Sitzung Drei:
Herz As
Tharkad City, Tharkad
Mark Donegal, Vereinigtes Commonwealth
29.5.3054
(9.10.2002 - 13.10.2002)
July Wallace
ging einsam und verlassen durch die Straßen der Stadt. Die hübsche
und farbige 19-Jährige war erst vor drei Wochen auf diesen kalten
und verschneiten Planeten gekommen und hatte seitdem verzweifelt die ´herrliche
Einsamkeit und den wilden Glanz´ dieser Arktis- und Subarktiswelt
gesucht.
Es war dunkel, obwohl es erst halb sechs war. Planetologisch gesehen war
nun mal noch nicht Sommer, obwohl vor drei Tagen ein Hochdruckgebiet eher
aus dem Nichts über ihren Köpfen aufgetaucht war und ihnen nun
Temperaturen bis an die 10° Celsius bescherte. July fand es nicht
so wahnsinnig lustig. Als jemand, der von einer blühenden - und vor
allem warmen - Agrarwelt wie
Bountiful Harvest kam, war sie andere Temperaturen gewohnt. Hätte
die Uni Tharkad nicht diesen hervorragenden Ruf gehabt - nichts hätte
sie hierher gebracht.
Sie bog um eine letzte Ecke, dann stand sie vor dem Hauseingang und drückte
die Klingel. Es dauerte einige Sekunden, dann öffnete man ihr. Ellen
Patrikson stand freudestrahlend im Türrahmen.
"Hi!"
"Hi... Die Schwebebahn hatte etwas Verspätung und dann war kein
Taxi mehr da, na ja, da musste ich zu Fuß gehen... Ich hoffe, du
wartest noch nicht allzu lange."
Ellen lächelte kurz: "Nein, Quatsch. Is doch überhaupt
total nett, dass du überhaupt vorbei kommst."
Ellen geleitete ihren Gast in ihre Wohnung... July war sofort aufgefallen,
dass Ellen luftig gekleidet war. Die große Schwarzhaarige, die eine
ganz nette Figur hatte und wunderschöne braune Augen, trug nur eine
lange rote Leinenhose, ein rotes T-Shirt und dicke schwarze Socken. Als
July von dem ziemlich eiskalten Gang in Ellens Reich glitt, schlug ihr
eine regelrechte Hitzewelle entgegen. Ellen grinste sie an: "Ich
bin total verfroren."
July lächelte kurz, zog sich ihre Straßenschuhe und ihre dicke
Jacke aus und ließ sich neben Ellen auf die große Couch fallen...
Als July
- einige Stunden später - wieder auf dem Heimweg war, war sie auf
dem Laufenden, was die Uni, die Dozenten, Studenten... na ja, ganz Tharkad
City betraf. Ellen war hier zwar nicht geboren worden, nicht mal auf diesem
Planeten, wusste aber einfach immer, was gerade überall geschah.
Die beiden hatten etwas gebraucht, um das Eis zu brechen, aber als es
dann soweit war, hatte Ellen angefangen, aus dem Nähkästchen
zu plaudern. Bei heißem Kräutertee und Sesamplätzchen...
Eine Spezialität an langen und dunklen Tharkad-Nächten - irgendwie
musste man sich ja bei Laune halten. Sagte zumindest Ellen. Aber wenn
July schon allein daran dachte, dass sie von den Plätzchen dick und
fett wurde - ganz unkontrolliert, denn auf einem Planeten wie diesem waren
dicke Rollkragenpullover der Modetrend Nummer Eins und nicht hauchdünne
Shirts - dann kam sie überhaupt nicht in Laune.
Ellen stammte von einem Planeten namens Eutin, ziemlich nahe an Tharkad.
Der Planet war eine einsame Ödwelt, mit unwirtlichen Gebirgsketten
und weiten Wüsten, sowohl Hitze- als auch Kältewüsten.
Die wenige Bevölkerung, die dort lebte, war in großen Teilen
verarmt oder fristete sein Dasein als zweitklassige Händler oder
Schmuggler. Ellen war aus der ersteren Sorte Mensch emporgestiegen, ihre
Familie war schon, seitdem sie nach Eutin ausgewandert war, arm gewesen.
