Adrenalin I - Kapitel 01 - Springergambit

05.04.2023

Sitzung Eins: Springergambit
Tharkad City, Tharkad
Mark Donegal, Vereinigtes Commonwealth
15.5.3054

Einer der Gründe, wieso die lyranische Zentralwelt eigentlich nur einer besseren Eistruhe alle Ehre machen würde war ihre Entfernung zur Sonne des Systems. John wusste, dass diese Bahn etwas über einer astronomischen Einheit lag, also in Etwa zwischen der Entfernung Terras und des Mars.
Wieso in der Astronomie überhaupt noch am Sol-System gemessen wurde, war ihm nie ganz klar gewesen. Sicher, Sol war die Heimat der Menschheit, aber man musste ja schließlich mit der Zeit gehen... Andererseits... Wenn nicht Sol, was dann? Luthien?? Dann doch lieber das gute alte Sol-System, Brutstätte und Heimat des Heuschreckenschwarmes namens ´Menschheit´, der sich trotz deutlich selbstzerstörender Tendenzen wie eine Seuche in den Sternensystemen der Inneren Sphäre ausgebreitet hatte...
Jedenfalls war da die hohe Entfernung von der Sonne. Normalerweise hätten auf Tharkad keine Temperaturen über 220° Kelvin möglich sein dürfen, allerdings besaß der Planet eine sehr niedrige
Ekliptikschiefe, die zuließ, dass die Strahlen von Tharkads Sonne in einem hohen Winkel auf den Planeten trafen und so besser zu Wärme umgewandelt werden konnten als beispielsweise auf Terra.
Trotzdem war Tharkad arschkalt.
John saß alleine in seinem Zimmer, seiner Studentenbude, während draußen der Schneesturm immer noch tobte. Der Erstsemestler hatte sich sagen lassen, dass solche Schneemassen für Mai ziemlich untypisch waren, in einer Woche begann ja schließlich auch der Frühling, aber es war leider durchaus möglich. Vor allem wenn ein stationäres Tiefdruckgebiet über dem Kontinent hing und kein Hoch in Sicht war... John hatte sich Tharkad anders vorgestellt... Kalt, aber nicht verschneit.
Er tippte nebenbei einige Worte in seine Tastatur und klickte dann auf das Button ´Senden´... und sah sich zum x-ten Mal in seinem Zimmer um: Bett, drei Schränke, Nachtkästchen mit Wecker und Visiophon, vernetzter PC, Arbeitstisch - und der kleine grüne Kaktus auf dem Fensterbrett. Der Schrank war immer noch völlig leer und die Wand langweilig weiß... Der Kaktus war die einzige Dekoration in dem Raum. Er hatte vor, zumindest einige Poster an die Wand zu hängen, obwohl er sich noch nicht sicher war, welche Poster es denn sein sollten... Poster von Mechs und von berühmten Kämpfen - die Art von Postern, die vor zehn Jahren auch schon in seinem Zimmer gehangen waren, die er aber noch ganz nett fand... Oder vielleicht doch Biermarken- und Bikinimädchen-Poster?
Den Bücherschrank wollte er auch füllen. Natürlich nur mit Geschichtsbüchern, wie es sich auch für jemanden gehörte, der Militärgeschichte studierte. Aber bis dahin war der Kaktus seine einzige Dekoration.
Und seine Stimmung war... komisch. All seine Energie schien in dem Moment erloschen zu sein, als er mit dem Monarch auf dem Raumhafen von Tharkad City angekommen war. Und er hatte Energie gehabt... Sicher, man hatte ihm geholfen, hatte ihm ein Stipendium für eine Wahluniversität seiner Heimatwelt zukommen lassen, aber er hatte mehr gewollt. Seine Eltern war zwar zuerst etwas geschockt gewesen, als John ihnen erklärt hatte, dass er nicht an einer der drei Unis von Cameron studieren wollte. Donegal war da die nächste Adresse gewesen, aber das war John auch zu klein gewesen. Und so hatte er sich auf Tharkad beworben.
