Haus
war ziemlich groß mit einem netten Garten, der gleich in die Wildnis
überging. Ni hatte erzählt, dass es schon mal hin und wieder
passierte, dass sich ein Karibu hierher verirrte. Oder ein Wolfsrudel.
Je nachdem. Ni schien das zu lieben... Wobei July die Faszination für
ein Rudel hungriger Wölfe, das jeden Moment vor ihr auftauchte, kaum
teilen konnte.
Ni hatte nur kurz gelacht, als sie die diesen Einwand gebracht hatte und
erklärt, dass Wölfe sowieso meistens ziemliche Angsthasen waren.
Nihongis Eltern begrüßten die beiden ziemlich freundlich...
Was July überraschte, schließlich war sie hier die Neue und
Unbekannte.
Seine Mutter, Annika, war wohl die typische Bewohnerin des Planeten: Ruhig,
freundlich, trotzdem etwas unterkühlt, groß, blond... Eigentlich
das Abbild von Katherine Steiner, der Gründerin der Steiner-Dynastie.
Sein Vater war der typische Draconier, wie July ihn sich immer vorgestellt
hatte:
Klein, schwarzhaarig, hager, ernster Blick, Name: Urizen... Ja... Da standen
zwei Klischees, zwei Stereotypen vor ihr, die eigentlich auch aus einer
schlechten drittklassigen Seifenoper stammen konnten. Was nicht ins Bild
passte, war Urizens freundliches Lächeln, das einen fast schon schizophrenen
Kontrast zu seinem eigentlich sehr ernsten Gesicht zeichnete. Und natürlich
Annikas
Geschäftigkeit, die beim Erledigen ihrer häuslichen Arbeiten
ihre durchwegs unterkühlte Mentalität zur Seite schob und zu
einer hektischen, emotionalen Hausfrau wurde...
July bekam das Gästezimmer. Scheinbar eine Entscheidung von Nihongis
Mutter, die wohl gar nicht auf den Gedanken gekommen war, dass Ni das
anscheinend anders wollte. Aber nun gut... Nächtliche Wanderbewegungen
konnten ja immer noch stattfinden und gaben dem Ganzen sogar noch einen
interessanten Reiz. Nihongi, der keinen Ton gegen die Entscheidung seiner
Mutter sagte, sah das offenbar genauso...
Aber noch war es ja noch nicht soweit. Zuerst Abendessen, Karibubraten
- selbst geschossen - mit typischen Beilagen und - Sake. Die Kombination
war durchwegs gewagt und untypisch, aber es hatte einen interessanten,
exotischen Reiz, den July nach dem zweiten Schluck Sake zu schätzen
lernte.
Der Abend verlief anders als erwartet.
Nihongi und July blieben bis tief nachts mit seinen Eltern sitzen und
redeten, lachten, small talkten... Und irgendwann verlor July ihre Skepsis
vor Urizen, der ihr gegenüber ganz offen zugegeben hatte, bei einem
Angriff auf ihren Heimatplaneten, Bountiful Harvest, teilgenommen zu haben.
Das war noch zu jenen Tagen geschehen, als das LC und das Kombinat direkte
Nachbarn waren und die Republik Rasalhaag noch nicht gegründet war...
July selbst hatte drei Angriffe miterlebt, die die Draconier teilweise
durch den rasalhaager Raum unternommen hatten, um die Bewohner des Planeten
daran zu erinnern, dass die VSDK immer noch da waren... Bevor dann die
Jadefalken gekommen waren und Massen an Flüchtlingen nach Harvest
hatten strömen lassen... Sie hätte angenommen, dass sie den
Draconier dafür hassen würde, dass sie ihn zumindest dafür
´Drac´ oder ´Schlange´ nennen würde, aber nichts dergleichen
geschah. Vielleicht war es das charismatische Lächeln des Mannes,
vielleicht aber auch seine Geschichten, die er erzählt hatte und
ihn von einem unnahbaren VSDK zu einem ihr bekannten Menschen machten.
Und als Annika dann auch noch erzählte, wie sie und Urizen ein Paar
geworden waren, dann verflog der Argwohn erst recht... Vielleicht war
es aber auch Nihongis angespanntes Gesicht, dem sie anmerkte, dass Urizens
Sohn förmlich um Harmonie betete. Vielleicht blieb July auch deshalb
so ruhig... Jedenfalls verschwand die 19-Jährige irgendwann tief
nachts in dem Gästezimmer. Sie glaubte allmählich nicht mehr
daran, dass Ni heute Nacht erscheinen würde, dazu war er viel zu
höflich und wohl erzogen... Ein etwas übertriebenes Gehabe,
das July ihm sicher bald abgewöhnt hatte...
Und als sie zu guter Letzt in ihrem Zimmer verschwand, hörte sie
nach einiger Zeit leise Stimmen... Nun gut, sie würde es niemals
zugeben, aber sie war furchtbar neugierig... Öffnete lautlos ihre
Zimmertür und hörte Nihongi und seinen Vater leise miteinander
reden...
"Wieso sollte ich??"
"Ich sage nur dass du aufpassen solltest..."
"Wir leben nicht mehr im direkten Kriegszustand..."
"Möglich. Sie ist trotzdem Lyranerin..."
"Die Claninvasion..."
"Nihongi! Sie stammt von Harvest! Das einzige, das sie von den Draconiern
kennt, sind die VSDK..."
"Harvest liegt in direkter Nachbarschaft zur Clanbesatzungszone.
Ihr Feindbild Nummer Eins dürften momentan wohl die Jadefalken sein
- und nicht der Drache. Oder?"
"Ja... sicher... Aber der Hass zwischen unseren beiden Völkern
ist zu tief greifend... Was denkst du, wie wird sie ihren Eltern erklären
können, dass ihr Freund Draconier ist?? Vielleicht starben Angehörige
ihrer Familie..."
"Sie lebt ihr Leben, Vater. Nicht dass ihrer Eltern..."
"Hm... Ja... Trotzdem musste du aufpassen. Als Draconier auf Tharkad
zu leben ist alles andere als einfach... Ein falscher Schritt und die
Offiziellen rösten uns..."
"Wenn du so denkst, hättest du mich wohl nicht zur Welt bringen
dürfen..."
Stille.
"Sag doch solche Dinge nicht, Nihongi."
"Wo ist dein Problem?? Du warst doch sonst nie so."
"Dieses Mal ist da aber jemand, der von einem Planet an der alten
Grenze stammt. Der einen VSDK-Überfall möglicherweise selbst
miterlebt hat..."
July starrte auf die Tür vor ihr... Und schloss sie so leise wie
sie sie geöffnet hatte.
Adrenalin I - Kapitel 07 - Maskerade
05.04.2023
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