Und dennoch hatten ihre Eltern die Vision gehabt, dass es ihrer Tochter
einmal besser gehen sollte. So hatte man alles Geld, das finden konnte,
zusammengesammelt, sie in ein Landungsschiff gesteckt und nach Tharkad
geschickt. Das erste Jahr hatte sich die damals 20-Jährige mit allem
Möglichen herumgeschlagen. Studieren hatte sie damals angesichts
des großen Abenteuers ´Tharkad´, in das sie eher ungewollt
gestolpert war, noch nicht wollen und so hatte sie sich nach anderen Stellen
umgesehen. Zwei Monate hatte sie am Raumhafen gearbeitet, einige Wochen
als Kellnerin in einem ziemlich herunter gekommenen Spelunke, dann als
AsTech in einer Radiostation, als Praktikantin bei einer Zeitung, und
so weiter... Nach einem Jahr hatte sie sich dann in der Uni Tharkad eingeschrieben...
July erreichte den Bahnhof der Schwebebahn. Sie blickte kurz auf den Zeitplan.
Hm. In zwanzig Minuten ging der nächste Zug in die Innenstadt. Gut...
Sie setzte sich auf eine der Wartebänke. Strich sich ihre glatten
brünetten Haare noch glatter und versteckte ihren Hals und ihren
Kopf noch tiefer in ihrer Jacke...
Ellen hatte ihr auch genügend über die berühmtesten oder
peinlichsten Beziehungen auf dem Campus erzählt. Welcher Prof mit
welcher Assistentin und welche Mitarbeiterin schon mit welchem Studenten
hatte. Dinge, die man natürlich wissen musste. Am Interessantesten
war es geworden, als Ellen und sie über die momentane Beziehungslage
in der noch jungen Clique geredet hatten. Fakt war, dass Pedro und Samantha
sich langsam näher kamen und die Sache vielleicht schon die nächsten
Tage heiß werden konnte. Sergej war so etwas wie ein Pseudo-Einzelgänger,
aber er schien ein Auge auf Ellen geworfen zu haben, ähnlich wie
John, was nun aber bekannt war. Ellen hatte ihr versprochen, sie sofort
über Visiophon zu verständigen, falls sich näheres ergeben
würde... Und für sie blieb der schnuckelige, stets höflich
und korrekte Nihongi. Falls er Interesse zeigte... Hach, das Studentendasein
war schon wirklich kompliziert...
Zwei Tage
später betrat sie mit einem lieblichen Lächeln und viel zu motiviert
für einen Donnerstag Morgen die Wellerbein-Vorlesung. Der sah sie
nicht an... Nun, dass an der Uni hin und wieder Leute zu spät kamen,
schien eine Alltäglichkeit zu sein, die niemanden mehr störte.
July setzte sich mit einem kurzen Lächeln neben Samantha und begann
dann, ihrem Dozenten zu lauschen...
Der hatte bereits angefangen und war bereits kurz davor, voll in seine
heutige Geschichte einzusteigen.
"Also wie gesagt, der Planet heißt Necromo, Herzogtum New Sagan,
Grenze capellanische Konföderation - Vereinigte Sonnen... Zumindest
waren sie das damals noch..."
July wandte sich kurz an Sam und fragte leise: "Worüber geht´s
denn heute?"
"Flugabwehr." Kam die kurze und geraunte Antwort.
Das Neujahrsfest des Jahres 3032 hatte bisher kaum Gutes gebraucht. Die
Konföderation hatte sich noch immer nicht vom 4.Nachfolgekrieg und
seinen grausamen Verlusten erholt, immer noch hing eine Art stinkendes
Totentuch über Capella, das nur darauf wartete, gehoben zu werden,
damit sich die Aasgeier an Capella und dem himmlischen Thron auf Sian
bedienten. Wieder einmal. Und damit nicht genug: Die geheime Wartungsanlage
hier auf Necromo war seit einigen Tagen auch nicht mehr geheim. Auch offiziell
nicht. Ein Überfallkommando der AVS, die den verhassten Daviongestank
auf diese erleuchtete capellanische Welt brachte, hatte die Reparaturanlage
für die Landungsschiffe gefunden und die Information vermutlich schon
längst weiter nach New Avalon gefunkt...