Man hatte ihn dort nicht mit Handkuss genommen, wie man es vielleicht auf Cameron gemacht hätte, aber schlussendlich war er doch die Universität der lyranischen Zentralwelt gekommen.
Auf seinem Bildschirm erschien plötzlich ein kleines Fenster mit einem blinkenden Postfach... Er klickte darauf und las: ´Klar komm ich morgen zu Wellerbein. Sam und July sehen auch vorbei.´
Der Absender war ein gewisser Pedro de Vargas, Sam hieß mit vollem Namen Samantha Phillips und July trug den Nachnamen ´Wallace´. Das Semester auf Tharkad hatte zwar offiziell erst vor drei Tagen begonnen, aber man war ganz gut beraten, wenn man hier zwei oder drei Wochen früher da war. Ziemlich viele Studenten waren von anderen Planeten oder waren Estsemstler und wurden in eine fremde Welt geworfen. Da war es schon im Voraus ganz gut, wenn man jemand kennen lernte und auf die ´Starter-Partys´ ging. Ganz abgesehen davon, dass man noch die Wohnung einrichten musste oder sich möglicherweise erst an das Klima des fremden Planeten gewöhnen musste. Folglich hatte John so gehandelt und sich inzwischen auch ein persönliches kleines ´soziales Netz´ geschaffen. Pedro de Vargas, ebenfalls ein Erstsemestler, genauso wie Sam und July, gehörte dazu.
Vor zwei Tagen, kurz nach ihrem ersten Pflichtkurs in dem Teilfach ´Neuere Militärgeschichte´ hatten sie beschlossen, die Vorlesung ´Bodenkampftaktiken der Inneren Sphäre (an ausgewählten Beispielen)´ zu besuchen. Keine Pflichtveranstaltung, aber man hatte ihnen erzählt, dass der Dozent dieser Vorlesung, ein Mensch namens Wellerbein - ein wirklich blödsinniger Name wie John fand - ganz nett erzählen konnte. Und so eine Vorlesung zum Abschalten konnte jeder mal brauchen...
Er tippte wieder Wörter. Und sandte sie ab... John war ein Nachtmensch und es überraschte ihn, dass um diese Uhrzeit noch so viele seiner Kommilitonen wach waren. Nun, hier war er eben doch unter Gleichgesinnten, nicht wie auf Cameron. Vielleicht sollte er auch damit beginnen, müde zu werden... Dachte er kurz. Aber dann sah er wieder aus seinem Fenster, sah den wirbelnden Schneesturm und wie die Schneeflocken völlig entfesselt in dieser Nacht tanzten... Nein, es war einfach zu schön... Nächte waren nicht zum Schlafen gedacht. Gräber waren zum Schlafen gedacht. Und drei Stockwerke über seinem lief eine Geburtstagsparty... Eigentlich gab es jeden Tag mindestens auf einem Stockwerk des Studentenheims Partys... Das hatte er schon feststellen dürfen...
Plötzlich kam eine Antwort. ´Oh hallo John! Weiß nich, ob ich morgen bei Wellerbein vorbeiseh. War schon die letzten beiden Semester bei dem. Außerdem erzählt er in seinen Kursen nie was wichtiges. Küsschen, Ellen!´
Er grinste kurz. Ellen Patrikson kam jetzt ins dritte und hatte den vier ziemlich geholfen in diesen ersten beiden Wochen. Außerdem war sie herrlich unkompliziert und gefiel John ganz gut. Leider wohnte sie in einer eigenen kleinen Wohnung, in einer der Vorstädte von Tharkad City. Sonst hätte er sie wohl persönlich gefragt...