Der Planet
war einfach bildschön. Li Guyen, die Kommandantin der ´Heart
Aces´ im Rang eines Commanders, liebte die sanften Hügel des Planeten,
seine friedliche Gestalt, die ruhigen Flüsse und die sanft steigenden
Gebirge, sowie die dunklen und malerischen Mischwälder... Und nun
war die AVS hier, um auf dem was sie von der Konföderation übrig
gelassen hatten, herumzutrampeln.
Narai hatte geschworen, dass er sie alle einzeln töten würde...
Li hatte nur kurz gelächelt. Narai T´ing, ihr Subcommander und Gefährte,
hatte oft genug solche emotionalen Anfälle. Und doch hatte er recht,
die Davies mussten getötet werden. Alle. Ausnahmslos. Li hatte eigentlich
nichts persönliches gegen die Vereinigten Sonnen, sie hatte sogar
einen guten Bekannten auf New Syrtis, aber seit dem 4.Nachfolgekrieg...
war das alles belanglos. Persönliches musste zurückstehen und
das Wohl des capellanischen Volkes stand im Vordergrund. Und die Vereinigten
Sonnen waren der Feind des capellanischen Volkes. So einfach war das...
Roberta Koa-feng, ebenfalls Subcommander und letztes Mitglied der JägerLanze
´Heart Aces´ hier am Rande der Wartungsanlage hatte mit ihrem Transit
die feindliche Einheit einige Male überflogen und wichtige Informationen
zu deren Vernichtung gemacht. Unter normalen Umständen bestand eine
Lanze Raumjäger aus vier Maschinen... Nicht so hier auf Necromo,
nicht so hier in der Konföderation Capella... Der erlauchte Thron
auf Sian war arm - an Ressourcen aber auch an Verstand. Und so hatte der
Quell aller Weisheit, die göttliche Lady Romano Liao, die ihre Feinde
zertrümmern möge, beschlossen, dass capellanische JägerLanzen
nur noch zu dritt operieren durften...
Li war auf dem Planeten Capaca groß geworden, zwischen den Ruinen
von zerstörten Städten, hatte zwischen ausgeschlachteten Mechs,
Blindgängern und Tretminen gespielt. Hin und wieder kamen Truppen
der LFW vorbei, um die Capellaner daran zu erinnern, dass die Zeiten hart
waren. Und blieben. Aber die Angreifer waren jedes Mal wieder verjagt
worden, wenn auch jedes Mal nur mit immensen Anstrengungen. Li hatte noch
während ihrer Kindheit Roberta kennen gelernt und eine, so schien
es ihr, echte Freundschaft mit ihr aufbauen können. Als die beiden
sechzehn Jahre alt wurden, kam die Zeit der Tests. Beide hatten Erfolg
und so wurde im Namen der göttlichen Größe des capellanischen
Volkes beschlossen, sie auf die Kriegsakademie von Sian zu schicken, damit
sie dort
das Fliegen von Raumjägern erlernen sollten. Während dieser
Zeit hatten die beiden, damals die unzertrennbarsten Freundinnen, Narai
kennen gelernt. Narai stammte direkt von Sian und verdrehte nicht zuletzt
mit seinem Charme und der Arroganz eines Menschen, der im Zentrum der
capellanischen Macht aufgewachsen war, die Köpfe der beiden Frauen.