Die Nacht war noch hart gewesen. Die Dimensionen von Studentenpartys waren für John, der bis dahin noch behütet worden war, ziemlich neu. Und an einiges von dem, das man dort getrunken und geraucht hatte, musste man sich erst noch gewöhnen...
Aber das war nun egal. Freitag morgen um Acht stand John mit Kater und verschlafenen Augen vor dem Hörsaal und gähnte genüsslich. Ob er sich wach halten konnte, wusste er nicht wirklich... Zwei Stunden Schlaf war auf Dauer nicht besonders empfehlenswert.
"Na hi du!" ertönte plötzlich hinter ihm eine sympathische Stimme. John drehte sich langsam um und blinzelte Ellen an. Die lächelte kurz:
"Siehst ja heavy aus... Trink nich soviel!"
Bevor er etwas einwerfen konnte, verschwand Ellen mit einem süßen Lächeln im Hörsaal. Die anderen drei befanden sich ebenfalls schon drin und warteten auf Wellerbein - zusammen mit den anderen vierhundert Studenten, die diese Vorlesung besuchten. John genoss noch etwas die frischere Luft im Gang, begab sich aber, als der Dozent in Sichtweite kam. Er setzte sich neben seine vier Bekannte, die sich in den hinteren Reihen ein paar Plätzchen ergattert hatten. Der Raum war für wesentlich mehr Hörer konzipiert, für vielleicht eintausend. Die Sitze waren halbkreisförmig um das Rednerpodest angeordnet und die Reihen stiegen nach hinten immer um drei Stufen. Etwa im selben Stil wie ein antikes griechisches Theater... Direkt neben ihnen setzten sich zwei weitere Studenten hin. Einer davon lächelte Ellen lustig an: "Auch mal wieder da? Du hörst dir anscheinend auch alles an, was Wellerbein abtextet."
"Klar, Ni. Wie du." Lächelte sie zurück. Dann fügte sie hinzu: "Willst du dich setzten, Ni?"
"Sicher Ellen. Das hatte ich gerade auch vor, aber danke, dass du´s mir anbietest."
John blickte Ni kurz an... Ni sah nicht unbedingt wie ein Draconier aus, aber man konnte an seinen asiatischen Gesichtszügen einfach zu leicht einen Kuritaner vermuten. Ni sah den skeptischen Blick und - stellte sich ihm.
"Ja? Was is?"
"Verzeih mir, aber es ist ungewöhnt für mich..."
Weiter kam er nicht. Ni lachte leise auf und unterbrach ihn: "Um die Frage zu beantworten, die aus Höflichkeit nicht stellst... Ja, ich habe draconische Wurzeln, sogar einen draconischen Namen. Ni ist die Abkürzung für Nihongi. Mein Vater war Soldat der VSDK, wurde dann im Kampf gefangen genommen und kam in ein lyranisches Kriegsgefangenlager. Dann lernte er eine hübsche Lyranerin kennen und so nahm das Ganze seinen Lauf..."
Er blickte in verdutze Gesichter. Außer natürlich das von Ellen, die Nihongi ja schon kannte... Möglicherweise war es die Tatsache, dass sie alle asiatische Gesichtszüge nicht gewohnt. Alle hier bis auf eine farbige Frau waren weiß. Mehr oder weniger. Aber diese Art zu denken würde sich bald legen. Wenn es einen Ort in diesem Universum gab, an dem Intoleranz fehl am Platz war, dann war das wohl ein Universitätsgebäude... Aber die vier sahen neu hier aus... Erstsemestler... Nihongi würde ihnen wohl etwas Zeit geben müssen. Neben ihm setzte sich ein Mann, den John ebenfalls nicht kannte. Als plötzlich Wellerbein den Raum betrat, an das Rednerpult trat und fast wie auf Kommando Stille eintrat.
Wellerbein grinste kurz und räusperte sich kurz:
"Schön, dass Sie mir das Wort so schnell überlassen... Trotzdem bin ich etwas überrascht, dass so wenige hier sind. Ich hatte mit doppelt so vielen Hörern gerechnet... Offenbar hat die Erinnerung an meinen Kollegen vom letzten Semester einige Ihrer Kommilitonen etwas abgeschreckt... Aber keine Angst, ich werde Sie hier in dieser Vorlesung nicht mit unnötigen Zahlen oder Fakten ärgern - die Sie sich ja sowieso nicht merken..."
Vereinzeltes Lachen. Die lockere Art von Wellerbein gefiel John.
"Wenn ich mir die Reihen so ansehe, dann kann ich feststellen , dass hier einige Neue dabei sind. Ich möchte mich also zuerst kurz vorstellen: Ich heiße Arnulf Wellerbein und lese hier pro Semester zwei Vorlesung im Bereich ´Taktiken der Inneren Sphäre´ und bin auch ein festes Mitglied in der Forschungsgruppe der Fakultät. Wobei ich anders als viele hier direkt von der ´Substanz´ komme, wenn man das so sagen kann. Ich war selbst MechKrieger, ein einfacher Leutnant, später Oberleutnant und Hauptmann, der im vierten Nachfolgekrieg voll mitten dabei war. Mitte der Dreißiger habe ich den Job an der Frontlinie dann mit einem Bürojob getauscht und wurde ein Jahr vor dem Auftauchen der Clans ehrenhaft aus der VCS entlassen. Seitdem lese ich hier."
John starrte ihn faszinierte ihn an... Abgesehen davon, dass der Mann wirklich einen blöden Namen hatte, faszinierte er ihn. Wellerbein war offenbar eines jener namenlosen Schlachtrösser gewesen, die das Rückrat einer jeden Armee darstellten.
Wellerbein redete weiter: "Ich habe zwar keinerlei akademischen Titel und bin gerade einmal ein einfacher Privatdozent, allerdings habe ich etwas, das viele an dieser Fakultät niemals hatten: Kampferfahrung... So nun ein paar Anmerkungen zu dieser Vorlesung ´Bodenkampftaktiken der Inneren Sphäre (an ausgewählten Beispielen)´. Es gäbe ziemlich viel, was ich Ihnen erzählen könnte, aber Sie wissen ja, das Semester ist kurz. Ich werde mich vorwiegend auf BattleMechs stürzen und die restlichen Waffengattungen etwas vernachlässigen. Außerdem werde ich mich auf die Zeit vor dieser unseligen Claninvasion beschränken... Weiterhin möchte ich noch anfügen, dass diese Vorlesung nur einen Zusatz darstellt. Wenn Sie sich weiter mit der Thematik beschäftigen wollen, dann lesen Sie was dazu. Ich beschränke mich hierbei nämlich nur darauf, Ihnen ein paar nette Geschichtchen zu erzählen... Aber kommen wir zur Gliederung dieser Vorlesung: Wir fangen heute mit dem Punkt ´Massengefechte´ an, kommen dann zu den Taktiken, die kombinierte Einheiten ergreifen sollten, dann zur Flugabwehr... Weitere Punkte werden Fernkampf, Nahkampf, Einzelaktionen, Duellsituationen, Hit-and-Run, Hinterhaltsituationen, sowie Verhalten bei extremen Temperaturen sein. Sofern wir noch dazu kommen, erzähle ich auch noch was über den Faktor ´Gelände´."
Er setzte kurz ab... Die vierhundert Zuhörer wirkten interessiert...
"Aber kommen wir jetzt zum ersten Punkt... Massengefechte... Ich möchte an dieser Stelle mit einem Zitat beginnen aus einem der Standardwerke der Inneren Sphäre: ´Das Gleichgewicht des Schreckens: Eine Geschichte der Nachfolgekriege´ von Nicolai Aristobulus... Ich zitiere:
´Zehntausend Jahre organisierter Kriegsführung haben in jenem Monstrum aus Waffen und Panzerung, Beweglichkeit und Schlagkraft ihren Höhepunkt gefunden, das wir unter dem Namen BattleMech kennen. Der typische Mech ist eine zehn bis zwölf Meter hohe Gestalt von mehr oder weniger humanoider Form, ein zum Leben erwachter Panzerriese aus dem Reich der Mythen und Legenden. Sein Gewicht liegt minimal bei 20 Tonnen, kann aber bei schwereren Bautypen bis über 75 Tonnen ansteigen, und selbst die kleinste dieser Maschinen starrt geradezu vor Lasern Partikelkanonen, Raketenlafetten, Autokanonen oder Maschinengewehren. Ein Mech ist der wandelnde, donnernde Tod für jede ungepanzerte Armee, die wahnsinnig genug ist, diesem Monstrum entgegenzutreten, und selbst für schwergepanzerte konventionelle Einheiten stellt er einen formidablen Gegner dar. Nach traditioneller Militärdoktrin bekämpft man einen Mech am besten durch einen zweiten Mech, und zwar möglichst einen größeren, stärkeren und schwerer gepanzerten. Bei einem Duell zwischen gleichstarken Gegnern können diese Maschinenmonster einander stundenlang mit tausendfachem Tod überschütten, während ihre Piloten auf die eine kleine Unachtsamkeit ihres Gegners warten, die den Kampf beendet. Beide Seiten halten Ausschau nach dem unvermeintlichen, entscheidenden Versagen von Mensch und Maschine, den Sekundenbruchteilen der Unbedachtheit, der einen tödlichen Treffer möglich macht.´
Und so weiter und so fort... Sie kennen diesen vielzitierten Absatz sicher alle. Die Ideen und Schlussfolgerungen von Aristobulus sind gut, wurden aber vielfach falsch verstanden. Viele MechKrieger und Strategen der letzten hundertfünfzig Jahre folgerten, dass Kämpfe immer so ablaufen müssen - in einer langsamen und zermürbenden Duellsituation. Glauben Sie mir, es gibt genügend Faktoren, die diese Aussage nichtig machen. Und seit der Claninvasion wissen wir sowieso, dass Aristobulus nicht wörtlich zu nehmen ist."
Er setzte wieder ab, nahm ein Schluck aus seinem Kaffeebecher und redete dann weiter: "Der erste modifizierende Faktor, den ich hier behandeln will, ist das Massengefecht. Aristobulus redet nur von Duellsituationen, aber sogar schon dann, wenn zwei Lanzen gegeneinander antreten, kann diese alte Militärdoktrin zu Staub zerfallen. Vorausgesetzt, eine der beiden Seiten erarbeitet sich irgendwie ein Übergewicht oder wendet eine unkonventionelle Taktik an... Ein wirklich gelungenes Beispiel dafür ist die erfolgreiche Invasion von Phalan aus dem Jahr 2952. Angreifer waren die LCS, Verteidiger die VSDK."
Wellerbein nahm wieder einen Schluck aus seinem Becher und fing dann an...