Und nun waren sie hier, in ihrem dritten Jahr als Jagdpiloten. Li hatte
den Kampf um Narai gewonnen, nicht zuletzt wegen ihrer äußeren
Erscheinung, die sie hin und wieder wie hübsche buddhistische Göttin
erscheinen ließ. Roberta hingegen war nicht schön. Sie war
kleingewachsen, hatte aber zu lange Beine, viel zu große Füße
und nicht zuletzt ein völlig langweiliges Gesicht. All das hatte
es Li ziemlich leicht gemacht, Narai für sich zu gewinnen. Dass er
überhaupt zwischen den beiden hin und her geschwankt war, war auch
eigentlich nur das Resultat von Robertas Wesen, ihrer Friedfertigkeit
und ihrem Humor. Und ihrer Intelligenz. Aber Li war gerissen und hinterhältig
genug gewesen, das alles zu überspielen. Und so hatte die Schönere
der Beiden den Mann bekommen. Um Roberta hatte es
Li ehrlich leid getan, aber - sie wollte Narai! Als dann auch noch Li
und nicht Roberta zum Commander befördert worden war, zerbrach Robertas
Widerstand völlig. Komischerweise hatte Roberta nicht begonnen, Li
dafür zu hassen, sie war stattdessen in eine stille Welt der Apathie
eingetaucht, die aber noch Platz für ihre alte Freundschaft. Der
Unterschied war nun der, dass Roberta
wusste, wann sie zu gehen hatte, wann die beiden Geliebten alleine sein
wollten...
Es zerbrach Li jedes Mal wieder das Herz, wenn sie ihre alte Freundin
leise davon schleichen sah, traurig, frustriert und mit einem melancholischen
Lächeln auf dem Gesicht und dem geflüsterten Kommentar: "Macht
euch ruhig eine schöne Nacht."
Aber so war das nun mal im Leben. Es gab Gewinner und es gab Verlierer.
An diesem
Abend stand Li auf dem Rollfeld der Jäger... da waren natürlich
mehr Hangars als nur für die drei Transits. Eine volle Staffel, bestehend
aus Beschützer, eine andere aus Hubschrauber, befanden sich auch
noch hier. Aber der eigentliche Schatz dieser Anlage, das waren die drei
Raumjäger. Konventionelle Maschinen konnte man billig herholen lassen
oder einfach umbauen, aber diese Babys hier waren mehr als was besonderes.
Auch wenn man daran dachte, dass die Davies den Fehler gemacht hatten,
ohne eigene Jäger anzugreifen. Vermutlich hatten sie nicht damit
gerechnet, hier bei einem reinen Beutezug auf eine vollbesetzte Wartungsanlage
zu treffen, die dazu noch ganz passabel verteidigt wurde. Die Panzer und
Mechs der Capellaner hatten ihren Feind seit zwei Tagen weitab der Anlage
an einem langgezogenen See im Westen, vor einem der Gebirge gestellt.
Die Infanterie und Flugzeugverbände blieben noch weiter hier, um
die Anlage zu sichern.
Li stand da... genoss die Stille des Abends, das laue Lüftchen, das
von Süden herüberwehte. Jemand trat leise an sie heran. Li musste
sich nicht umsehen um zu erkennen, dass es sich dabei nur um Roberta handeln
konnte. Ihre Freundin hatte eine gewisse Eleganz in ihren Bewegungen und
nicht zuletzt die Fähigkeit, sich leise zu bewegen. Etwas, das selbst
hier, bei regulären Einheiten, erschreckend wenige beherrschten.
Aber das Leben auf Capaca hatte sie dazu erzogen, sich leise und geschmeidig
zu bewegen. Die Schritte blieben hinter ihr stehen und Li konnte den frischen
Geruch von nassen Haaren und eines dezenten Duschgels riechen.
"Ja? Gibt´s was, Ro?"
"Ich hab den Bericht hier."
"Ja. Gut gemacht, Roberta. Noch was?"
"Hm... Ja, steht in dem Bericht... Die haben zwei Kampfschützen
dabei."
Li drehte sich um. Sah Roberta in ihre Augen... Ihre Freundin hatte genauso
wie sie selbst, kurze schwarze Haare und asiatische Gesichtszüge.