Marco Steiners Tage waren gezählt. Das war eine Tatsache, ein offenes Geheimnis des Jahres 2951 und dieses Jahr würde das Kapitel des Archon sicher beendet sein. Aber das interessierte Hauptmann Erna Steelton nicht sonderlich. Sie war mit ihrer Kompanie voll im Kampfgeschehen... An der vordersten Frontlinie der siebzehn Regimenter, wovon drei Stück MechRegimenter waren... Die Invasion von Phalan hatte wie ein wilder Hurrikan begonnen, dann aber nachgelassen und war nun, nach zwei Monaten zähen Kämpfen mit den Schlangen fast völlig zum Erliegen gekommen. Inzwischen waren beide Seiten so ineinander verkeilt, dass der jeweilige Geländegewinn in Metern gemessen werden konnte. Ausbruchsversuche hatte es natürlich immer wieder gegeben, waren aber im Keim erstickt worden. Sowohl was Quantität als auch Qualität betraf, neutralisierten sich beide Seiten ziemlich...
Bis Erna Steelton an diesem nebeligen Herbsttag in den ´Sirenwoods´, einem Waldareal von beträchtlichem Ausmaß, das Signal von zwölf draconischen Mechs ausmachen konnte.
Nun, eigentlich hatte ja ihr Scout, ein junger Leutnant namens Angie Brook in ihrem Feuerfalken, die Dracs entdeckt... Aber das war egal. Gefunden waren sie und nun mussten sie zurück geschlagen werden. Die Kompanie begann ihren Marsch an den Ausläufern der Woods in einer Standardaufstellung: Die Scoutlanze, ein Feuerfalke, zwei Greife und ein Kommando, liefen einige hundert Meter voraus, allerdings immer auf Fühlung mit dem Rest der Kompanie bedacht, während
die Kampflanze, bestehend aus einem Derwisch, zwei Dunkelfalken und einem Steppenwolf und die Befehlslanze aus einem Kampfschützen, einem Kriegshammer, einem Marodeur und einem Pirscher langsam nachtrotteten. Steelton war sich darüber im Klaren, dass ihre Kompanie den Dracs an Feuerkraft weit überlegen war. Aber gerade hier, in einem engen Gelände, war Feuerkraft meistens nicht der wichtigste Punkt. Die Struktur der draconischen Kompanie war bisher noch nicht klar, aber
Steelton nahm an, dass es sich um eine typische draconische Angriffseinheit handelte. Pfeilschnell, kampfstark, nicht ganz so schwer wie ihr lyranisches Gegenstück...
Sie drangen langsam in den Wald ein und marschierten schwerfällig auf ihr Ziel zu. Steelton hatte ihre
Aufstellung jetzt geändert. Links marschierten, etwas vorgelagert die ScoutMechs, zentral die Befehlslanze und rechts die Maschinen der Kampflanze. Die zwölf Mechs waren nun auf einer Linie von etwa einem Kilometer auseinandergezogen und steuerten so nun weiter vorwärts...

Angie Brooks trat in ihrem Feuerfalken aus den Woods und hatte plötzlich eine offene Fläche vor sich. Irgendwann vor einigen Jahrzehnten, so wurde erzählt, hatte mal jemand dort zu siedeln angefangen, Häuser gebaut, die Woods in einem Umkreis von fünf Kilometer gerodet und Äcker angelegt. Niemand war mehr hier, die Häuser waren schon längst Ruinen und die Felder brach. Das Gelände war leicht hügelig und bestand größtenteils aus Sekundärvegetation, einigen Sträuchern, kleinen Bäumen oder Gestrüpp... Brooks war am äußersten linken Ende der Truppe und als sie einen Blick auf das Gelände vor ihr warf, stockte ihr der Atem... Alle zwölf draconische Mechs bewegten sich dort langsam auf sie zu. Drei Jenner, eine Speerschleuder, zwei Feuerfalken, ein Quasimodo, drei Dunkelfalken und zwei Katapulte. Angie drehte ihren Mech sofort und lief zurück... Sie konnte noch feststellen, dass zwei Jenner und ein Feuerfalke ausscherten und ihr folgten, während die restlichen Draconier ihr langsam aber kontinuierlich folgten. Angie brach durch den Wald und sandte Hilferufe auf der Frequenz ihrer Einheit durch das TakKom. Als jemand antwortete... Eine verrauchte, weibliche
Stimme, Erna Steelton, mit dem Befehl: "Beweg dich weiter auf meine Position zu... Werd´ dabei langsamer. Steelton Ende."
Brooks starrte auf ihre taktische Karte, die ihr die momentane Position der anderen elf lyranischen Mechs anzeigte. Der Pirscher des Hauptmanns bewegte sich dabei langsam und schwerfällig gerade auf ihre Position zu, während die restliche Scoutlanze und der Mech der Befehlslanze, der dem Ganzen am nächsten war, der Kriegshammer, nach unten - von Brooks aus gesehen - abschwenkten, um dort abrupt stehen zu bleiben. Brooks sah die Falle, die Steelton den Draconiern stellte und fragte sich, wieso diese sie nicht sahen... Auch egal... Der Leutnant drosselte ihre Geschwindigkeit noch weiter.
Ein Laserstrahl, der sich neben dem Falken in einen Baum bohrte, deutete an, dass die drei Dracs näher waren als gedacht... Viel näher. Bei dem Gedanken, dass sie ihren Gegner den leichtgepanzerten Rücken zugewandt hatte, wurde ihr etwas übel. Nicht lange. Es war ein Routineblick auf die taktische Karte, der ihr zeigte, dass die vier Lyraner sich inzwischen wieder in Bewegung gesetzt hatten und nun ihrerseits irgendwo hinter den drei VSDK sein mussten. Auch sehr nahe...
Zwei azurblaue Strahlen beendeten jegliche Spekulationen über die Nähe der versteckten Lyraner. Die beiden PPKs waren von dem Kriegshammer abgefeuert worden, der eine gerade noch akzeptable Entfernung zum Ziel hatte... Das Ziel, einer der beiden Jenner wurde von einer PPK in der rechten Schultersektion getroffen, der zweite Schuss donnerte in einen riesengroßen Baumstamm... Angie wendete ihren Mech jetzt... Und wurde Zeuge einer Aktion, wie sie sich jeder Kommandeur irgendwann erträumt. Der lyranische Feuerfalke setzte sofort nach und feuerte seinen schweren Laser ab - und traf den bereits beschädigten Jenner im rechten Bein. Der VSDK kippte vor und blieb liegen.
Die beiden Greife und der Kommando griffen im selben Augenblick den zweiten Jenner an und überschütteten ihn mit einem mörderischen LSR und KSR-Bombardement. Nicht alles traf... Auch dieser Jenner schwankte... Angie richtete ihre beiden mittelschweren Laser aus, zielte... auf das fast regungslosen Gegner... und feuerte. Beide Laser trafen voll im zentralen Torsobereich. Diese Beschädigung alleine konnte den Jenner zwar nicht besiegen, aber die massiven Beschädigungen an so ziemlich jeden Teil des Mechs mussten zur völligen Lahmlegung des Mechs - bestenfalls zur Bewusstlosigkeit des Piloten führen. Jedenfalls verschwand der Jenner unter einer dicken Rauchwolke. Der draconische Feuerfalke war noch da... Etwas blitzte auf. Ein schwerer Schlag schüttelte Angies Mech durch und etliche Warnknöpfe piepsten wild auf und färbten das Cockpit rot.
Der schwere Laser des Draconiers hatte eine gefährliche Scharte in den Torsobereich. Die Antwort kam vom Kriegshammer, dessen Kurzstreckenraketen in einem Sekundenbruchteil aufheulten und den
VSDK durchschüttelten. Angie sah in ihren Augenwinkeln, wie der Pilot des Jenners, der am Boden lag, aus seinem Cockpit krabbelte und irgendwo im Dickicht verschwand. Zwei der sechs Raketen trafen, die anderen explodierten in Bäumen rings um den draconischen Mech. Der Kommando trat vor... feuerte. Ein Greif feuerte eine PPK ab... Angie senkte das Fadenkreuz über das Ziel... und feuerte ihren S-Laser und den M-Laser ab. Der Pilot des draconischen Mechs betätigte seinen Schleudersitz... Und irgendwo über ihnen wurde der Flug des VSDK von einem Ast im dichten Blätterdach beendet. Angie wurde kurz übel. Sie fühlte Mitleid aufsteigen. Vermutlich hatte den Draconier die Panik gepackt - und er hatte sich retten wollen. Die Rauchwolke über dem zweiten Jenner verschwand und Angie erschauderte jetzt erst recht. Dieser Mech besaß kaum noch Panzerung.
Die Cockpitluke war geöffnet und die Hängeleiter baumelte bis zum Boden herab. Offenbar hatte sich dieser Pilot richtig gerettet...