Sie trug eine lange dunkelgrüne Trainingshose und ein kurzes, hellgrünes
Shirt, auf dem das Hauszeichen der Liaos prangte: Das nach untengedrehte
grüne Dreieck mit dem Mecharm, der einen Säbel hielt. Dazu noch
die Einheitsunterwäsche und passende weiße Turnschuhe. Standarduniform,
die das capellanische Militär für Situationen wie diese, Ruhepausen,
vorschlug. Li hingegen trug eine deutlich individualisierte Form: ebenfalls
dunkelgrüne Hose, ein rotes T-Shirt, darüber eine kurze Jacke
mit dem Liao-Banner, keine Unterwäsche und barfuss. An ihrem rechten
Hosenbein trug sie außerdem noch einen Holster mit ihrer Nadler...
Man konnte ja nie wissen, was so alles geschah. Li mochte diese Art der
Kleidung lieber, liebte sie geradezu und seitdem sie festgestellt hatte,
dass Narai auch ziemlich darauf abfuhr, trug sie es noch lieber. Ihr vorgesetzter
Kapitän, sowie der zuständige Major der Anlage schienen kaum
Interesse an ihrer bevorzugten Freizeitkleidung zu zeigen und so war es
in Ordnung...
"Zwei Kampfschützen..." wiederholte Li leise, scheinbar
in Gedanken versunken... "Das verkompliziert das Ganze natürlich
immens... Gut. Du kannst wegtreten, Subcommander!"
Roberta blieb weiter stehen und Li sah sie fragend an. Dann lächelte
Ro schüchtern:
"Hast du mal wieder Lust, was zu unternehmen?"
Li sah sie verwirrt an. Ro redete weiter: "Naja, durch die Anlage
ziehen... Stundenlang MahJongg spielen... So was?"
Plötzlich lachte Li amüsiert auf: "Aber ja! Gerne!"
Und bevor sich Roberta sich´s anders überlegen konnte, hatte Li sie
schon am Arm gepackt und ging mit ihr in Richtung Wald...
Sie kamen
spät nachts wieder zurück, hatten sich etwas die Gegend angesehen,
den Wald, das Unterholz, die paar Trampelpfade und die ein oder zwei Wiesen,
auf denen Obstbäume standen.
Äcker hätten sie sich auch gerne angesehen, aber die gab es
nicht. Die gesamte Bevölkerung von Necromo, so um die fünftausend
Personen, arbeitete in der Anlage und wurde von außerhalb ernährt.
Die paar wenigen Obstwiesen dienten lediglich das Hobby einiger irrer
Arbeiter, die wohl keinerlei Einfluss auf die gesamte Ernährungssituation
machen konnten. Als sie die Anlage wieder betraten, kamen ihnen einige
betrunkene Techs entgegen, eigentlich gute Leute, aber seit dem völligen
Zusammenbruch der Capellaner in 4.Nachfolgekrieg hatten sie kaum einen
Tag mehr nüchtern erlebt.
Der befehlshabende Kapitän hatte nur kurz mit seinen Achseln gezuckt,
hatte die betreffenden Techs auf Stellen versetzt, wo sie auch sturzbetrunken
nichts anrichten konnten. Dann hatte er die wichtigen Posten an andere,
nüchterne Techs vergeben...
Die Nacht verlief so wie viel zu viele Nächte in der Kasernenstube
der drei Piloten verliefen: Li und Narai vergnügten sich und Roberta
schlich sich davon, schluchzte, weinte tonlos... Aber dieses Mal war da
etwas anders, das fühlte Li.
Die Nacht
ging vorbei und mit den ersten Sonnenstrahlen standen die drei beim Morgenappell.
Ihr kommandierender Kapitän teilte ihnen in seinem sachlichen, kalten
Ton mit, dass heute der Angriff gegen die Davies ausgeführt werden
würde. Die capellanischen Mechs und Panzer hatten den Feind in eine
Position gezwungen, in der er gut angreifbar für Flugzeuge war. Die
Jäger mussten nur noch durchgecheckt werden, dann konnte es losgehen.
Etwa zwei Stunden...
Nach ein
bisschen mehr als diesen zwei Stunden begaben sich die drei Transit-Piloten
in ihren Hangar, stiegen ein und starteten ihre Maschinen. Da sah Li es...