Erna Steelton erreichte den Kampfplatz eine Minute nachdem Leutnant Brooks ihr gemeldet hatte, dass die Draconier geschlagen worden waren. Was sie sah, veranlasste sie zu einem breiten Grinsen.
Drei draconische Mechs waren in Schutt und Asche, während auf lyranischer Seite nur der Feuerfalke angekratzt war. Der Hauptmann aktivierte ihr TakKom: "Befehlslanze und Kampflanze - langsamer Vormarsch auf die Lichtung, auf der die Dracs gesichtet wurden. Scoutlanze - weichen Sie in hoher Geschwindigkeit nach Westen aus und versuchen Sie, in den Rücken des Gegners zu kommen. Oder zumindest in seine Flanke. Warten Sie mit Ihrem Angriff, bis wir sie schon in Kämpfe verwickelt haben. Steelton Ende."
"Verstanden. Brooks Ende." War die einzige Antwort, dann verschwanden die vier ScoutMechs. Steelton setzte ihren Pirscher in Bewegung und marschierte vorwärts...
Ohne ein weiteres Achselzucken, nahm Steelton mit ihrem HQ Verbindung auf...

Die neun Mechs standen noch auf der Lichtung. Ganz friedlich zwischen den Blümchen und Sträuchchen... Irgendwas stinkt da... Aber ganz gewaltig. Das ist alles zu einfach... War Steeltons einziger Gedanke, als sie zwischen den Bäumen stand und weiter langsam vormarschierte. Einer der
Draconier wendete plötzlich seinen Torso in die Richtung, in der die Lyraner waren. Steelton aktivierte plötzlich ihr TakKom und sagte leise und beinahe schon eintönig: "Angriff!"
Kaum eine Sekunde später donnerten bereits die ersten lyranischen Mechs aus dem Wald und griffen mit voller Geschwindigkeit an. Die Draconier ... stellten sich...
Wenige Augenblicke, bevor Steelton den Rückzugsbefehl in ihr Kom schreien konnte, meldete sich Brooks auf dem TakKom.
"Steelton hier. Was ist?"
Brooks brüllte panisch: "Da ist eine zweite Kompanie, Boss! Die haben uns gestellt und greifen an..."
Steeltons Gedanken füllten sich einen kurzen Moment mit Leere, dann flüsterte sie ernst in das Kom:
"Position halten und zweiten Drac-Verband binden, Leutnant."
Stille im Kom. Dann antwortete Brooks: "Ja. Wir halten sie solange auf wie wir können. Brooks Ende."
Sie weiß es... Dass sie das nicht überleben wird... Verzeih mir, ich wollte dich nicht in den Tod schicken... Die Draconier waren auf PPK-Reichweite heran. Der Kriegshammer und der Marodeur richteten ihre Waffen aus... warteten... Steelton hatte über das TakKom mitbekommen, dass die beiden sich abgesprochen hatten... Zwei PPKs, die jeweils linke der beiden Mechs, feuerten und entluden sich mit mörderischer Präzision auf einem der draconischen Katapulte. Wenige Sekundenbruchteile warten... Noch eine Sekunde... Ein Salve aus Ak-Granaten und Langstreckenraketen ging auf dem lyranischen Derwisch nieder... Steelton feuerte... Einer der drei VSDK-Dunkelfalken verschwand in einer Wolke aus Tod und Vernichtung, nachdem der Hauptmann sämtliche Langstreckenwaffen, zwei LSR10er und zwei schwere Laser, auf ihren Gegner abgefeuert hatte... Es musste schnell gehen, keine Zeit, um auf die Wärmeskala zu sehen... Keine Zeit... Brooks und ihre Lanze konnten die drohende Vernichtung maximal eine halbe Minute lang hinaus zögern... Die beiden rechten PPKs von Marodeur und Kriegshammer sprachen... Der draconische Quasimodo stieß vor... Und der lyranische Steppenwolf erzitterte im Regen seiner AK-Salven, die zielgenau trafen - dann starb der Steppenwolf.
Das draconische Katapult bekam von der PPK des Kriegshammers eine weitere offene Wunde zugefügt. Diesmal an der rechten Seite. Der Marodeur hatte daneben geschossen, aber Fortuna schien heute Lyranerin zu sein. Die PPK des Marodeurs traf die Speerschleuder, direkt neben dem Katapult und trennte deren rechtes Bein sauber von der Hüfte. Der Pirscher wartete nicht, bis der Rauch über dem Dunkelfalken sich gelegt hatte, sondern sandte sofort zwei Salven KSR hinterher... Steelton sah nicht, was davon traf, aber eine markerschütternde Explosion war die Folge... Der Dunkelfalke war dann wohl gewesen... Als plötzlich alles in dem Pirscher hochzugehen schien... Das zweite Katapult feuerte wie wildgeworden eine Salve LSR nach der anderen auf den überschweren Angreifer. Wie Steelton frustriert feststellen musste, traf der Draconier viel zu gut... Neben dem Pirscher droschen gerade die beiden Dunkelfalken mit ihren Fäusten auf den letzten Jenner ein... Auch das würde nicht mehr lange dauern... Der Marodeur sandte dem Quasimodo eine tödliche Kombination aus beiden PPKs und der AK entgegen...
Keine Zeit... Sie durften nicht auf ihre Wärmeskala achten... Und dennoch wollte Steelton um nichts auf der Welt jetzt in dem Marodeur sitzen. Der Kampfschütze sandte einen letzten Gruß an die bereits besiegte, aber noch intakte Speerschleuder... Beendete deren Kapitel... Zu den beiden Dunkelfalken, die den lyranischen Derwisch immer weiter zurückdrängten, gesellte sich jetzt der letzte Feuerfalke.
Steelton feuerte zurück, als das Katapult sich eine kurze Ruhepause gönnte, um die Wärme abzubauen. Sie verzog schmerzhaft ihr Gesicht, als ein S-Laser das Ziel verfehlte und sich dafür in das
Bein des eigenen Marodeurs brannte. Dafür trafen die beiden KSR6er und ließen den feindlichen Mech kurz taumeln... Der letzte Jenner ging zu Boden - mit eingeschlagenem und eingetretenem Kopf... Die Dunkelfalken drehten seitlich ab und griffen ihre draconischen Gegenstücke an, um dem Derwisch zu helfen... Zwei schwere Laser brannten sich mit mörderischer Präzision in die Flanke des Katapultes, das gerade vom Pirscher bearbeitet wurde... Der lyranische Kampfschütze trat ins Kampfgeschehen. Steelton zögerte nicht eine Sekunde und setzte mit ihrer kompletten Strahlenbewaffnung nach - und sah zu, wie der Pilot des Katapultes sich in den freien Himmel katapultierte.
Erst jetzt schienen die VSDK zu begreifen - und ergriffen zögerlich den Rückzug. Erna Steelton wartete keine Sekunde, bis ihr Mech sich abgekühlt hatte, sondern deckte den Quasimodo sofort mit ihren Langstreckenraketen ein... Das erste Katapult wurde immer weiter vom Kriegshammer und vom Kampfschützen zusammengeschossen und die drei draconischen Maschinen, der Feuerfalke und der Dunkelfalke zogen sich schnell zum Waldrand zurück...
Als plötzlich ein lyranischer Greif aus dem Gebüsch brach - und rauchend zusammenbrach... Weitere
elf draconische Mechs traten aus dem Wald, vorwiegend mittelschwere und schwere Mechs und auf das Kampfgeschehen zustürmten...