Sah, was Roberta während der letzten Nacht getan hatte. Auf der linken
Flanke von Robertas Raumjäger prangte ein Spruch:
Man, fear thyself, thine arrogance and vanity and pride!
Ro hatte den Spruch mit einer vollen blutig roten Farbe auf ihre Maschine
aufgetragen. Li hatte einige Male vorher versucht, mit ihr zu sprechen,
aber Ro hatte sie nicht zu Wort kommen lassen. Als Li diesen Spruch zum
ersten Mal gelesen hatte, hatte sich etwas in ihrem Innersten zusammengezogen
- und sie hatte fühlen können, wie ihr Herz zu bluten anfing.
Die drei
Transits rollten aus dem Hangar, auf die Startbahn, ließen noch
kurz die Triebwerke heiß laufen und warteten, bis alle Anzeigen
auf ´OK´ standen.
Li startete als erste, dann Roberta, die sich links von ihrem Commander
einreihte, dann Narai, der seine Position rechts von Li hatte.
Li aktivierte ihr TakKom: "Gut, sieht alles ganz nett aus. Der Wetterbericht
meldet keine größeren
Schwierigkeiten, Sonnenschein, hervorragende Sicht, leichter Wind aus
Süden über dem Kampfgebiet.
Die Davies befinden sich am Ende eines Sees, direkt hinter einer kleinen
Kuppe und einem Waldstück. Wenn wir in den Tiefflug gehen, können
wir sie überraschen. Fragen?"
Stille im TakKom.
"Gut. Hart Aces One Ende."
Es dauerte
keine fünf Minuten, als die drei Jäger plötzlich nur noch
wenige Sekunden von ihren Gegnern entfernt waren. Li hatte Angriffsmuster
Vier angeordnet, eine extrem sichere Variante, wenn man eine Bodeneinheit
vor Ort hatte, die die Position des Feindes an einen weiterleitete...
Li hatte diese Position an ihre beiden Subcommander weitergegeben und
wartete nun nur noch darauf, dass die drei Jäger über die Kuppe
donnerten...
Der Angriff lief nicht wie geplant. Offenbar hatte der AVS-Kommandeur
Eins und Eins zusammengezählt, vor allem als er den capellanischen
Mech gesehen hatte, der offenbar nur Daten weitergefunkt hatte. Als er
dann noch die momentane Situation seiner Truppe analysiert hatte, war
ihm die Falle wohl klar geworden.
Es war nur der Schnelligkeit der drei Jäger zu verdanken, dass die
meisten Schüsse daneben gingen. Allerdings gingen die vorbereiteten
Salven der Jäger, die auf eine Position eingestellt waren, die es
jetzt nicht mehr gab, auch beinah alle daneben. Nur zwei von Narais mittelschwere
Laser trafen und brannten einer Valkyrie zwei hässliche Narben in
ihre rechte Schulter, beziehungsweise in ihr rechtes Bein. Einer der Kampfschützen
hämmerte eine AK-Salve in das Heck von Li´s Maschine. Eine PPK und
zwei schwere Laser gingen knapp an Robertas Bug vorbei und von einem Regen
aus LSR und KSR, der auf Narais Transit herabging, trafen glücklicherweise
nur wenige. Die drei Jäger drehten rechts ab, stiegen in eine sichere
Höhe...
"Scheiße..." murmelte die schweißgebadete Li, als
sie das TakKom aktivierte: "Weiß jemand, wo die beiden Kampfschützen
stehen??"
Die Antwort kam sofort, von Roberta: "Hinter dem Rest, zentral hinten..."
"Also da, wo wir nur dann hinkommen, wenn wir uns zuerst zu Tode
rösten lassen." Flüsterte Li leise.
"Möglichkeiten?" fragte sie laut in das Kom.
"Rückzug und die Mechs die Drecksarbeit erledigen lassen."
"Und wer soll dann die hohen Verluste unter den Mechs erklären?
Du?"
"Die Beschützer und die Helis angreifen lassen?"
"Verluste unter den Flugzeugen?? Noch schlimmer!"