Wellerbein stoppte in seiner Erzählung und schaltete seine Holokarte aus, auf der er die Bewegungen der einzelnen Mechs veranschaulicht hatte. Dann schlürfte er genüsslich aus seiner - nunmehr dritten Kaffeetasse und grinste etwas dümmlich in den Raum: "Na, was denken Sie? Was ist passiert?"
Schweigen.
Der Dozent fuhr fort: "Hauptmann Steelton zog ihre Kompanie sofort weiter in das Zentrum dieser offenen Fläche zurück und lieferte sich für etwa eine Minute ein Fernkampfscharmützel, in dessen Verlauf der Marodeur auf lyranischer Seite und ein Panther auf draconischer Seite fielen. Nach dieser Minuten brachen zwölf weitere Mechs - dieses Mal lyranische Mechs - aus dem Wald und stürzten sich auf die VSDK. Wie Sie sich vielleicht erinnern, hatte Steelton ihr HQ angefunkt und dort um Verstärkung gebeten. Auf Schleichwegen hatte das lyranische Kommando daraufhin eine volle Kompanie Mechs in die Kampfzone geschleust, die nach einem unglaublichen Eilmarsch gerade noch rechtzeitig kamen. Als die Draconier nun von zwei Seiten angegriffen wurden, war es völlig aus. Von den zwei draconischen Kompanien kam nicht ein einziger Mech heim. Die LCS verloren hingegen nur neun Mechs, wenn von Steeltons Truppe auch die nächste Woche kein einziger Mech annähernd kampffähig war. Die zahlenmäßige Überlegenheit von einer vollen MechKompanie nutzten die Lyraner eiskalt aus und konnten neben einem Geländegewinn nach einem Vormarsch am nächsten Tag ein draconisches Nachschubdepot einnehmen... Der Anfang vom Ende für die VSDK auf Phalan."
Der Mann neben Nihongi reckte seinen Finger in den Raum. Wellerbein sah ihn etwas erstaunt an:
"Ja?"
"Entschuldigen Sie, aber das alles hat doch nichts mehr mit Taktik, sondern nur noch mit Glück zu tun..."
Wellerbein lächelte: "Sie haben die Lektion verstanden! Steelton hatte eine Idee, die den Draconiern um einen Zug voraus war, das Gelände sprach für die Lyraner und der verantwortliche Tai-i hatte entscheidende Fehler in seiner Planung - aber im Endeffekt hat das Glück entschieden. Das ist bei Massengefechten fast immer der Fall. Und glauben Sie mir, wenn sich zwei Verbände von Bataillonsgröße oder noch größer gegenüberstehen, dann wird das noch extremer."
Er setzte kurz ab, sah auf seine Uhr und erklärte: "Gut... Das wär´s dann für heute. Nächste Woche sehen wir uns dann wieder mit dem Thema ´Kombinierte Truppen´... Ach, bevor ich´s vergesse: Angie Brooks konnte noch am gleichen Tag schwerverletzt aus ihrem völlig zerschossenen Mech geborgen werden und wurde zum Oberleutnant befördert. Erna Steelton war eine treibende Kraft in der Invasion Phalans und wurde später zur Kommandantin befördert... Aber nun genug für heute, ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!"


Älterer Artikel von mechforce.de. Nicht mehr online.




Kommentare

Bisher noch keine Kommentare.

  Kommentar abgeben
Name:
Text:
 


Erstversion vom 05.04.2023. Letzte Aktualisierung am 05.04.2023.


[ nach oben ]