Roberta schwieg und plötzlich meldete sich Narai: "Könnten
die Mechs nicht die Sensorschüsseln der Kampfschützen wegschießen?"
Schockierte Stille. Dann lachte plötzlich Roberta laut auf: "Manchmal
frage ich mich schon, wie du deine Pilotenausbildung geschafft hast...
Flieg einfach und schieß, aber bitte halt deine Klappe!"
Li lächelte kurz - und pflichtete Roberta im Stillen zu. Die Sensorschüssel
eines Mechs, sogar die überdimensional großen Sensorschüsseln
von Kampfschützen, zu treffen, war nicht möglich.
"Also müssen die beiden Kampfschützen weg, bevor wir die
da unten richtig alle machen können?"
"Treffend erkannt... Andernfalls werden wir alle gemacht..."
"Hm..."
Li sah kurz zu Robertas Transit hinüber, sah, wie er urplötzlich
abdrehte und angriff... Voll beschleunigte...
"Verdammt noch mal, Subcommander, was soll das??"
Keine Antwort...
"Subcommander Koa-feng, was soll das??" In Li´s Stimme schwang
nun eindeutig auch Angst mit.
Roberta stieß wie ein Raubvogel schräg von oben auf die beiden
Kampfschützen herab. Ein Raubvogel, der mit allem anvisiert wurde,
was dort unten war...
Li wandte sich an Narai: "Angriffsmuster Drei..."
"Die Wahnsinnige bringt sich um und du redest von Angriffsmuster..."
"Klappe halten und angreifen!"
Und plötzlich, wenige Sekundenbruchteile, bevor der Sturm losging,
als die Waffen der Kontrahenten schon aufeinander gerichtet waren und
der Transit mit absoluter Höchstgeschwindigkeit auf sein Ziel zudonnerte,
hörte Li Robertas Stimme in TakKom. Wie sie voller Hass flüsterte...
"Man, fear thyself, thine arrogance and van" Sie kam nicht
weiter, die ersten Raketen schlugen auf der Tragfläche und im Bug
des Jägers ein. Jetzt eröffnete auch Roberta das Feuer und konzentrierte
alles, das sie hatte, auf die beiden Kampfschützen...
Li sah gebannt zu... Für wen der Spruch gedacht war, wusste sie nicht.
Entweder für die AVS - oder für sie. Roberta hielt ihr Feuer
aufrecht. Sie musste verbrennen, wenn sie das noch wenige Sekunden weiter
aufrecht hielt. Aber das war jetzt sowieso schon egal... Der Transit schien
unter den Treffern seiner Gegner regelrecht zu verglühen, als plötzlich
einer der beiden Kampfschützen mit einem riesigen Loch im Zentrum
zusammensackte. Und Robertas Maschine, inzwischen mehr ein glühender,
brennender Feuerball als ein Raumjäger, voll mit dem zweiten Kampfschützen
kollidierte.
Eine gewaltige Explosion.
Stille.
Als sich plötzlich die anderen beiden Jäger, ziemlich unbeachtet,
auf die restlichen Mechs stürzten...
"Nach der zweiten Angriffswelle der beiden Jäger ergaben sich
die AVS-Mechs. Nur noch sechs Stück standen, die den Jägern
nichts entgegenzusetzen hatten... Heutzutage würde so etwas sicher
anders ablaufen, da wir neue Techniken und bessere Sensoren zur Verfügung
haben... Aber beachten Sie bitte eines: Ohne eine effektive Luftverteidigung
sind Mechs dennoch nur eine Pflichtübung für angreifende Raumjäger.
Ich denke, das zeigt dieses kleine Beispiel ganz gut. Denn als die Kampfschützen
weg waren, war das Ganze nur noch Formsache... Die Wartungsanlage auf
Necromo wurde drei Jahre später geschlossen, nachdem die AVS immer
stärkere Überfallkommandos nach Necromo sandte... Über
das Schicksal von Li Guyen, und Narai T´ing ist mir nichts mehr bekannt.
Sie verschwanden irgendwo im Nichts der Geschichte..."
Adrenalin I - Kapitel 03 - Herz As
05.04.2023
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